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Donnerstag, 26. Juli 2007

Basler Appell fordert Verzicht auf Speichelproben

Der Basler Appell gegen Gentechnologie verlangt von Sesam, auf Speichlproben zu verzichten und kündet an, er werde bei der Eidgenössischen Stiftungsaufsicht betreffend SESAM eine Stiftungsaufsichtsbeschwerde einlegen:
Seit gestern hat SESAM grünes Licht von der Ethikkommission beider Basel. Die Freigabe des umstrittenen Forschungsprojekts schliesst die Entnahme von Speichelproben bei Neugeborenen entgegen der ursprünglichen Intention mit ein. Der Basler Appell gegen Gentechnologie kritisiert den Entscheid der Ethikkommission und fordert den Verzicht auf die Speichelentnahmen aus Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte der Kinder.
Nach langem Ringen hat die Ethikkommission beider Basel (EKBB) dem von allen Seiten kritisierten Nationalen Forschungsschwerpunkt SESAM die Bewilligung erteilt: Das Projekt kann nun mit der Rekrutierung der Versuchspersonen – den schwangeren Frauen – beginnen. Entgegen den Forderungen der EKBB vom März dieses Jahrs – verlangt wurde der Verzicht auf Entnahme und Untersuchung des Erbguts der neugeborenen Probanden – krebst die Kommission zurück: Der Speichel soll nun doch gleich nach der Geburt entnommen werden dürfen, muss aber bei einer unabhängigen Stelle in einer Biobank verwahrt werden, bis die mündigen Studienteilnehmer dereinst ihre Zustimmung zur Untersuchung geben werden.
Als Grund für den Entscheid werden epigenetische Untersuchungen ins Feld geführt. Die Epigenetik untersucht nicht die Sequenz der Gene auf der DNA sondern wie, wann und warum sie ein- oder ausgeschaltet werden; ein Wissenschaftszweig, der derzeit boomt und wo SESAM mitmischen möchte. Bisher redete man von der SESAM-Seite die Bedeutung der genetischen Untersuchungen im Rahmen des Projekts klein. Und von Untersuchungen der Epigenetik war bisher noch nie die Rede. Doch nun wird offenkundig, welche Lorbeeren man sich verspricht von den genetischen Daten, zu denen Neugeborene den Zugang verschaffen sollen.
Der Basler Appell gegen Gentechnologie warnt davor, Fakten zu schaffen, lange bevor die Mündigkeit der Kinder erreicht ist. Die Probleme, die sich im Umgang mit Biobanken ergeben, sind hinlänglich bekannt. Gesetzliche Regelungen gibt es zur Zeit noch keine und der Persönlichkeitsschutz der Menschen, deren Proben eingelagert sind, wird nur selten gewahrt. Noch immer ist für die Öffentlichkeit unklar, wer wann mit welcher Fragestellung und vor allem mit welcher Berechtigung Zugang zu den bei SESAM gesammelten Datenbergen erhalten wird. Der Basler Appell gegen Gentechnologie spricht sich gegen die Vereinnahmung von Kindern aus, die nicht einwilligungsfähig sind. Wir fordern die SESAMProjektleitung auf, endlich alle Karten auf den Tisch zu legen sowie Mittel und Ziele von SESAM öffentlich zu deklarieren. Der Verein wird zudem bei der Eidgenössischen Stiftungsaufsicht betreffend SESAM eine Stiftungsaufsichtsbeschwerde einlegen.

NZZ: "Freie Bahn für Sesam"

Neue Zürcher Zeitung am Donnerstag, 26.07.2007 auf Seite 14:
Freie Bahn für «Sesam» in Basel

Ethikkommission gibt definitive Einwilligung zur Langzeitstudie


Der Langzeitstudie «Sesam», die eine Untersuchung von Kindern von der Geburt bis zur Volljährigkeit vorsieht, steht nichts mehr im Weg. Die Ethikkommission beider Basel hat dem Projekt zugestimmt. Im Oktober wird mit der Rekrutierung schwangerer Frauen begonnen.

Die Ethikkommission beider Basel (EKBB) hat der von der psychologischen Fakultät der Universität geplanten Studie zur Erforschung von psychischen Erkrankungen das «nihil obstat» erteilt. Der Durchführung des Projekts steht in Basel, mit anderen Worten, nichts mehr entgegen, und die Detailvorbereitungen können in Angriff genommen werden. Im März hatte die EKBB die Bedingungen genannt, unter denen sie «Sesam» zustimmt. Verlangt hatte sie unter anderem, dass an den jugendlichen Probanden bis zum Erreichen der Volljährigkeit keine genetischen Analysen durchgeführt werden. Das Projekt erfuhr damit zwar eine Einschränkung. Da den Betreibern aber gleichzeitig das Recht zugestanden wurde, epigenetische Studien durchzuführen (also den veränderlichen Teil der DNA zu untersuchen), akzeptierten sie die Auflagen ohne Murren. In Bezug auf die Epigenetik ist es den Forschern nun wohl erlaubt, den Säuglingen Speichelproben zu entnehmen; die so gewonnenen Informationen müssen aber in externen Datenbanken aufbewahrt werden und dürfen erst später untersucht werden (vgl. NZZ 17. 7. 07). Trotz diesen Auflagen fordert der «Basler Appell gegen Gentechnologie», dass auf die Entnahme von Speichelproben verzichtet werden soll.

Das Projekt, das für einen Zeitraum von 20 Jahren konzipiert ist und die Untersuchung von Kindern von der Geburt bis zur Volljährigkeit umfasst, ist von der EKBB vorerst für eine Periode von 2 Jahren freigegeben worden. Eine Etappierung des Vorhabens war von Anfang an vorgesehen, weil es, wie der Sprecher von «Sesam», Daniel Habegger, erklärt, den Eltern der Probanden nicht zuzumuten ist, dass sie eine Einwilligung geben, die über zwei Jahrzehnte Gültigkeit hat. Eine Aufteilung in einzelne Perioden war aber auch im Interesse der Studien-Betreiber, da sich Erhebungsarten und Messinstrumente sowie die entsprechenden Protokolle nicht zum Vornherein für 20 Jahre festlegen lassen. Nach Erreichen der jeweiligen Zwischenziele werden die Forscher die Möglichkeit haben, ihre Methoden zu prüfen und notfalls zu ändern - worauf sie allerdings wieder der Ethikkommission vorgelegt werden müssen. Die EKBB hat für Basel entschieden. Was in Sachen «Sesam» an den Standorten Zürich, Bern, Lausanne und Genf geschieht, werden die jeweiligen kantonalen Ethikkommissionen zu beurteilen haben. Bei den Projektverantwortlichen in Basel geht man davon aus, dass diese Gremien sich im Wesentlichen auf die Arbeiten und Erkenntnisse der EKBB stützen und dem Projekt ebenfalls zustimmen werden.

Fest steht dagegen, dass man in Basel im Oktober mit der Rekrutierung von Frauen beginnen wird, die ab Frühling 2008 ein Kind gebären werden. Werdende Mütter, die zur Vorsorgeuntersuchung an die Universitätsklinik gelangen, sollen ab der 12. Woche über «Sesam» informiert werden. Danach haben sie (und ihre Familien) einige Wochen Zeit, um sich für oder gegen eine Teilnahme zu entscheiden. Wenn eine Einwilligung erfolgt, sollen die Frauen erstmals in der 20. oder 21. Schwangerschaftswoche auf die für «Sesam» relevanten Daten hin untersucht werden. Väter und Grosseltern werden nach Möglichkeit ebenfalls in die Studie einbezogen. Dass die ganze Familie mitmacht, wird von den Projektverantwortlichen als Idealfall bezeichnet, ist aber keine Voraussetzung, um an der Studie zu partizipieren.

In den nächsten zwei Jahren wird man versuchen, in der Schweiz insgesamt 3000 Probanden zu rekrutieren. Nach den Angaben von Habegger sollte die Stichprobe am Ende keinesfalls kleiner sein als 1500, da eine geringere Zahl die Aussagekraft allfälliger Erkenntnisse beeinträchtigen würde. Pekuniäre Anreize für ein Mitmachen wird es keine geben; ein Entgelt, das über Spesenentschädigungen hinausgeht, ist nicht vorgesehen. Geplant sind einzig kleine Präsente, die aber nicht mehr als symbolischen Charakter haben werden und nicht mehr als ein paar Franken kosten dürfen. Zur Finanzierung dieser Mini-Geschenke sucht man noch Sponsoren, angesichts der politischen Turbulenzen, die «Sesam» ausgelöst hat, ein nicht ganz einfaches Unterfangen.

Mittwoch, 25. Juli 2007

basellandschaftliche Zeitung: "EKBB gibt grünes Licht"

Die Basellandschaftliche Zeitung (bz) schreibt heute Mittwoch auf der Frontseite:
Forschungsprojekt Sesam kann starten

Die Ethikkommission beider Basel hat die Studie freigegeben

Definitiv grünes Licht für den Nationalen Forschungsschwerpunkt Sesam der Universität Basel: Die Ethikkommission beider Basel (EKBB) hat die Kernstudie für den Standort Basel gestern freigegeben, wie die bz in Erfahrung bringen konnte. Sämtliche Auflagen der EKBB, die sie noch im März publik gemacht hatte - die bz berichtete - sind zur Zufriedenheit der Kommission erfüllt worden.

Die Projektverantwortlichen von Sesam bestätigten der bz gestern Abend den positiven Entscheid und bekundeten grosse Freude, dass das Projekt jetzt «endlich» starten könne. Sesam begleitet drei Generationen über 20 Jahre. Die Studie soll Aufschluss geben über die seelische Gesundheit der Schweizer Bevölkerung.

Immer wieder war in den letzten zwei Jahren Kritik am Projekt laut geworden. Es wurden auch über 12 000 Unterschriften dagegen gesammelt. Vor allem die Untersuchungen an Kindern gaben zu reden.

Dank der Freigabe der Kernstudie durch die EKBB kann nun aber mit der Rekrutierung von Familien in Basel begonnen werden. Gemäss den Verantwortlichen werden an der Universitäts-Frauenklinik ab Oktober schwangere Frauen, die Vorsorge-Untersuchungen besuchen, erstmals über Sesam informiert. Rund einen Monat haben die Frauen und ihre Familien danach Zeit, sich zu entscheiden, ob sie mitmachen möchten. Sie werden in dieser Zeitspanne genaustens über die Projektziele und den Projektablauf dokumentiert.

Mittwoch, 18. Juli 2007

Ende August: erste "sesam summer school"

Der Website von sesam ist zu entnehmen:
Der Nationale Forschungsschwerpunkt sesam (swiss etiological study of adjustment and mental health) veranstaltet vom 27. bis 29. August 2007 die erste Summer School, zum Thema

„Risk and Protective Factors of Human Development“.

Ausgewiesene internationale Experten auf dem Gebiet der Forschung zu Schutz- und Risikofaktoren menschlicher Entwicklung werden ihre Forschungsarbeiten präsentieren. In interaktiven Workshops werden Forschungsfragen und Forschungsstrategien mit den Nachwuchswissenschaftler/-innen von sesam diskutiert. Öffentliche Vorträge der eingeladenen Wissenschaftler, die in ihre Forschungsarbeiten einführen, finden jeweils am Vormittag statt. sesam lädt die Öffentlichkeit sehr herzlich zu diesen öffentlichen Vorträgen ein. Die Vorträge finden jeweils vormittags in der Alten Universität am Rheinsprung 9 in Basel statt. Die Referenten und Themen sind:

Montag (27.08.2007) 9.15-13.00
Alexander Jones (Southampton): “Developmental Origins of Health & Disease - Theories and Methods”
Meir Steiner (Toronto): "Perinatal Mood and Anxiety Disorders: Diagnosis and Treatment”

Dienstag (28.08.2007) 9.15-13.00
Arturas Petronis (Toronto): “Normal and Abnormal Behavior: The Epigenetic Perspective”.
Katri Räikkönen (Helsinki): “Developmental Aspects of Human Growth and its Effects on the Well-being of an Individual”

Mittwoch (29.08.2007) 10.00-13.30
Stella Reiter-Theil (Basel): “Ethics in Research in Clinical Psychology and Scientific Integrity”
Dieter Wolke (Warwick): „Infant Regulatory Problems and their Consequences“

Dienstag, 17. Juli 2007

Nachtrag: baz-Interview 29.6.07 mit Hans Kummer, ex-Präsident der Ethikkommission beider BAsel EKBB

Basler Zeitung, 29. Juni 2007: «Wir lassen uns nicht dreinreden», Hans Kummer zur Arbeit der Ethikkommission

Interview: Martin Hicklin und Stefan Stöcklin

Siebeneinhalb Jahre hat Hans Kummer, ehemals Professor für Innere Medizin am Bruderholzspital, die Ethikkommission beider Basel präsidiert und dabei Hunderte von Gesuchen begutachtet. Jetzt gibt er sein Amt ab und zieht Bilanz.

baz: Herr Kummer, Sie präsidieren seit siebeneinhalb Jahren die Ethikkommission beider Basel (EKBB) und geben heute dieses Amt ab. Tun Sie dies mit Erleichterung, Befriedigung oder Wehmut?

Hans Kummer: Mit allem zusammen. Erleichtert bin ich, weil ich finde, siebeneinhalb Jahre sind genug. Ich verspüre auch Befriedigung, denn diese Zeit hat mir fachlich sehr viel gegeben: Ich habe viel gelernt über Ethik und konnte mit Leuten arbeiten, mit denen ich sonst nicht mehr zusammengekommen wäre: mit Ethikern, Juristen und Pflegefachleuten. Etwas Wehmut spielt auch hinein, denn ich habe diese Arbeit mit Freude gemacht. Aber die Wehmut ist kleiner als die Erleichterung.

Ihre Kernaufgabe war die Beurteilung von Gesuchen zu klinischen Studien am Menschen. Wie viele Gesuche hat die Kommission im letzten Jahr bearbeitet?

Im letzten Jahr waren es 341 Gesuche. Zum grössten Teil stammen sie aus den Universitätskliniken, zum kleineren Teil von nichtuniversitären Spitalabteilungen und der Swisspharma in Allschwil, selten auch von praktizierenden Ärzten. Etwa die Hälfte wird von der Pharmaindustrie gesponsert, der Rest hauptsächlich vom Schweizerischen Nationalfonds.

Wie viele der Studien wurden bewilligt?

Endgültig abgelehnt haben wir letztes Jahr nur drei Gesuche aber diese Zahl täuscht. Denn im ersten Anlauf bewilligen wir auch nur etwa zehn Prozent der Gesuche. In den meisten Fällen verlangen wir noch Modifikationen oder zusätzliche Angaben, die leicht erfüllbar sind. Bei etwa zehn Prozent der Studien gibt es grössere ethische Fragen, die intensiv nachbesprochen werden und die eine Neuauflage des Gesuchs erfordern.

Können Sie ein typisches Beispiel für eine heikle Fragestellung geben?

Meistens betrifft es Studien mit Versuchspersonen, die nicht selbst entscheiden können, das heisst zum Beispiel Kinder oder schwer demente Patienten. Ein Fall betraf eine Studie mit Alzheimer-Patienten, bei denen die Ärzte eine Lumbalpunktion (beim Lendenwirbel, Red.) durchführen wollten. Nicht alle Betroffenen waren einwilligungsfähig und wir lehnten das Gesuch ab. In solch schwierigen Fällen geht es darum, Risiken und Nutzen gegeneinander abzuwägen.

Wie kommt ein Beschluss zustande? Entscheiden Sie als Präsident?

Wir sind eine demokratische Institution. An den Kommissionssitzungen gibt es einen Referenten und einen Ko-Referenten. Dann wird diskutiert und abgestimmt. Der Präsident hat eine Stimme wie die anderen auch.

Können Sie frei von äusserem Druck entscheiden?

Wir versuchen es so gut als möglich. Unabhängigkeit ist absolut notwendig für unsere Arbeit. Wir lassen uns weder von der Politik, der Industrie noch von den Kollegen was oft am schwierigsten ist dreinreden.

Mit über 300 Gesuchen hat die Kommission eine gewaltige Aufgabe. Diese wird in Zukunft noch steigen, denn die Universität Basel will die klinische Forschung verstärken. Kann die EKBB in ihrer jetzigen Form diese Arbeit bewältigen?

Ich denke schon. Eine gewisse Ausbaufähigkeit liegt zudem noch drin, es wäre zum Beispiel möglich, die Zahl der Kommissionssitzungen zu erhöhen. Allenfalls müsste man personell ausbauen, wir haben im Moment 24 Mitglieder.

Bekannt geworden ist die schwierige Rolle und Aufgabe der EKBB bei der Beurteilung des Forschungsprojektes «sesam» der psychologischen Fakultät einer Studie mit 3000 Kindern. Sie haben im März 2007 das Projekt im Grundsatz zwar gutgeheisssen, aber sieben Auflagen gemacht, darunter ein Verbot der Entnahme und Analyse von DNA bei Kindern. Ein schwieriger Entscheid?

Der Entscheid zu «sesam» und der Genetik war nicht einfach. Wir haben ihn auch aufgrund der europäischen Bioethikkonvention abgestützt, laut der Forschung ohne direkten Nutzen bei Kindern nur in Ausnahmefällen durchgeführt werden darf, wenn Belastung und Risiko minimal sind. Wir halten die möglichen psychischen Folgen genetischer Kenntnisse über psychische Krankheiten bei Kindern für nicht minimal. Wir haben für den Entscheid breite Zustimmung gefunden, beim Nationalfonds, aber auch bei Ethikkommissionen im Ausland und bei Forschenden.

Sind die Auflagen unterdessen erfüllt, ist die Studie freigegeben?

Nein, die Studie ist noch nicht freigegeben. Nachdem wir am 19. März die Auflagen gestellt hatten, erhielten wir im Mai die Antwort der «sesam»-Leitung. Laut diesem Dokument erachten wir vier Auflagen als weitgehend erfüllt, eine weitere ist auf gutem Weg. Zwei sind noch nicht befriedigend erfüllt: Die eine betrifft die Patienteninformation, das lässt sich redaktionell in wenigen Tagen verbessern. Das andere betrifft Auflagen zur Genetik.

Wo liegt das Problem?

Die «sesam»-Leitung akzeptiert zwar den Entscheid, dass die Erbsubstanz der Kinder vorerst nicht analysiert werden darf, das heisst: erst dann, falls sie bei Volljährigkeit zustimmen. Aber «sesam» möchte nun sogenannte epigenetische Studien durchführen, das heisst im Prinzip Untersuchungen zur Aktivität bestimmter Gene › und zwar zum Zeitpunkt der Geburt. Epigenetische Daten verändern sich im Verlaufe des Lebens, das Ausgangsmaterial muss deshalb bei der Geburt gesammelt werden.

Lässt sich das mit der ursprünglichen Auflage vereinbaren?

Wir haben entschieden, dass der Speichel bei Geburt entnommen werden darf, aber erst in einer späteren Phase epigenetisch analysiert werden kann. Dazu muss das Gewebe eingefroren und in eine unabhängige Biodatenbank überführt werden. Für diese Untersuchungen braucht es dann später ein Gesuch. Wir halten am Grundsatz fest, dass die DNA der Kinder nicht analysiert werden darf. Nun geht es um die Biodatenbank.

Wann rechnen Sie mit der Erfüllung dieser Auflage?

In den nächsten Tagen. Wenn die «sesam»-Leitung den Entscheid im Grundsatz akzeptiert, wäre ein grosser Schritt Richtung Freigabe erfolgt. Viel fehlt nicht mehr. Ich bin traurig, dass ich «sesam» während meiner Amtszeit nicht noch abschliessen konnte. Dies hätte ich gerne getan, es wäre ein schöner Abschluss gewesen.

Welchen Rat geben Sie Ihrem Nachfolger André Perruchoud?

Es ist nicht an mir, Ratschläge zu erteilen. Ich möchte ihm sagen, dass er in eine ausgezeichnete Kommission hineingewählt wurde, in der ein sehr gutes Arbeitsklima herrscht. Er soll zu den Mitgliedern Sorge tragen dies wird er sicher machen. Keine Frage.
Folge des VanTx-Skandals
Im Januar 2000 nahm die Ethikkommission beider Basel ihre Arbeit auf. Zur Gründung führte letztlich der Skandal um die Firma VanTx, die Ende der 90er-Jahre in der Region unsaubere Medikamentenversuche mit ausländischen Probanden durchführte. Regionale Politiker riefen die Kommission ins Leben und schrieben ihr die Prüfung klinischer Studien ins Pflichtenheft. Grundlage ist eine interkantonale Vereinbarung. Erster Präsident wurde der Internist Hans Kummer, sein Nachfolger ist André P. Perruchoud, Professor für Pneumologie und emeritierter Dekan der medizinischen Fakultät. Ethikkommissionen werden im Rahmen des Humanforschungsgesetzes zurzeit juristisch auf eine neue Grundlage gestellt.

Bioethics Forum zum Thema fremdnützige Forschung

Die Schweizerische Gesellschaft für Biomedizinische Ethik widmet sich in ihrer Publikation "bioethics forum" in der aktuellen Ausgabe (backup Link des identischen Files) ausführlich dem Thema der fremdnützigen Forschung an Kindern und publiziert darin unter anderem auch im Wortlaut die Präsentation des Präsidenten der EKBB, Prof. Dr. med. Hans Kummer, an der Medienkonferenz vom 19. März 2007 im Holsteinerhof, Basel, worin er die wichtigsten Auflagen der EKBB für Sesam darlegt.

Sesam akzeptiert (nicht) alle Auflagen der EKBB - Speichelproben sind nun doch zugelassen

Das Regionaljournal für beide Basel von Schweizer Radio DRS hat gestern Montag vermeldet, was NZZ und basellandschaftliche Zeitung - nicht aber die "Basler Zeitung"... - heute nacherzählen:
basellandschaftliche Zeitung: "Das Forschungsprojekt «Sesam» der Universität Basel, das psychischen Erkrankungen auf die Spur kommen will, könne starten. Das vermeldete gestern das Regionaljournal Basel. Die Projektleitung akzeptiere alle Auflagen der Ethikkommission beider Basel. Die wichtigste Korrektur, welche die Ethikkommission beim Langzeitprojekt vorgenommen hatte, war, dass Sesam nicht mit DNA-Proben von Neugeborenen arbeiten dürfe, also deren Erbgut nicht in die Untersuchung miteinbeziehen dürfe. Aber auch mit dieser Einschränkung wurde die Studie bis anhin noch nicht freigegeben, weil die Kommission noch weitere Forderungen stellte. Nun wird die Sesamleitung laut Jürgen Drewe, Vizepräsident der Ethikkommission, alle Auflagen akzeptieren. Im Herbst wolle die Projektleitung mit Sesam starten, hiess es im «Regi»."

NZZ: "«Sesam», das von der psychologischen Fakultät der Universität Basel geplante Projekt zur Ergründung der Ursachen psychischer Krankheiten, kann wohl schon bald in Angriff genommen werden. Ein Projekt-Sprecher bestätigte einen Bericht des «Regionaljournals» von Radio DRS, wonach die «Sesam»-Leitung die von der Ethikkommission beider Basel (EKBB) gemachten Auflagen vollumfänglich akzeptiert hat. Eine formelle Zustimmung der Kommission liegt zwar noch nicht vor; bei den Verhandlungen hat man dem Vernehmen nach aber eine Einigung erzielt, so dass mit einem baldigen Plazet der EKBB zu rechnen ist. Das Rekrutierungs-Prozedere könnte so noch vor dem Herbst beginnen.
Bereits im März hatte die Kommission bekanntgegeben, unter welchen Voraussetzungen sie dem Vorhaben zustimmen würde. Sie hatte verlangt, dass im Rahmen der vorgesehenen Untersuchung, bei der 3000 Individuen von der Geburt bis ins Erwachsenenalter beobachtet werden sollen, auf eine DNA-Analyse bei Kindern zu verzichten sei. Nach dem Abhalten weiterer Gespräche ist in diesem Punkt nun eine Präzisierung vorgenommen worden. «Sesam» sieht vor, dass auch epigenetische Studien durchgeführt werden sollen, dass also auch jener Teil der DNA untersucht wird, der nicht fix ist, sondern sich im Laufe des Lebens verändert. Um zu sinnvollen Erkenntnissen zu gelangen, müssen diese Informationen durch Speichelproben bereits bei den Neugeborenen gesammelt werden - ein Wunsch, den die EKBB wiederum sehr skeptisch beurteilte. Der gefundene Kompromiss besagt nun, dass die Speichelproben den Säuglingen zwar entnommen werden dürfen, dass sie aber in einer externen Datenbank aufzubewahren sind. Über die Modalitäten der Analysen, die mit den Proben vorgenommen werden, soll später entschieden werden.
In der Zwischenzeit ist auch klar, dass die Finanzierung der ersten Phase von «Sesam», die insgesamt 22 Millionen Franken kosten wird, gesichert ist. Nach dem Bekanntwerden der einschränkenden Auflagen der EKBB hatte man zu werweissen begonnen, ob der Pharmakonzern Roche, der für das Projekt 6 Millionen in Aussicht gestellt hatte, weiterhin an einer Beteiligung interessiert sei. Mittlerweile hat das Unternehmen seine Zusage bestätigt. Die übrigen 16 Millionen werden vom Schweizerischen Nationalfonds und von der Universität Basel getragen."

Donnerstag, 3. Mai 2007

"Facts" über sesam: "Massnehmen für das Seelenheil"

In der aktuellen Nummer berichtet Andrea Strässle von Facts über Sesam:

Kinder unter Beobachtung: Was braucht der Mensch für eine gesunde psychische Entwicklung?

Schweizer Wissenschaftler wollen 3000 Kinder samt Eltern und Grosseltern 20 Jahre lang intensiv ausforschen. Sie stossen auf heftigen Widerstand.

Stellen Sie sich vor: Es beginnt, als Sie sich, gerade mal 15 Zentimeter gross, im Mutterbauch räkeln. Forscher beugen sich über Ultraschallbilder von Ihnen, lauschen Ihren fötalen Herztönen. Später werden Sie Jahr für Jahr vermessen, untersucht, auf Herz und Hirn getestet. Während Sie dem ersten Schultag entgegenzittern, den ersten Liebeskummer durchleiden, ins Berufsleben einsteigen, werden Sie beobachtet, werden Essgewohnheiten, Fernsehkonsum und Sozialkompetenz säuberlich notiert. Nein, es geht weder um eine neue Big-Brother-Staffel noch um ein Sequel zum Film «The Truman Show». Das Szenario umschreibt das Schweizer Grossprojekt Sesam, das diesen Sommer starten soll. Psychologen, Neurowissenschaftler, Soziologen, Mediziner und Biologen wollen während 20 Jahren die gesundheitliche Entwicklung von 3000 Kindern ab der 20. Schwangerschaftswoche, von deren Eltern und Grosseltern verfolgen. Die Forscher treibt eine drängende Frage: Was braucht der Mensch für eine gesunde psychische Entwicklung?

Laut Weltgesundheitsorganisation werden Depressionen bis 2020 der zweithäufigste Grund vorzeitiger Sterblichkeit und massiver Lebensbeeinträchtigung sein. «Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens an einer psychischen Störung zu erkranken, liegt hier zu Lande bei 49 Prozent», sagt Sesam- Direktor Jürgen Margraf, Psychologe an der Universität Basel, Sesams Mutterhaus. Um Depressionen, Angst- oder Sucht– erkrankungen wirksam vorzubeugen und sie optimal zu behandeln, fehlt es an Wissen: Was sind Ursachen und Auslöser? Und vor allem: Was ist es, das die psychisch Gesunden gesund hält?

12 000 Protest-Unterschriften

Diese Wissenslücken will das in seiner Ausrichtung weltweit einzigartige Projekt Sesam füllen: mit Ultraschall, Verhaltensbeobachtungen, Tests zur geistigen und körperlichen Entwicklung, Speichel-, Blutund Urinproben, Interviews und Stapeln von Fragebögen. Wie oft haben Mutter und Säugling Blickkontakt? Wie oft sieht die Grossmutter ihre halbwüchsige Enkelin? Was isst der Bub zum Frühstück? All das könnte eine Rolle spielen und muss folglich protokolliert werden. Studienleiter Margraf hofft auf Daten von 3000 Kindern, 5000 Eltern und 7000 Grosseltern.

Ein derart ehrgeiziges Vorhaben sorgt für Aufregung. Im Laufe der bald zweijährigen Planungsphase schlug Sesam massive Kritik entgegen. Der Basler Appell gegen Gentechnologie sammelte 12 000 Unterschriften gegen das Projekt. «Kinder dürfen nicht zu Forschungsobjekten gemacht werden», hiess es im Petitionstext. «Forschung am Kind, die diesem keinen direkten Nutzen bringt, ist ethisch fragwürdig», sagt Gabriele Pichlhofer vom Basler Appell. Ein Beitrag des Pharmaunternehmens Roche in die Sesam-Kasse machte die Kritiker zusätzlich hellhörig. «Wer garantiert, dass die Daten – unter anderem sensible Erbgutinformationen – nicht plötzlich der Pharmaindustrie in die Hände fallen?», fragt Pichlhofer.

Sesam wird gar vorgeworfen, eine rechtliche Grauzone auszunützen. Das Projekt schaffe ein Präjudiz für das Humanforschungsgesetz, das unter anderem die Forschung an Kindern auf Bundesebene regeln will. Das Gesetz war letztes Jahr in der Vernehmlassung und dürfte frühestens 2010 in Kraft treten. Bis dahin lässt sich unter Juristen trefflich streiten, ob und unter welchen Bedingungen die so genannte drittnützige Forschung am Kind, wie Sesam sie plant, erlaubt ist oder nicht.

Bei all der Aufregung ist eines vergessen gegangen: Drittnützige Forschung am Kind ist Alltag in der Schweiz wie im Ausland, seit Jahrzehnten – und ohne dass sich bislang jemand daran gestört hätte. Tatsache ist: Was wir heute an gesichertem Wissen über die Entwicklung von Kindern haben, stammt grösstenteils aus ebensolchen Studien.

Ein Beispiel sind die Zürcher Langzeitstudien, die bislang bedeutendste Langzeituntersuchung zur kindlichen Entwicklung im deutschen Sprachraum: Seit 1954 untersuchen Wissenschaftler an über 700 Kindern die Entwicklung von der Geburt bis ins Erwachsenenalter. Protokollierten die Forscher am Anfang nur das Wachstum, kamen später auch Motorik, Sprache, Kognition, Blasen- und Darmkontrolle sowie das Schlafverhalten hinzu.

Der Erzieher der Nation

Während über drei Jahrzehnten leitete der Zürcher Kinderarzt Remo Largo das Projekt. Die Forschungsergebnisse speisten seine Bücher «Babyjahre» und «Kinderjahre», die ihn zum Erzieher der Nation machten. Für ihn ist klar: «Ohne die Zürcher Langzeitstudien gäbe es diese Bücher nicht.»

Largos Team zeigte erstmals, wie verschieden sich gesunde Kinder entwickeln. Ob ein Kind mit 11 Monaten schon durch die Stube tapst oder erst mit 17 Monaten gehen lernt, macht es keinesfalls zum Genie oder zum Spätzünder auf Lebenszeit. «Ist die Bandbreite des Normalen bekannt, entlastet das die Eltern von Normvorstellungen und verhindert unnötige erzieherische oder therapeutische Massnahmen», erklärt Largo.

Ein Blick über die Landesgrenze zeigt: Im englischen Sprachraum haben Langzeitstudien an Kindern eine besonders reiche Tradition. Grossbritannien lancierte seine erste nationale Geburtskohortenstudie mit sämtlichen Kindern, die innerhalb einer Märzwoche des Jahres 1946 zur Welt kamen. Sie gehört zu den am längsten laufenden Studien zur menschlichen Entwicklung weltweit. Ihre Ergebnisse prägen das britische Gesundheitswesen bis heute.

Auch die USA erkannten früh das Potenzial derartiger Entwicklungsstudien. Im Collaborative Perinatal Project (CPP) wurden zwischen 1959 und 1965 über 40 000 werdende Mütter rekrutiert und schon während der Schwangerschaft untersucht. Die Liste der Ergebnisse ist lang. Über 400 wissenschaftliche Veröffentlichungen basieren auf CPP-Daten – und immer noch kommen neue hinzu. Die Studie entdeckte zum Beispiel, dass Röteln bei Schwangeren zu schweren Geburtsschäden beim Kind führen kann. Weiter identifizierten die Forscher eine Reihe von Medikamenten, die das Ungeborene schädigen. Es zeigte sich, dass einer der Hauptauslöser von Frühgeburten eine Entzündung der Plazenta ist, dass die Ursachen für eine zerebrale Kinderlähmung häufiger in der Schwangerschaft als in der Geburt liegen – und vieles mehr.

Die derzeit grösste und am ehesten mit Sesam vergleichbare Langzeitstudie an Kindern läuft in der Region Avon in Grossbritannien: Das Projekt namens Alspac begleitet über 14 000 Kinder, die Anfang der Neunzigerjahre geboren wurden, und deren Eltern. Unter dem Slogan «Working towards a better life for future generations» will Alspac möglichst alle sozialen, psychologischen, umweltabhängigen und genetischen Einflüsse auf die Entwicklung von Kindern aufdecken. Die Ausbeute ist reich: Über 260 wissenschaftliche Publikationen sind bisher veröffentlicht worden. Beispielsweise zeigte die Studie, dass Schlafen in Bauchlage das Risiko für den plötzlichen Kindstod erhöht. Nach Informationskampagnen sanken die Fälle von plötzlichem Kindstod in Grossbritannien um mehr als die Hälfte. «Derartige Zusammenhänge lassen sich ohne Langzeitstudien nur schwer dokumentieren», sagt Dieter Wolke von der Universität von Warwick, ehemaliger stellvertretender Direktor von Alspac und Mitantragsteller von Sesam.

Weitere Ergebnisse von Alspac: Die Einnahme des Schmerzmittels Paracetamol im letzten Schwangerschaftsdrittel erhöht das Risiko, dass das Kind an einer frühen Form von Asthma erkrankt. Gestillte Kinder haben einen tieferen Blutdruck. Kinder, die früh in den Kindergarten kommen, entwickeln sich genauso gut wie Kinder, die länger bei der Mutter bleiben. Nicht zu viele Kalorien, sondern zu wenig körperliche Aktivität sind hauptverantwortlich für Übergewicht. Und Kinder in ausserordentlich sauberen Haushalten entwickeln eher Asthma.

Aufschrei der Empörung

Im Alspac-Programm findet selbst jene Forschung problemlos statt, über die Sesam beinahe gestolpert wäre: Die Engländer beziehen – mit dem Einverständnis der Eltern – die genetischen Daten ihrer Teilnehmer mit ein. Aus Blutzellen von Mutter und Kind züchten die Wissenschaftler Zelllinien, die einen unerschöpflichen Vorrat an DNA garantieren.

In der Schweiz führten ähnliche Pläne zu einem Aufschrei der Empörung: Eltern hätten kein Recht, das Erbgut ihrer unmündigen Kinder für Forschungszwecke freizugeben. Das ganze Projekt drohte in einem einzigen Tumult um die Reizwörter «Kind» und «Gen» zerfetzt zu werden.

Erst eine besonnene Entscheidung der Ethikkommission beider Basel brachte das schlingernde Schiff wieder auf Kurs. Das Gremium genehmigte das Projekt Sesam samt DNA-Untersuchungen, erlaubt diese aber nur an Erwachsenen. Wollen die Sesam-Forscher nebst der Eltern-DNA auch das Erbgut der Sprösslinge analysieren, müssen sie sich bis zu deren Volljährigkeit und Einverständnis gedulden. Damit kommt Andreas Papassotiropoulos, der beim Sesam-Projekt für die Genetik zuständig ist, gut zurecht: «In erster Linie interessiert mich die DNA der Erwachsenen.»

Der Molekularpsychologe kann im Gespräch nicht verbergen, wie sehr ihn die Feindseligkeit überrascht hat, die Sesam und besonders seinem Teilprojekt entgegenbrandet. Es gehe bei seiner Studie keineswegs darum, auf Grund irgendwelcher Gene Menschen zu identifizieren, die einmal an Angststörungen oder Depression erkranken dürften. «Das ist gar nicht möglich: Zum einen gibt es kein simples Angst- oder Depressionsgen, zum andern ist die Biologie nur ein Faktor von vielen, die bei einer psychischen Erkrankung mitspielen.»

Papassotiropoulos versteht die Genetik vielmehr als Werkzeug, um Moleküle aufzuspüren, die in irgendeiner Art mit psychischen Störungen zu tun haben. «Daraus ergeben sich Hinweise, wo weitere Forschungsprojekte ansetzen können.»

Nach der Auflage der Ethikkommission zu den Erbgutuntersuchungen sind die Sesam- Kritiker aber längst nicht verstummt. Die drittnützige Forschung am Kind steht weiterhin im Kreuzfeuer. Der Basler Appell fordert gar, das «Prestigeprojekt» nun ganz abzublasen, und droht mit rechtlichen Schritten.

«So etwas habe ich bei der Vorbereitung einer neuen Studie noch nie erlebt», sagt der Experte für Langzeitstudien, Dieter Wolke. Das Drama stösst nicht nur bei den Beteiligten von Sesam auf Kopfschütteln. Die Sozial- und Präventivmedizinerin Ursula Ackermann-Liebrich etwa staunt: Bis heute würden zahlreiche Therapien an Kindern durchgeführt, deren Nutzen und Wirksamkeit wissenschaftlich nicht belegt seien. «Da schreit kein Mensch. Aber wenn Forscher das Wissen, das für wirksame Prävention oder Therapien notwendig ist, vermehren wollen, dann schreit man laut.» Die Professorin der Universität Basel leitete jahrelang die Basler Kindergartenstudie, eine Langzeituntersuchung zur Entwicklung von Schweizer Kindern und italienischen Migrantenkindern. «Auf fremdnützige Forschung zu verzichten, weil das Kind vielleicht keinen unmittelbaren Nutzen hat, beruht auf einer naiven Vorstellung von Forschung.»

Kommt hinzu, dass ein fehlender unmittelbarer Nutzen nicht automatisch bedeutet, dass die Teilnehmer als Versuchskaninchen missbraucht werden. Wie liesse sich sonst erklären, dass die Teilnahmeraten von grossen Langzeitstudien nach Jahrzehnten noch bei 80 Prozent oder sogar höher liegen? Einmal rekrutiert, bleiben die Teilnehmenden «ihrer» Studie treu. «Wir haben Familien, die ins Ausland gezogen sind und trotzdem jedes Jahr zur Untersuchung anreisen», sagt Jennie Cross, Koordinatorin bei Alspac. Kinder wie Eltern ziehen oft einen ganz persönlichen Gewinn aus ihrer Teilnahme – oder haben schlicht ihren Spass daran.

Mühe mit Herausragendem

Was bleibt dann noch übrig als Grund für die Ablehnung von Sesam? Dieter Imboden, Präsident des Nationalen Forschungsrats des Schweizerischen Nationalfonds, ortet das Problem im typisch schweizerischen Misstrauen gegenüber grossen Würfen. «Wie kaum anderswo haben wir Schweizer offensichtlich Mühe mit dem Umgang und der Akzeptanz von Herausragendem, betreffe dies Personen oder Ideen», sagte er an einer Medienkonferenz. Kritiker des Projekts sehen das anders: «Sesam will zu hoch hinaus und macht der Öffentlichkeit falsche Versprechungen», sagt die Basler Psychologin Ursula Walter.

Da sind die US-Amerikaner anders gestrickt. Sie planen ein Mega-Projekt, neben dem Sesam sich wie eine Fallstudie ausnimmt: Die National Children’s Study soll im ganzen Land 100 000 Kinder von der frühen Schwangerschaft bis zum 21. Geburtstag verfolgen. Die Studie hätte dieses Jahr starten sollen, doch nach einer Kürzung der staatlichen Mittel fehlt es am nötigen Kleingeld: Das Projekt dürfte über 25 Jahre hinweg mindestens 3,7 Milliarden Dollar kosten.

Eine zweite Erklärung für den Widerstand liegt im zeitlichen Zusammentreffen mit der Diskussion um das neue Humanforschungsgesetz: Sesam bietet sich rigorosen Gentechgegnern und Kritikern drittnütziger Forschung mit Kindern an, um ein Exempel zu statuieren. Oder wie der stellvertretende Sesam-Direktor Alexander Grob es formuliert: «Wir sind in eine unglückliche Zeit hineingekommen und müssen den Kopf hinhalten für Dinge, die mit Sesam wenig zu tun haben.»
Projekt-Finanzen: Roche setzt Fragezeichen
Das ursprüngliche Budget für den Zeitraum von 2005 bis 2008 beträgt knapp 23 Millionen Franken. Davon entfallen 10 Millionen auf den Nationalfonds, der Rest auf die Universität Basel und Dritte. Unter Letzteren ist der Pharmakonzern Roche: Er sicherte Sesam letztes Jahr 6 Millionen Franken zu. «Roche stärkt mit diesem Engagement die Life Sciences am Forschungs- und Wirtschaftsstandort Basel und knüpft an die Unterstützung ausdrücklich keine weiteren Bedingungen», hiess es damals in einer Mitteilung der Uni Basel. Nach dem Wegfall von Erbgutuntersuchungen an Kindern will Roche, die ultraschnelle DNA-Analysegeräte vertreibt, ihr Engagement jedoch überdenken. «Wir stehen mit der Universität im Gespräch», bestätigt Roche-Sprecherin Katja Prowald.

Dienstag, 17. April 2007

Sesam: "Basler Appell gegen Gentechnologie" verlangt Akteneinsicht

Der Appell publizierte heute das folgende Communiqué:
Schluss mit der Geheimnistuerei bei SESAM: Basler Appell gegen Gentechnologie fordert umfassende Akteneinsicht

Vor einem Monat wurde das Forschungsprogramm SESAM mit drastischen Abstrichen und unter Auflagen von der Ethikkommission Beider Basel (EKBB) zugelassen. Doch nach wie vor liegen Hintergrund und Pläne des umstrittenen Projekts im Dunkeln. Heute Dienstag hat deshalb der Basler Appell gegen Gentechnologie beim Staatssekretariat für Bildung und Forschung in Bern ein Gesuch um Akteneinsicht in Sachen SESAM gestellt. Unabhängig vom Entscheid der EKBB und einem möglichen baldigen Projektbeginn der Studie fordert der Verein Einsicht in sämtliche amtliche Dokumente, die im Zusammenhang mit dem nationalen Forschungsschwerpunkt SESAM beim Staatssekretariat vorliegen.

Der Basler Appell gegen Gentechnologie hat sich juristisch beraten lassen und beruft sich auf Art. 10 des Bundesgesetzes über das Öffentlichkeitsprinzip in der Verwaltung (BGÖ), das seit dem 1. Juni 2006 in Kraft ist. Danach kann jede Person ein Gesuch auf Akteneinsicht bei einer öffentlichen Verwaltung stellen. Des Weiteren berufen wir uns auf Art. 6 BGÖ, nach dem jeder Person das Recht gewährt wird, amtliche Dokumente einzusehen und von den Behörden Auskünfte über den Inhalt amtlicher Dokumente zu erhalten. Die Dokumente können vor Ort eingesehen werden oder es können Kopien davon angefordert werden.

Unter anderem geht es uns um die Vertragsdetails. Das Forschungsprojekt SESAM hat vom Schweizerischen Nationalfonds für die erste Projektphase einen Betrag von 10,2 Millionen Franken erhalten. Zu erwarten ist, dass über die Zahlung dieser Summe ein Vertrag besteht. Der Basler Appell kritisiert die Vergabe von Projektgeldern, die seit zwei Jahren an ein ethisch und rechtlich fragwürdiges Projekt fliessen. Es handelt sich um öffentliche Gelder, insofern fordern wir an dieser Stelle Transparenz über die Verwendung der Mittel und in der Frage, ob das Projekt auch nach den massiven Abstrichen durch die EKBB noch dem Vertrag entspricht.

Zudem verfügt SESAM nach eigenen Angaben über Eigen- und Drittmittel in Höhe von 12'500'786 Franken. Der Basler Appell geht auch hier davon aus, dass Verträge bestehen. Insbesondere verlangen wir Akteneinsicht in sämtliche Abkommen, die zwischen der Firma Hoffmann-La Roche und dem Nationalen Forschungsschwerpunkt SESAM oder der Universität Basel geschlossen wurden.

Schliesslich geht der Basler Appell gegen Gentechnologie davon aus, dass das in den Medien thematisierte, aber nie publizierte Rechtsgutachten von Prof. Reinhard J. Schweizer dem Staatssekretariat für Bildung und Forschung vorliegt. Deshalb fordern wir ebenfalls Einsicht in dieses Gutachen.

Die Erkenntnisse aus der Akteneinsicht können Basis für juristische Schritte des Basler Appells gegen Gentechnologie sein.

Dienstag, 3. April 2007

NZZ-Leserbrief: "Ohrfeige für Sesam"

NZZ 3.4.07, S. 17:

Kürzlich hat die Ethikkommission beider Basel, die das Forschungsprojekt «Sesam» zu beurteilen hatte, beschlossen, das Projekt nur unter Auflagen zuzulassen; so wird man u. a. auf die DNA-Untersuchung bei Kindern verzichten müssen (NZZ 20. 3. 07). Nach Meinung der Kommission könnte die Offenbarung genetischer Informationen für Jugendliche zu einer lebenslangen Belastung werden, was wohl auch zu psychischen Erkrankungen führen könnte - die Studie hätte somit selber produziert, was sie erforschen wollte. Und wie reagieren die «Sesam»- Verantwortlichen auf diese Ohrfeige? Der Vizedirektor habe sich «ausserordentlich glücklich» über den «grosso modo positiven Entscheid» gezeigt, heisst es im Bericht. Einzige Sorge ist, dass die Auflagen der Kommission zu höheren Kosten führen werden. Dass den Forschern die kritischen Gedanken nicht selber gekommen sind, ist offenbar nicht der Rede wert. Scham gehört nicht ins Repertoire der positivistischen Universitäts-Psychologen. Wenn das psychische Gesundheit ist, brauchen wir keine psychischen Krankheiten mehr.

Dr. med. Christoph Zimmermann, Psychoanalytiker, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (Bern)

Mittwoch, 28. März 2007

Interview mit Jürgen Margraf zu Sesam

Die Aargauer Zeitung und die ihr angeschlossenen Regionablätter publizierten in den letzten Tagen dieses Interview in dieser oder einer leicht redigierten Fassung:

«Wir wollen doch etwas Gutes tun»

Jürgen Margraf, Leiter der Studie Sesam, die mit 15 000 Teilnehmern herausfinden will, welche Ursachen zu einer gesunden psychischen Entwicklung führen, ist zuversichtlich, das Projekt in den nächsten Wochen starten zu können.
Mit Jürgen Margraf sprach David Sieber


Herr Margraf, haben Sie Kinder?

Jürgen Margraf: Ja, zwei. Die Tochter ist zehn, und der Sohn geht schnell auf die 16 zu.

Würden Sie Ihre Kinder an einem Projekt wie Sesam teilnehmen lassen?

Margraf: Selbstverständlich. Ich würde bei meiner Arbeit nichts tun, was ich nicht in meinem Umfeld machen würde. Untersuchungen an Erwachsenen und Kindern sind Alltag. In der Pädagogik, der Pädiatrie und eben in der Entwicklungspsychologie haben solche Studien eine lange Tradition.

Hätten Sie auch keine Bedenken, an Ihren unmündigen Kindern DNA-Analysen durchführen zu lassen?

Margraf: Da hätte ich überhaupt keine Bedenken. Denn es besteht kein Risiko. Sesam beschäftigt sich mit dem ganzen Menschen, seinem Körper und seinem Geist. Gene sind nur ein Baustein des Lebens. Die DNA-Analysen, die wir planen, sollen helfen, genauer zu verstehen, welche Prozesse bei psychischer Gesundheit und Krankheit eigentlich ablaufen. Es geht nicht darum, das Gen gegen Depression zu finden. Das gibt es ohnehin nicht. Uns interessiert: Wie wirken Umwelt und Erbgut zusammen?


Nun will die Ethikkommission beider Basel aber nicht, dass Kinder zu einer DNA-Analyse herhalten müssen ...


Margraf: ... selbst, wenn die Eltern einverstanden sind, ja. Diese Auflage hat die Kommission uns gemacht. Und daran halten wir uns. Wir machen die Analysen nun erst, wenn die Kinder im Alter von 18 ihr Einverständnis dazu geben.

Bricht damit der Kern der Studie weg, wie Sesam-Kritiker meine
n?

Margraf: Nein. Der Entscheid tangiert die Studie nur zeitlich. Die Bandbreite unserer Forschung reicht von der Biologie und Genetik über die Psychologie bis zur Soziologie. Die Genetik macht nur etwa fünf Prozent unseres Budgets von rund 21 Millionen Franken für die ersten vier Jahre aus. Und nur ein Prozent war für DNA-Analysen an den Kindern vorgesehen. Wir werden etwa 5000 Eltern, 7000 Grosseltern und 3000 Kinder bei Sesam mit dabeihaben. Bei den 12 000 Erwachsenen können wir die DNA-Analysen sofort durchführen. Weil die Korrelationen mit Krankheiten sich ohnehin erst im Erwachsenenalter zeigen, können wir mit der Empfehlung der Ethikkommission gut leben.

Die Kritik an Sesam war laut und fundamental. Hat Sie das überrascht?

Margraf: Dass das Interesse gross ist, habe ich erwartet. Ich konnte die Kritik teilweise verstehen, doch die Lautstärke und die teils fundamentalistischen Argumente haben mich erstaunt. Dabei geht es uns doch darum, etwas Gutes zu tun. Wir wollen verstehen, wie sich Menschen gesund entwickeln. Gesundheit ist für die Menschen eines der höchsten, für einige gar das höchste Gut. Die Psychologie hat gezeigt, dass die Menschen trotzdem dazu neigen, zu lange zu warten und ihr Verhalten erst ändern, wenn die Erkrankung da ist. Es ist deshalb wichtig, dass sich die Menschen frühzeitig um ihre Gesundheit kümmern. Und deshalb müssen wir verstehen, welche Pfade zu einem gesunden Leben führen und welche Pfade vor der Krankheit gegangen worden sind.

Weshalb haben Sie so lange mit Informationen gegeizt und nicht einfach den ganzen Projektbeschrieb veröffentlicht?


Margraf: Das ist international nicht üblich. Zum einen muss man die im Antrag enthaltenen Ideen schützen, vor allem aber werden bei derartigen Studien die Details erst in einer intensiven Vorbereitungsphase ausgearbeitet. Da hätte es schnell Verwirrung gegeben, wenn verschiedene Zwischenstände nebeneinander gestanden hätten. Nachdem diese Vorbereitungen nun abgeschlossen sind, können wir nun mit Foren starten, wo wir der Öffentlichkeit Red und Antwort stehen.

Sesam wurde zu Anfang sinngemäss als Beitrag zur psychischen Gesundung der Schweiz angepriesen, wovon auch die Wirtschaft profitiere. Der Pharmamulti Roche unterstützt das Projekt mit sechs Millionen Franken. Wundert Sie da der Einwand, bei Sesam gehe es vorab darum, die Grundlagen für neue Therapieformen und Medikamente zu schaffen, um damit Geld zu verdienen?

Margraf: Ich persönlich finde, neue Therapieformen wären sehr sinnvoll. Denn die Vorhandenen sind bei weitem nicht perfekt. Ich kenne auf meinem Gebiet, der Psychotherapie, keine Methode, die hundertprozentig wirkt. Es ist aber nicht gesagt, ob und in welchen Bereichen Sesam solche neuen Möglichkeiten eruieren wird. Zum Beispiel: Ein Grund für den Anstieg der Angst, den wir in den westlichen Industriestaaten - und da besonders stark bei Kindern - beobachten, ist in der Veränderung der zwischenmenschlichen Beziehungen zu sehen. Die Scheidungsrate steigt, die Menschen heiraten immer später, die Erstgebärenden werden immer älter, und die Geburtenrate ist niedrig. Allgemein nimmt die soziale Verbundenheit ab - der wichtigste Schutzfaktor für das Individuum überhaupt.

Warum ist das so?

Margraf: Das hat mit gesellschaftlichen Werten und Normen, mit ökonomischen, aber auch mit psychologischen Faktoren zu tun. Ich glaube nun wirklich nicht, dass daran eine Veränderung der Genetik schuld ist. Wenn ich etwas gegen diese Entwicklung tun will, dann muss ich auf der gesellschaftlichen Ebene ansetzen und wohl kaum mit Therapien und Medikamenten. Wenn es aber aufgrund unserer Forschung neue Medikamente gibt, ist das auch eine gute Sache. Denn auch die Medikamente können noch deutlich verbessert werden, weil sie in Bezug auf Nebenwirkungen und Abhängigkeiten Probleme machen. Es hat in diesem Bereich seit Jahrzehnten keine grossen Fortschritte gegeben. In erster Linie geht es uns aber darum zu verhindern, dass das Kind überhaupt in den Brunnen fällt.

Und das schaffen Sie mit der Beobachtung von 15 000 Menschen über drei Generationen hinweg?

Magraf: Wir hoffen, die Exzesse, wie krankhafte Depressionen, in den Griff zu bekommen. Um normale Durchhänger, die wie die Grippe zu unserm Leben gehören, geht es nicht. Es ist aber wichtig zu verstehen, wie solche Durchhänger entgleiten. Vermutlich spielen sich in diesen Fällen Aufschaukelungsprozesse ab. Es ist sicher nicht so, dass die betroffenen Personen grundsätzlich anders als andere Menschen sind.

Und bei diesen Aufschauklungsprozessen spielen dann die biologischen, genetischen, psychologischen und sozialen Faktoren eine Rolle?

Margraf: Genau. Das macht es so schwer, hier voranzukommen. Deshalb Sesam, wo zum Beispiel die Kollegen von der Soziologie mit jenen von der Molekulargenetik zusammenarbeiten. Da hatten wir mit unserem Projekt zunächst das Problem, dass es gesellschaftliche und wissenschaftliche Moden gibt. Gegenwärtig ist es gerade in, nicht auf die Gesellschaft, sondern auf das Individuum zu gucken. Und beim Individuum guckt man auf die Biologie und nicht auf psychosoziale Anteile. Konkret hält man derzeit grosse Stücke auf Gehirnbilder. Man sucht nach dem Gottesgen und behauptet, weil in einem spezifischen Teil etwas leuchtet, nun zu wissen, weshalb der Mensch religiös ist. Das ist Unfug. Natürlich «leuchtet» etwas im Gehirn beim Denken. Aber das ist doch keine Ursache, sondern eine Korrelation. Und weil dies gerade Mode ist, ist es auch einfacher, dafür Geld zu erhalten als für die Soziologie. Das Besondere an Sesam ist nun, dass wir all die Disziplinen zusammenbringen.

Dem Nationalfonds, Ihrem Hauptgeldgeber, wird vorgeworfen, Naturwissenschaften gegenüber Geisteswissenschaften zu bevorzugen. Sesam erhielt nicht zuletzt wegen dieser Kritik den Zuschlag, worauf es wiederum hiess, Ihr Projekt sei eigentlich auch hauptsächlich naturwissenschaftlich.


Margraf: Das ist das Problem, wenn man interdisziplinär arbeitet. In Sonntagsreden wird dieser Begriff immer wieder beschworen. In der Realität sind weder die Unis noch die Forschungsförderungen dieser Welt entsprechend organisiert.

Wie haben Sie die unterschiedlichen Forscher eigentlich zusammengebracht?

Margraf: Einfach wars nicht, wie überhaupt die ganze Vorarbeit weit aufwendiger war, als man sich vielleicht vorstellt. Aber die Einsicht, dass wir dieses wichtige Projekt nur gemeinsam in Angriff nehmen können, hat sich rasch durchgesetzt. Natürlich war und ist es für den einen oder anderen Forscher, der auf seinem Gebiet eine Kapazität ist, nicht ganz einfach, sich von einem Kollegen einer anderen Disziplin dreinreden zu lassen. Doch ist es unumgänglich, dass man sich bei einer Haupt- und zwölf Teilstudien immer wieder rückvergewissert. Dafür haben wir ein internes Begutachtungssystem. Bisher hats sehr gut geklappt. Die nächste Nagelprobe steht bevor, wenn dann die ersten Daten erhoben und ausgewertet werden.

Das heisst, wenn die 3000 Schwangeren rekrutiert sind. Ab wann werden diese gesucht?

Margraf: Wir werden in den nächsten Wochen, sobald wir die Vorgaben der EKBB umgesetzt haben, mit den Vorstudien beginnen können. Vorerst nur in Basel, weil in Bern, Zürich, Lausanne und Genf die dortigen Ethikkommissionen erst noch entscheiden müssen. Sobald wir überprüft haben, ob unsere Übungsanlage perfekt ist, sprechen wir Schwangere an, die in Frauenspitälern zu Routineuntersuchungen kommen, und fragen sie auch, ob wir den Vater und ihre Eltern einbeziehen dürfen. Danach fragen wir den Vater, ob wir seine Eltern kontaktieren dürfen. Ist alles geklärt, beginnen wir mit den Untersuchungen.

Wie muss man sich diese Untersuchungen genau vorstellen?


Margraf: Im Zentrum stehen die Mutter und ihr Kind. Während der Schwangerschaft haben wir zwei Untersuchungszeitpunkte. Dann schauen wir, wie die Geburt verlaufen ist. Denn daraus lassen sich wichtige Schlüsse ziehen. Eine Kollege, der bei Sesam dabei ist, hat zum Beispiel nachgewiesen, dass schwierige Geburten, die sowohl Mutter und Kind belasten - und ein wenig auch den Vater, wie ich aus eigener Erfahrung weiss -, zu bestimmten Interaktionsmustern führen, die noch Jahre später festgestellt werden können. Danach sehen wir die Familien, wenn die Kinder sechs, zwölf und 24 Monate alt sind, bevor wir auf einen Zwei-Jahres-Rhythmus wechseln. Dabei geht es um Meilensteine der Entwicklung, also wann die Kinder zum ersten Mal sprechen, sitzen und gehen.

Was machen Sie mit den Kindern?

Margraf: In den ersten Lebensjahren studieren wir ihr Verhalten und ihr Umfeld, stellen etwa fest, wo und wie sie wohnen, ob es dort zum Beispiel wegen des Verkehrs laut und ob die Luft schlecht oder gut ist. Uns interessiert aber auch die Feinfühligkeit der Mütter. Nehmen sie wahr, was das schreiende Kind will? Sehr wichtig sind auch der Umgang mit alltäglichen Anforderungen und die gegenseitige Unterstützung zwischen Generationen.

Dazu sprechen Sie mit Müttern, Vätern und Grosseltern?

Margraf: Wir fragen nach besonderen Ereignissen, nach dem Umgang mit Stresssituationen und vielem mehr. Die Grosseltern interviewen wir weniger oft, was aber vorab pragmatische, sprich finanzielle Gründe hat. Wichtig sind ihr Wohlbefinden, ihre Werte, ihre Gesundheit - und welchen Einfluss das nun auf die Eltern und die Kinder hat. Umgekehrt aber auch, welchen Einfluss die Eltern und die Kinder auf die Grosseltern haben.

Wie aussagekräftig kann Sesam überhaupt werden? Sie müssen ja zum Beispiel in jenen Fällen eingreifen, wo eine akute Gefährdung besteht.

Margraf: Das ist klar. Auch bei Offizialdelikten wie häuslicher Gewalt sind wir verpflichtet einzugreifen. Bei normalen Problemen müssen wir das aber nicht. Denn die haben wir alle. Menschen bewältigen ihre Probleme meist selbst. Geht es um körperliche Probleme, so werden wir die nicht feststellen können, wenn sie genetisch bedingt sind. Weil wir die dafür erforderlichen Gentests nicht machen.

Die Sesam-Probanden wissen, dass sie an einer Untersuchung teilnehmen. Beeinflusst das nicht zwangsläufig das Ergebnis?

Margraf: Da hat man internationale Erfahrungswerte, mit denen man dieses Phänomen beurteilen kann. Zudem fragten wir Kollegen, die Erfahrung mit Langzeitstudien haben, wie ihre Teilnehmer reagiert haben. Die Antwort: neutral bis positiv. Nicht wenige hätten ihr Mehrwissen zur Verbesserung der eigenen Situation genutzt - oder schlicht vergessen, dass sie überhaupt teilgenommen haben.

Wie repräsentativ für die Schweizer Bevölkerung wird Sesam sein?

Margraf: Unsere Stichprobe kann nicht repräsentativ sein: Die Teilnahme ist freiwillig, wir arbeiten mit Frauenspitälern zusammen, wo längst nicht alle Schwangeren zur Vorsorge hingehen, und die Probanden müssen über einigermassen gute Deutsch- oder Französischkenntnisse verfügen, damit sie die Fragebögen ausfüllen können. Aber wir machen ja auch keine Quer-, sondern eine Längsschnittstudie. Und da versucht man in die Zukunft gerichtet zu schauen, wie sich Menschen entwickeln. Entscheidend dabei ist, wie viele bis zum Schluss dabeibleiben. Wir erwarten, dass es über 70 Prozent sein werden.

Und wo werden Sie in 20 Jahren sein?

Margraf: Im Ruhestand - und hoffentlich mit Neugier verfolgen, was die Jüngeren Spannendes tun.
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Sesam Watch

Beobachtungen und Notizen zum Schweizer NCCR "Sesam", der 3'000 Kinder und ihr Umfeld vom ersten Ultraschallbild an 20 Jahre lang beobachten wollte (vorzeitiger Abbruch: 13.3.08). Autonom, skeptisch, ehrenamtlich. Kontakt: sesamwatch@gmail.com

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