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-+-+-+-+-+-+-+-

Margraf

Montag, 12. Juni 2006

Margraf in NZZ am Sonntag: "das Zusammenspiel von Erbe und Umwelt"

NZZ am Sonntag, 11.06.2006, Ressort Wissen, Autorin: Irene Dietschi, Hervorhebungen durch Sesam Watch

«Uns geht es um das Zusammenspiel von Erbe und Umwelt»

Jürgen Margraf leitet das Forschungsprojekt «Sesam»: 3000 Kinder sollen vorgeburtlich und bis zum 20. Lebensjahr untersucht werden, um die Entstehung von psychischer Gesundheit besser zu verstehen. Gentech-Gegner werfen dem Projekt «eugenische Tendenzen» vor. Der Angegriffene antwortet.

NZZ am Sonntag: Herr Professor Margraf, warum braucht es eine Studie, welche die Entstehung psychischer Erkrankungen untersucht?

Jürgen Margraf: Psychische Gesundheit beeinflusst unser Wohlbefinden mehr als die körperliche. Störungen der psychischen Gesundheit treten im Lauf des Lebens bei jedem zweiten Menschen einmal auf, das heisst, jede Familie ist mehr oder minder betroffen. Psychische Gesundheit ist auch mit hohen Kosten verbunden, und es geht um die Frage, wie man den Betroffenen besser hilft. In der Schweiz gibt es jährlich etwa dreimal so viele Suizide wie Verkehrstote - rund 1500 gegenüber 500 -, und wenn man vergleicht, was aufgewendet wird, um Verkehrsunfälle beziehungsweise Suizide zu reduzieren, kommt man auf ein krasses Missverhältnis. Verkürzt gesagt sind es Milliarden gegen ein paar Telefon-Hotlines. Das ist nicht gerechtfertigt und wird dem Leiden der Angehörigen nicht gerecht.

NZZ am Sonntag: Was hat das Projekt «Sesam» also vor?

Jürgen Margraf: «Sesam» möchte drei Dinge tun: Erstens herausfinden, welches die Schutzfaktoren sind, die psychische Gesundheit bewirken. Diese werden in der Forschung viel zu wenig berücksichtigt, deshalb sind sie unser erstes Ziel. Das zweite: Wir wollen die kritischen Konstellationen im Lebenskontext verstehen, und zwar in der ganzen Bandbreite, von der Biologie bis zur Soziologie. Wir isolieren nicht einzelne Faktoren, sondern es geht um das Zusammenspiel. Denn es gibt viele Gründe für die Annahme, dass sich die verschiedenen Faktoren in ihrer Gesamtheit gegenseitig beeinflussen. Der dritte Punkt schliesslich ist eigentlich der Sinn des Ganzen: Was wir tun, soll Grundlagen liefern für ein besseres Verständnis, aber auch für eine bessere Prävention und Therapie psychischer Störungen.

NZZ am Sonntag: Nehmen psychische Erkrankungen zu?

Jürgen Margraf: Die Bedeutung psychischer Störungen nimmt zu - was nicht automatisch heisst, dass auch die Häufigkeit steigt. Wenn etwa Infektionskrankheiten seltener werden, steigt die relative Bedeutung anderer Krankheiten. Ein anderer Aspekt: Die ökonomischen Bedingungen sind härter geworden, das heisst, Firmen können es sich weniger leisten, «schwierige» Angestellte an Bord zu behalten. Deshalb haben wir einen sehr starken Anstieg der IV-Renten aufgrund psychischer Störungen. Ob Depressionen häufiger geworden sind, ist unter Experten umstritten, mit Sicherheit zugenommen haben aber die Angststörungen. Ursachen sind unter anderem die angestiegenen Scheidungsraten, das Auseinanderbrechen der traditionellen Familienstrukturen. Das betrifft vor allem Kinder: Das durchschnittliche Kind heute - nicht das kranke! - hat einen höheren Angstwert als das durchschnittliche kinderpsychiatrisch hospitalisierte Kind in den 50er Jahren.

NZZ am Sonntag: Gegen «Sesam» hat sich heftiger Widerstand formiert. Der Basler Appell gegen Gentechnologie will das Projekt sistieren mit dem Argument, es werde «fremdnützige Forschung an Kindern» betrieben, und das sei unzulässig.

Jürgen Margraf: Das ist ein ganz problematischer Begriff, den ich so nicht stehen lassen kann. Es ist in der Forschung die Regel, dass es keinen direkten Nutzen gibt für denjenigen, der heute an einer Studie teilnimmt. Auch das geplante Humanforschungsgesetz hält diesen Grundsatz fest. Man macht Forschung für einen Erkenntnisgewinn, der dann anderen Menschen zugute kommt. Wenn man das verbieten möchte, muss man sich im Klaren sein, dass man den allergrössten Teil von Forschung verbietet. Die Behauptung, «fremdnützige» Forschung bei Kindern sei verboten, ist deshalb klar falsch. Denken Sie an Pisa oder an die Leukämie-Forschung: Von Pisa profitieren künftige Schülergenerationen. Und heute können drei Viertel aller an Leukämie erkrankten Kinder geheilt werden, weil damals Eltern ihre Einwilligung gaben, dass das Blut ihrer Kinder untersucht wurde. Mit welchem Recht sollen bei der Erforschung psychischer Krankheiten Einschränkungen gemacht werden, die man bei körperlichen Krankheiten nicht macht?

NZZ am Sonntag: Dem Projekt werden sogar eugenische Tendenzen vorgeworfen. Sowohl Ihr Kollege, der Psychoanalytiker Theodor Cahn, wie auch der Ethiker Klaus Peter Rippe äusserten sich entsprechend.

Jürgen Margraf: Das ist ein ungeheurer Vorwurf. Herrn Rippe habe ich zum persönlichen Gespräch eingeladen, um ihn aus erster Hand zu informieren. Wie auch übrigens den Basler Appell, der aber verlauten liess, man komme nur zusammen mit der Presse. Der Vorwurf wird den Opfern der Nazi-Verbrechen in keiner Weise gerecht, er kann sogar als Verharmlosung der Untaten wirken. Er wird mit keinerlei Belegen untermauert, es handelt sich offenbar um die simple Analogie: genetische Untersuchungen gleich Eugenik - bloss weil bei einem der Teilprojekte ein DNA-Test verwendet wird. Das ist mehr als fragwürdig. Uns geht es ja ums Zusammenspiel von Erbe und Umwelt, nicht um «die Gene».

NZZ am Sonntag: Man wirft Ihnen auch ein reduktionistisches Menschenbild vor.

Jürgen Margraf: Das ist auch so ein Kampfbegriff: Man versucht den anderen zu diskreditieren, indem man ihm ein reduktionistisches Menschenbild vorwirft. Wo soll das aber herkommen? Wo sind die Belege, dass wir technokratisch, biologistisch oder was auch immer sind? Wir haben bei «Sesam» Biologie dabei - ist man deswegen biologistisch? Wir haben Soziologie dabei - sind wir deswegen sozialistisch? Oder Psychologie - sind wir also psychologisierend? Es ist ein Witz. Wir haben zum Beispiel den führenden Medizinsoziologen Johannes Siegrist an Bord, wir mussten ihn im Ausland rekrutieren - und müssen uns nun anhören, wir seien zu wenig sozial! Wäre der Begriff nicht so abgedroschen, würde ich sagen: «Sesam» ist ganzheitlich.

NZZ am Sonntag: Zur Studie: Bei «Sesam» ist die Rede von einer «Kernstudie» und zwölf Teilstudien. Was wird da genau erforscht?

Jürgen Margraf: Die Kernstudie ist die Basis für alle Teilstudien: Wir möchten 3000 Familien in Hinblick auf Entwicklung und psychische Gesundheit begleiten, nicht nur die Kinder, sondern auch Eltern und Grosseltern. Unser Ansatz ist interdisziplinär und methodisch divers. Die Informationen, die dort erhoben werden, sind die Basis für Teilstudien, in denen Teilaspekte untersucht werden, zum Beispiel das elterliche Gedächtnis: Wie detailgetreu behalten Eltern Lebensereignisse und Verhaltensweisen ihres Kindes in Erinnerung? Eine Teilstudie untersucht die Blinzelreaktionen von Säuglingen: Gibt es eine Verbindung zu späterem Suchtverhalten? Eine weitere Teilstudie hier in Basel geht der Frage nach, ob und wie sich Stress während der Schwangerschaft auf die Entwicklung des Kindes auswirkt.

NZZ am Sonntag: Wie soll diese Untersuchung vonstatten gehen?

Jürgen Margraf: Es wird vor allem das Verhalten des Kindes beobachtet, und zwar schon im Mutterleib, bei der routinemässigen Ultraschall-Untersuchung in der 20. Schwangerschaftswoche. Wie aktiv ist das Kind? Welchen Schlaf-Wach- Rhythmus hat es? Die Gruppe um Wolfgang Holzgreve, der die Studie leitet, möchte im Grunde das Qualitätsmanagement des Ultraschalls verbessern. Die Forschungsfrage von «Sesam» ist dabei ein Zusatznutzen.
In einem anderen Projekt wird mit Hilfe des Computers ein Elektrokardiogramm des ungeborenen Kindes erstellt. Auf dieser Basis können wir die vegetative Labilität untersuchen - einen der klassischen Risikofaktoren für den ganzen Bereich von affektiven und Angststörungen, auch Sucht. Diese Werte bringen wir dann zusammen mit dem Stress-Erleben der Mutter während der Schwangerschaft und können so sehen, wie sich das später beim Kind auswirkt. Entwickelt es Verhaltensauffälligkeiten, welche Faktoren helfen, welche schaden möglicherweise? Das ist sehr spannend.

NZZ am Sonntag: Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern können doch verschiedenste Ursachen haben. Und je mehr Faktoren an einem Phänomen beteiligt sind, desto schwieriger wird es, sie auseinander zu halten, das heisst, eine statistische Signifikanz für einen einzelnen Faktor zu finden.

Jürgen Margraf: Man kann die Faktoren für den Einzelfall nicht auseinander halten. Wir können höchstens über Gruppen Aussagen machen, denn bei grossen Gruppen ergibt sich im Durchschnitt ein aussagekräftiges Resultat. Wir können jedoch keine individuellen Risikoprofile herausgeben. Das wäre auch ethisch hoch problematisch. Wir arbeiten nur mit anonymisierten Daten und nur auf der Ebene von Gruppen.

NZZ am Sonntag: Auf der Homepage von «Sesam» werden bereits interessierte Familien angesprochen, die im Frühling 2007 ein Kind erwarten. Glauben Sie wirklich, dass Sie zu jenem Zeitpunkt starten können? Es heisst, die kantonalen Ethikkommissionen seien nicht involviert worden.

Jürgen Margraf: Das ist auch so ein Vorwurf, der jeglicher Grundlage entbehrt, die Ethikkommission beider Basel etwa war von Anfang an über «Sesam» informiert. Ich rechne nicht mit Schwierigkeiten, sondern bin zuversichtlich, dass wir plangemäss starten können.

NZZ am Sonntag: Wie wollen Sie die 3000 Familien 20 Jahre lang bei der Stange halten? Was bekommen die für ihren Aufwand?

Jürgen Margraf: Sie sprechen die wichtigste Frage von Langzeitstudien an: Wie viele Studienteilnehmer bleiben langfristig dabei? Wenn viele dabeibleiben, sind die Aussagen gut verallgemeinerbar; wenn viele wegbleiben, bleibt unklar, welche Selektionsprozesse mit im Spiel sind, und man kann die Erkenntnisse nicht mehr verallgemeinern. Die Schweiz hat bei Langzeitstudien ganz hohe Erfolgswerte, wie sie in anderen Ländern nie realisiert wurden. Die Langzeitstudie von Herrn Schöpf zur Schizophrenie hatte nach 22 Jahren eine Wiederteilnahmerate von 92 Prozent, die Zürcher Longitudinalstudien von Remo Largo weisen einen ähnlich hohen Wert auf. Die Schweiz hat eine stabile Bevölkerung, die gegenüber Forschung im Allgemeinen positiv eingestellt ist, und wenn die Untersuchungen interessant sind, dann kommt man gerne wieder. Eine weitere Rolle spielt, ob die Untersuchungen aufwendig und invasiv sind. Das ist bei «Sesam» nicht der Fall. Über Blut- und Speichelproben hinaus haben wir keine invasiven Untersuchungen. Unser Ziel ist es, dass am Ende der Studie 70 Prozent noch dabei sind. Das ist realistisch.
Forschungsschwerpunkt «Sesam»

Der Nationale Forschungsschwerpunkt «Sesam» (Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health) hat sich der Erforschung psychischer Gesundheit verschrieben. Dabei sollen 3000 Kinder ab der 12. Schwangerschaftswoche bis zum 20. Altersjahr regelmässig untersucht und befragt werden. «Sesam» besteht aus 1 Kern- und 12 Teilstudien, an denen Forschende der Universitäten Basel, Bern, Freiburg, Zürich und Trier (D) beteiligt sind. Vorgeburtlich sind (nichtinvasive) Ultraschalluntersuchungen geplant, bei der Geburt werden Speichelproben für einen DNA-Test entnommen; ein einziges der 12 Teilprojekte befasst sich mit der Genetik («Der Einfluss genetischer Faktoren auf Entwicklung und Verlauf psychischer Erkrankungen»). Andere Teilstudien widmen sich etwa der Bedeutung der Grosseltern oder den gesellschaftlichen Einflüssen auf die Familie. Dafür sind Interviews mit den Grosseltern, Eltern und Kindern vorgesehen. Von «Sesam» erhoffen sich die Forschenden Einsicht darüber, was zur psychischen Gesundheit beiträgt, welche Faktoren Depressionen und Angststörungen begünstigen. Leiter des Projektes ist Jürgen Margraf, 50, Professor für klinische Psychologie und Psychotherapie in Basel. Das Budget der ersten Phase bis 2008 beträgt 23 Millionen Franken.

Mittwoch, 7. Juni 2006

Margraf: "Angststörungen nehmen bei Kindern dramatisch zu"

Gesundheit-SprechStunde; 07.04.2006; Seite 13; Nummer 7:

«Angststörungen nehmen bei Kindern dramatisch zu»
Warum verbreiten sich Angsterkrankungen seit fünfzig Jahren so schnell? Die Forschung gibt Antwort.
AUTOR: Von Beat Leuenberger

«Menschen leiden heute häufiger unter Angst als früher», stellt Prof. Jürgen Margraf fest. Der Leiter der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Basel interpretiert die Auswertung von Befragungen seit den 50er-Jahren: «Der Anstieg von Angsterkrankungen ist dramatisch.»
Am dramatischsten bei Kindern. Angstforscher Margraf: «Kinder, die heute als gesund gelten, leiden stärker unter Angst, als Kinder, die vor fünfzig Jahren in der Psychiatrie behandelt wurden.»
Wie ist das zu erklären? «Die Gene können es nicht sein», sagt Jürgen Margraf. «Sie verändern sich nicht so schnell.» Setzen die Wissenschafter aber den Angstanstieg in Beziehung mit sozialen Faktoren, finden sie vier Erklärungen: Angst vor Gewalt und Terroranschlägen, vor Naturkatastrophen, vor Seuchen wie Sars und Krankheiten wie Aids. Die zweite Erklärung ist die steigende Arbeitslosenzahl und die Zahl von Kindern, die unter dem Existenzminimum leben müssen.
Als dritte Erklärung nennen die Psychologen soziale Verbundenheit respektive ihre rasante Veränderung. Prof. Margraf: «Die Menschen heiraten seltener. Wenn sie heiraten, tun sie es später als in vergangenen Zeiten, sie haben weniger Kinder und sie lassen sich viel häufiger scheiden.»
Die Statistik gibt dem Angstexperten Recht: Bald jedes zweite Paar lässt sich in der Schweiz scheiden (Ende 2005: 45,5 Prozent), die Geburtenrate ist auf knapp unter 1,4 pro Familie gesunken, dafür die Zahl der Einzelhaushalte auf über 36 Prozent angestiegen. «Das heisst», so Jürgen Margraf, «die traditionellen Strukturen des Zusammenlebens verschwinden nach und nach und wir leben mehr und mehr in einer Gesellschaft der Vereinzelung.»
Die grosse Übersichtsstudie zum Thema Angst, die der Wissenschafter zitiert, wertete über 250 Befragungen mit mehr als 50'000 Erwachsenen und Kindern im Schulalter aus. «Sie zeigt deutlich, dass die sozialen Veränderungen da waren, bevor die Angst zunahm - und nicht umgekehrt», erklärt Margraf, «was es hoch wahrscheinlich macht, dass die Angst eine Folge des Umbruchs von Sozialstrukturen ist.»
Zur vierten wichtigen Erklärung für die Angstzunahme betreiben die Basler Psychologen um Jürgen Margraf eigene Forschung. Es ist die Dimension der Kontrollierbarkeit: «Belastungen, welche die Leute kontrollieren können, werden viel besser vertragen und machen sowohl psychisch wie auch körperlich viel weniger krank.» Ganz entscheidend dabei sei die eigene Wahrnehmung, sagt Margraf: «Sind die Menschen davon überzeugt, dass sie die Kontrolle haben, fühlen sie sich gut, auch wenn die Wirklichkeit anders ist.»
Nun kommt aber das Gefühl, sein Leben unter Kontrolle zu haben, zunehmend abhanden. Die Leute spüren, dass immer grössere Bereiche ihres Lebens ihrem direkten Zugriff verwehrt bleiben. Jürgen Margraf macht ein Beispiel: Die Globalisierung führt dazu, dass bei uns Arbeitsplätze verschwinden und nach Indien oder China verlegt werden. «Was kann der Einzelne dagegen tun?», fragt der Psychologe rhetorisch. «Natürlich nichts. Egal, welche politische Partei ich wähle, ich kann nicht wirklich etwas dagegen tun - und das macht Angst.»
Jürgen Margraf, Institut für Psychologie, Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie, Universität Basel - Erst kommt die Angst, dann die Depression: «Wir erfahren in immer stärkerem Ausmass, dass wir in einer vernetzten Welt leben. Der Einzelne kommt sich klitzeklein vor. Menschen aber, die das Gefühl haben, ihr Leben nicht kontrollieren zu können, erkranken viel eher an einer Angststörung. Hält diese lange unbehandelt an, kommen Depressionen und körperliche Leiden dazu.»

Donnerstag, 11. Mai 2006

Vortrag Jürgen Margraf am Alumnitag der Uni Basel

Alumnitag (Programm als .pdf) Samstag, 17.6.2006, 17.25–17.45 Hörsaal 2

Prof. Dr. Jürgen Margraf, Direktor des Nationalen Forschungsschwerpunktes sesam und Ordinarius für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Basel.

Die Vögel, die Furcht und die Psychologie der Risikowahrnehmung


In diesem Jahr sind in der Schweiz bereits Hunderte von Menschen am Suizid gestorben, viele andere an der ganz «normalen» Grippe, aber noch niemand an der Vogelgrippe. Warum fürchten viele Menschen dann die Vogelgrippe mehr als die normale Grippe, den Autoverkehr oder den Suizid? Die Psychologie hat die Mechanismen der Risikowahrnehmung systematisch erforscht. Ihre Erkenntnisse helfen uns dabei, wichtige von weniger wichtigen Gefahren zu unterscheiden und unser Verhalten danach auszurichten.


Zu dem Thema befragte ihn unlängst die Tribune de Genève.

Donnerstag, 13. April 2006

Jürgen Margraf "on Tour"?

(EPFL) Memento Faculté des Sciences de la Vie : Conférences - Séminaires
Mercredi 26 avril 2006 à 12h15; Understanding Mental Health And Human Development: The NCCR Sesam Par Jürgen Margraf; Salle AAB 032 Host: Carmen Sandi

Dienstag, 4. April 2006

Jürgen Margraf am 2. gemeinsamen Kongress der Psy-Verbände

Der Leiter von Sesam wird am 24.6.06 offenbar anzutreffen sein hier:

PANEL 7 - LOHNENDE PSYCHOTHERAPIE KOSTET: ÖKONOMIE.

Andreas Frei: Der volkswirtschaftliche Nutzen der Psychotherapie.
Jürgen Margraf: Kosten und Nutzen ambulanter Psychotherapie: Eine ökonomisch-psychologische Analyse.
Volker Tschuschke: Psychotherapie in Zeiten evidenzbasierter Medizin – Wege und Irrwege.
Moderation: Hugo Grünwald

Samstag, 25. März 2006

Sesam und "Woche des Gehirns"

Heute in der baz über die "Woche des Gehirns":

Jeweils um 19.30 beginnend, wird im Grossen Hörsaal des Zentrums für Lehre und Forschung an der Hebelstrasse 20 von Montag bis Freitag ein Panorama der Sinne gezeichnet, die uns im täglichen Leben begleiten. «Wie kommt Schall ins Gehirn» macht am Montag den Anfang. Da geht es um gutes Hören und dessen Erforschung. Am Dienstag ist die Nase vorn und geht es in einem moderierten Dreier-Gespräch um Rosen oder vielleicht gar um Bier, denn die Feldschlösschen-Sensorikerin Katharina Bitterli ist angesagt. Am Mittwoch ist das Auge und dessen Entwicklung im Fokus, mit dem bekannten Basler Entwicklungsbiologen Walter Gehring am Start. Am Donnerstag geht es um die guten und schlechten Seiten des Schmerzes und am Freitag um gute Gefühle. Da wird der Novartis-Forscher Hans-Rudolf Olpe über das Gehirn als Schauplatz der Emotionen berichten und Jürgen Margraf die Gelegenheit nutzen, den Zusammenhang zwischen positiven Emotionen und dem «sesam»-Projekt zu erklären.

(...)

Freitag, 31. März: «Was gute Gefühle in uns bewirken». Mit PD Hans-Rudolf Olpe, Dr. Dominik Bach und Prof. Jürgen Margraf.

Montag, 13. März 2006

Margraf über die Angst vor der Vogelgrippe

Tribüne de Genève, 10.3.06.

Pourquoi avons-nous peur de la grippe aviaire?

* L’homme craint démesurément ce qui est exceptionnel, alors qu’il banalise trop ce qui est quotidien et qu’il connaît bien.
* Les psychologues livrent quelques conseils pratiques pour gérer la peur du virus et ne pas céder à la panique.
* Entre-temps dans le monde, la faim tue 9 millions de personnes par an, le sida 3 millions, le tabac 5 millions...

PASCALE ZIMMERMANN

Quels mécanismes psychologiques régissent la peur collective de la grippe aviaire? - keystone

Grippe aviaire, SRAS, vache folle, sida... autant de maladies, installées ou hypothétiques, qui ont provoqué ces dernières années de violentes poussées d'angoisse dans la population. Pourquoi la fièvre s'empare-t-elle à ce point des gens face à un virus? Quels mécanismes psychologiques
régissent ces peurs collectives qui affolent certains jusqu'à la panique?

Le professeur Jürgen Margraf
avance quelques explications. Psychologue spécialiste de la gestion des risques à l'Université de Bâle, il dirige également le Pôle de recherche national SESAM. Cette Etude étiologique suisse de la santé mentale s'intéresse au transfert des angoisses au sein d'une même famille, pendant vingt ans et sur trois générations; à la perception des dangers; et à la manière de gérer le risque de voir le malheur s'abattre sur soi.

Pour l'instant, personne n'est mort de la grippe aviaire, ni en Suisse ni en Europe. Pourquoi le virus H5N1 fait-il tellement peur?
Depuis le 1er janvier, 300 personnes se sont suicidées en Suisse, mais personne n'en parle. Nous avons atteint hier le seuil d'épidémie de la grippe. Elle tue chaque année, mais là aussi, personne n'en parle. Car il existe une loi en psychologie qui veut qu'on craigne démesurément l'exceptionnel, et qu'on minimise le danger que représente ce qui est quotidien.

Par exemple?
Nous avons plus peur en avion qu'en voiture, parce que nous voyageons moins souvent en avion. Nous craignons davantage pour nos enfants la rencontre avec un pédophile que de les voir traverser seuls la route. Pourtant il se produit en Suisse un crime sexuel mortel tous les quinze ans.

Vous évoquez le rôle amplificateur des médias.
Il est particulièrement flagrant dans le cas de la grippe aviaire. Le marketing rejoint la loi psychologique que je viens de citer. L'extraordinaire se vend mieux que l'habituel. Commence ensuite un cercle vicieux: les gens veulent toujours plus d'informations; des décisions politiques sont prises, que les médias sont contraints de relayer, et ainsi de suite.

Peut-on se raisonner pour éviter la panique?
Oui, mais l'homme n'est pas complètement rationnel. Nous fonctionnons par probabilité. Tout ce qui nous arrive a un certain degré de potentialité. Quel est le risque que je meure d'un cancer du poumon si je fume? J'en fais une estimation et je prends ma décision.

Qu'est-ce qui détermine notre évaluation d'un risque?
Des facteurs culturels. Et l'évolution de l'humanité. Lorsqu'un de nos ancêtres préhistoriques entendait un bruit, s'il évaluait le risque avec une marge d'erreur trop grande, il mourait dévoré par un tigre. La prudence a donc été récompensée. Nous portons en nous les gènes de nos ancêtres les plus circonspects. D'où notre extrême prudence aujourd'hui.

Mais lorsque nous avons l'impression de ne plus contrôler la situation, cette prudence devient une angoisse collective.
Oui, mais ce qui compte en psychologie, ce n'est pas le contrôle objectif. C'est la perception qu'on en a. Or, depuis une quinzaine d'années, après une longue période très faste, il me semble qu'en Suisse, beaucoup de gens ont le sentiment que tout leur échappe. Or, quand on ne peut pas contrôler les événements, on essaie de les prévoir. D'où une demande boulimique d'informations. Quand on ne peut ni contrôler, ni prévoir, comme c'est le cas avec la grippe aviaire, c'est la panique.

Le phénomène prend-il plus d'ampleur lorsque la peur touche l'alimentation?
Sans aucun doute. On avale le danger et il circule ensuite dans notre corps. C'est très inquiétant. Regardez les OGM. Ils font peur dans l'alimentation; personne ne veut en manger. Mais ils sont tout à fait admissibles en médecine.

Freitag, 30. Dezember 2005

DIE ZEIT über Angststörungen

Der längere Artikel in der Ausgabe vom 29.12.05 zitiert Margraf:

Fehlalarm im Mandelkern
Panikattacken und Phobien machen Millionen Menschen das Leben schwer. Ihr Angstempfinden ist gestört, die Biochemie in ihrem Hirn außer Kontrolle. Mit der richtigen Therapie bekommen die Patienten das Problem gut in den Griff.
(...)
Der Psychologieprofessor Jürgen Margraf von der Universität Basel ermittelte, dass gerade einmal ein Prozent aller Patienten mit Angststörungen hierzulande die richtige Behandlung in Form von Psychotherapie oder Medikamenten erhält. Bis die Betroffenen kompetente Hilfe finden, haben sie meist eine jahrelange Odyssee durch das Gesundheitssystem hinter sich. Der durchschnittliche Angstpatient in Deutschland hat eine Vorgeschichte mit zehn Ärzten und sieben Jahren vergeblicher Therapie.
(...)
Schon was die Menschen als Stressor bewerten, ist höchst variabel. »Ich kann da manchmal nur den Kopf schütteln, wenn ich sehe, was zum Stress erklärt wird«, sagt Holsboer. Jeder Druck werde als unnatürliche Störung angesehen: »Als wenn wir als höchstes Lebensziel ein stressfreies Leben brauchten.« Die Epidemiologen neigten dazu, zu viele Menschen als angstkrank zu betrachten. Holsboer kann nicht bestätigen, dass in letzter Zeit mehr Angstpatienten in seine Klinik strömen. »Die Pharmaindustrie ist natürlich überglücklich über Erhebungen, bei denen rauskommt, dass praktisch jeder Bürger ein Psychopharmakon haben sollte.«
(...)

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt à la: Wer finanziert Sesam massgeblich mit - oder soll zumindest? Die Pharmaindustrie.

Der Königsweg der Psychotherapie im Kampf gegen Ängste ist nach heutigem Wissen die kognitive Verhaltenstherapie. Genauso wie letztlich alle krankhaften Ängste »erlernt« sind, lassen sie sich auch wieder verlernen. Bei einem Patienten mit einer Panikstörung oder einer Phobie besteht ein Teil der Behandlung deshalb darin, dass man ihn – nach entsprechender psychologischer Vorbereitung – scheinbar brutal mit den Auslösern seiner Angst konfrontiert. Wer Angst vor hohen Gebäuden hat, geht mit dem Therapeuten auf Kirchen oder Fernsehtürme, Hundephobiker besuchen ein Tierheim, und wer Angst vor großen Plätzen hat, bekommt einen Termin für einen Spaziergang über den Marktplatz. Statt einen Rückzieher zu machen, setzt sich der Betroffene so lange seiner Angst aus, bis die Reaktion nach kurzer Zeit von selbst abklingt. Entscheidend ist dabei, dass der Patient am eigenen Leib erlebt, dass die von ihm als unausweichlich angesehene Katastrophe (»Ich sterbe« oder »Das Flugzeug wird abstürzen«) ausbleibt. Die Chancen auf Heilung stehen gut: Mehr als 80 Prozent der an einer Panikstörung oder einer Phobie Leidenden können von ihren Qualen befreit werden. Und das ganz ohne jahrelange Seelenbeschau auf der Couch. In vielen Fällen, sagt der Basler Psychologe Margraf, reichen 10 bis 20 Therapiestunden aus, um den Betroffenen wieder ein normales Leben zu ermöglichen.


Das klingt sehr nach Margrafscher Konfrontationstherapie, über die DIE ZEIT bereits in der Ausgabe 24/1999 schrieb:

»Immobil zu sein ist eine genetisch angelegte Urangst«, sagt Jürgen Margraf, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Basel. Patienten, die an Tunnelphobie leiden, führt er in den Berg hinein. Konfrontationstherapie. Im Tunnel sollen die Leute erfahren, wie die Angst nachlässt. Sie sollen lernen, dass Dunkelheit und Enge nicht automatisch Gefahr, Herzrasen und Tod bedeuten. »Die Verbindungen im semantischen Netzwerk der Ängste kappen« nennt das Jürgen Margraf. Er hat diese Therapie an der TU Dresden, wo er zuvor arbeitete, erfolgreich angewendet.

Sonntag, 11. Dezember 2005

Bock = Gärtner????

Artikel in der NZZ am Sonntag von heute aus der Feder von Erich Aschwanden, der Bezug nimmt auf eine neue Studie, an der Jürgen Margraf mitgeschrieben hat:

Kostenschub bei der Psychotherapie
Laut einer Studie hätten über eine halbe Million Schweizer eine Behandlung nötig
Eine vollständige Abdeckung des Bedarfs an Psychotherapien hätte einen Kostenanstieg von 400 bis 570 Millionen Franken zur Folge. Das Bundesamt für Gesundheit will die Leistungen nun einschränken.
Als am Mittwoch bekannt wurde, dass Hans Heinrich Brunner seinen Posten als Vizedirektor des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) abgibt, dürften einige aufgeatmet haben. Doch die Freude war verfrüht, denn er will in seinem verbleibenden Pensum den Druck auf die Leistungserbringer nicht lockern. «Nach der Entlastung von den administrativen Aufgaben kann ich mich in meinem Halbzeitjob, den ich beim Bund behalte, noch stärker auf die Programme zur Kostensenkung konzentrieren», sagt Brunner gegenüber der «NZZ am Sonntag».
Ins Visier genommen hat er die Psychotherapie, bei der ein enormer Kostenschub droht. Ende Oktober ist die Vernehmlassung zum Gesetz über die Psychologieberufe abgelaufen, das die Anforderungen an diese Berufe landesweit vereinheitlicht und den Titel Psychologe schützen soll. Gemäss Brunner heisst dies mittelfristig, dass Psychotherapeuten als Leistungserbringer im Sinne des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) anerkannt werden. Heute können über die Grundversicherung nur psychologische Leistungen abgerechnet werden, die von Ärzten erbracht werden oder von Psychologen, die Patienten von Ärzten zugewiesen erhalten. 2004 beliefen sich diese Kosten auf rund 500 Millionen Franken.
Zu wenig Therapien
Im Auftrag des BAG hat das Institut Schweizer Gesundheitsobservatorium abgeklärt, welche Folgen die Zulassung der Psychotherapeuten zum KVG hätte. Die Studie* kommt zu zwei Schlüssen: Die Schweiz ist momentan mit Psychotherapien schlecht versorgt. Heute werden rund 146 000 Patienten wegen Angstzuständen, Depressionen und anderen Störungen behandelt. Die Autoren gehen davon aus, dass bis zu 553 000 Personen eine Therapie nötig hätten und eine solche auch antreten möchten. «Es muss daher darüber entschieden werden, ob die Versorgungslage verbessert werden soll und welche Kosten dafür in Kauf genommen werden sollen», heisst es in der Studie.
Die Experten haben mehrere Szenarien analysiert. Sollten Psychotherapeuten völlig frei zugelassen werden, hätte dies Mehrkosten von 398 bis 571 Millionen für die obligatorische Krankenversicherung zur Folge. Mit Einschränkungen wie Einholen einer Zweitmeinung, tieferen Grenzen für die Therapiedauer von heute 60 Stunden auf 40 Stunden oder Überweisung durch den Arzt liegen die Mehrkosten zwar tiefer, aber immer noch deutlich über den heutigen Ausgaben. Konkrete Zahlen dazu nennen Experten nicht. Sie raten von einer uneingeschränkten Zulassung der Psychotherapeuten ab. Kostenneutral wäre die Zulassung nur, wenn neben den Beschränkungen die Vertragsfreiheit zwischen Krankenkassen und Therapeuten eingeführt würde. Ausserdem sollen gemäss diesem Szenario in der Grundversicherung nur Behandlungen zugelassen werden, die ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen.
Beim BAG und den Psychotherapeuten zieht man völlig unterschiedliche Schlüsse aus dem Bericht, der auf beiden Seiten als «qualitativ hochstehend» gilt. Hans Heinrich Brunner sieht sich bestätigt in seiner Annahme, dass die Nachfrage nach Psychotherapien stark steigen wird und alles unternommen werden muss, damit die Ausgaben nicht zu stark steigen. Er bezweifelt, dass die Vertragsfreiheit sich positiv auswirkt: «In den USA hat man dies gemacht, und die Kosten sind noch stärker angewachsen.» Raimund Dörr, Präsident des Schweizer Psychotherapeutinnen- und Psychotherapeuten-Verbandes (SPV), legt das Schwergewicht auf die Unterversorgung: «Wenn eine psychische Störung nicht rechtzeitig und richtig behandelt wird, hat dies in vielen Fällen körperliche Erkrankungen oder sogar das Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess zur Folge.» Als Beispiel nennt er den Fall eines Mannes, der nach einem Autounfall an Angstzuständen litt. Nach 40 Therapiesitzungen konnte er wieder voll in den Beruf einsteigen. «Diese Investition hat sich gelohnt», sagt Dörr.
Dauer begrenzen
Doch Brunner macht klar, dass die Kosten nicht steigen dürfen, sondern sinken müssen. So will er bis Mitte 2006 Gesundheitsminister Couchepin Vorschläge unterbreiten, «mit denen der wild wachsende Baum der Psychotherapien etwas zurechtgestutzt wird». Doch da es schwierig ist, Abgrenzungen zwischen verschiedenen Therapieformen zu machen, setzt er den Hebel bei der Behandlungsdauer an: «Bei den meisten Therapien wird der maximale Nutzen nach zehn bis zwölf Stunden erreicht. Die Endlos-Therapien, bei denen jemand immer wieder aufgeboten wird, sind sinnlos.» Wo die Grenzen gezogen werden sollen, klärt das BAG momentan mit Experten ab.
SPV-Präsident Dörr warnt vor willkürlichen Vorgaben: «Bereits heute sind wir bemüht, die Therapie so kurz wie möglich zu halten, schliesslich soll Leiden verringert oder beendet werden und nicht verlängert. Aber es gibt auch psychische Erkrankungen, wie dissoziative Störungen, bei denen die durchschnittliche Behandlungsdauer sechs bis acht Jahre beträgt.» Er befürchtet, dass der Bund einen riesigen und dementsprechend teuren Kontrollapparat aufzieht, um überprüfen zu können, ob die Therapeuten effizient arbeiten.
* Zulassung der psychologischen Psychotherapeut/innen zur Krankenversicherung? Spycher, Markgraf [sic! es ist aber Margraf], Meyer. Neuenburg 2005.


Versteh ich das richtig (ohne den ObSan-Bericht im Original gelesen zu haben)? Ein Bericht mit Margraf als Co-Autor diagnostiziert, dass 553'000 Personen in der Schweiz eine Psychotherapie nötig hätten (=10% der erwachsenen Bevölkerung), was bis zu einer halben Milliarde Mehrkosten verursachen würde. Andererseits ist derselbe Autor Leiter eines Projektes (Sesam), das sich auf die Fahnen geschrieben hat, die unter anderem durch psychische Krankheiten verursachten Kosten des Gesundheitswesens runterzubringen:

The results will have implications for a sound understanding and theoretical framework of the development of mental health in general. This will not only help to advance our scientific knowledge, but will also contribute significantly to the development and implementation of prevention, treatment, and public health strategies in Switzerland. In this way, the NCCR will help reduce or even avoid harm in human beings as well as reduce health care costs and increase competitiveness of the Swiss economy.

Überspitzt gefragt: Diagnostiziert Margraf der Schweizerischen Gesellschaft einerseits im ObSan-Bericht die Krankheit, die er an ihr andererseits mit Sesam dann gleich kurieren will? Ist das nun folgerichtig und konsequent, oder macht sich hier via diese Personalunion von "Diagnostizierendem" und "Therapeut" der Bock gleich selber zum Gärtner? Wie ist die wissenschaftliche Objektivität der argumentativen Grundlagen von Sesam zu garantieren, wenn der Leiter sie (mit)verfasst hat? Ist das nicht so, als ob - ein drastischer Vergleich, zugegeben - die Mehrheit der Mitglieder jenes Gremiums, das die Atomkraftwerke bewilligt, Aktien der Atomindustrie besitzen würde? Eine Frage im Sinne von: Wer kontrolliert die Kontrolleure?
UPDATE 12.12.: Der Vergleich mit dem AKW-Gremium hinkt natürlich so, wie oben beschrieben. Präziser wäre: Das energiepolitische Gremium, das in Grundlagenpapieren zuhanden der Behörden den Bedarf für neue AKWs feststellt, ist personell teilweise deckungsgleich mit der Bauherrschaft von AKWs. So etwa.

Donnerstag, 17. November 2005

Bioethikkonvention ist NICHT ratifiziert

An einer Informationsveranstaltung für Studierende und Fakultätsmitglieder am Dienstag, dem 15.11.2005, waren erste nähere Informationen über Teilprojekte von Sesam zu erfahren und konnten Fragen gestellt werden. Auf die Frage eines Studierenden, ob denn nicht die Zustimmung jeder Person, also auch der Kinder, nötig sei bei der Entnahme von genetischem Material, verwies Jürgen Margraf auf die Bioethikkonvention und versicherte, diese sei auch in der Schweiz ratifiziert.
Das ist sachlich falsch. Damit hat Jürgen Margraf seinem Publikum eine Fehlinformation weitergegeben. Die Schweiz hat die Bioethkkonvention des Europarates NICHT ratifiziert. Und laut Auskunft des Bundesamtes für Justiz (BJ) von heute ist auch nicht mit einer Ratifikation zu rechnen in den nächsten Jahren. Das Schweizer Parlament hatte den Ratifikationsprozess sistiert bis zum Abschluss der Behandlung des Transplantationsgesetzes. Dieses tritt voraussichtlich am 1.1.07 in Kraft.
Es ist, laut BJ, ebenfalls nicht damit zu rechnen, dass die Konvention ratifiziert wird, bevor nicht auch das Bundesgesetz über die Forschung am Menschen in Kraft ist. Und dazu startet - voraussichtlich - im Laufe dieses Winters erst mal die Vernehmlassung. Von der Vernehmlassung bis zum geltenden Gesetz ist es meist ein sehr weiter Weg von mehreren Jahren.
in dubio pro reo: Wer hat Jürgen Margraf den Bären aufgebunden, dass die Schweiz die Bioethikkonvention ratifiziert habe?
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Sesam Watch

Beobachtungen und Notizen zum Schweizer NCCR "Sesam", der 3'000 Kinder und ihr Umfeld vom ersten Ultraschallbild an 20 Jahre lang beobachten wollte (vorzeitiger Abbruch: 13.3.08). Autonom, skeptisch, ehrenamtlich. Kontakt: sesamwatch@gmail.com

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