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-+-+-+-+-+-+-+-

Medienbeobachtung

Donnerstag, 23. März 2006

Weltwoche: "Sesam, Sackgasse"

Theres Lüthi kommentiert heute:

Im Verhindern von Forschungseinrichtungen ist die Schweiz top. Nun soll eine grossangelgte Studie verboten werden, die früh nach Ursachen psychischer Krankheiten sucht.

Wissenschaftler, die auf dem Gebiet der Gentechnik forschen, haben es in der Schweiz schwer. Das wissen wir seit dem Debakel um den Freilandversuch von Christof Sautter. Fünf Jahre lang sah sich der ETH-Forscher einer gezielten Kampagne von wissenschaftsfeindlichen Kreisen ausgesetzt. Der Forschungszweig, bei dem die Schweiz einst eine Spitzenposition einnahm, befindet sich mittlerweile auf dem absteigenden Ast. Nun droht einem weiteren Forschungsprojekt von höchster Qualität ein ähnliches Schicksal.
2005 bewilligte der Bundesrat den Nationalen Forschungsschwerpunkt «Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health», kurz «Sesam». Unter der Leitung von Jürgen Margraf, Professor an der Universität Basel, sollen 3000 Kinder von der 12. Schwangerschaftswoche an während zwanzig Jahren untersucht werden. Ziel der Studie ist es, mehr über die Ursachen psychischer Krankheiten zu erfahren. Doch gegen das Projekt hat sich erbitterter Widerstand formiert. Letzte Woche wurde der Ethikkommission beider Basel eine Petition überreicht, mit der Forderung, Sesam zu sistieren. An vorderster Front kämpft der «Basler Appell gegen Gentechnologie». Kritisiert wird unter anderem, das Projekt reduziere den Menschen auf seine Gene.
Ein absurder Vorwurf ­ denn die Gene spielen bei diesem Projekt eine Nebenrolle. Vielmehr geht es im weitesten Sinne um seelische Gesundheit. Weltweit leiden immer mehr Menschen, gerade auch Kinder, unter psychischen Störungen wie Angsterkrankungen und Depressionen. Sesam versucht mit einem multidisziplinären Ansatz, den Ursachen auf die Spur zu kommen.
Zukunft wird aus Ideen gemacht
Eine Teilstudie etwa soll untersuchen, ob sich Stresssituationen während der Schwangerschaft negativ auf die Gesundheit des Kindes auswirken. Eine andere interessiert sich für die Blinzelreaktionen der Neugeborenen: Gibt es eine Verbindung mit späterem Suchtverhalten? Auch die Rolle der Grosseltern wird unter die Lupe genommen, ebenso das Gedächtnis: Wie detailgetreu behalten Eltern Lebensereignisse und Verhaltensweisen ihres Kindes in Erinnerung?
Nur eines der insgesamt zwölf geplanten Teilprojekte interessiert sich für «genetische Merkmale». Für die Speichelproben müssen die Neugeborenen kurz an einem Wattestäbchen nuckeln. Anhand von Genomanalysen wird dann versucht, Zusammenhänge zwischen DNA-Mustern und psychischer Krankheit zu erkennen.
Sesam ist somit in vielerlei Hinsicht ein vorbildliches Projekt: Es ist interdisziplinär, langfristig angelegt, und es geht um Volkskrankheiten. Warum also die Opposition? Das Bundesgesetz «Forschung am Menschen» befindet sich derzeit in der Vernehmlassung. Mit einer gezielten Kampagne gegen die Sesam-Forschung will man nun Druck ausüben, damit das Gesetz möglichst restriktiv gestaltet wird. Dabei gehen die Kritiker nach gewohntem Muster vor: Man schreit «Gen», wo es gar nicht um Gene geht. Und um die Ängste weiter zu schüren, greift man zum zweiten Schlagwort. «Nein zur fremdnützigen Forschung an Kindern!», heisst es in der Petition. Es stimmt zwar, dass die Erkenntnisse anderen Kindern zugute kommen als jenen, die erforscht werden. Aber genau das Gleiche gilt für die gesamte Bildungsforschung: Von den Pisa-Studien profitieren künftige Schülergenerationen. Und auch die Leukämietherapie verdankt ihren Erfolg «fremdnütziger Forschung an Kindern». Hätten damals nicht viele Eltern die Einwilligung gegeben, das Blut ihrer Kinder zu untersuchen, könnten wir heute nicht drei Viertel der an Leukämie erkrankten Kinder heilen.
Kritisiert wird Sesam auch von Psychoanalytikern. Warum? Das Bundesamt für Gesundheit ist dabei, den Leistungskatalog zu überprüfen, und sieht insbesondere bei der Psychotherapie Sparpotenzial. Sesam-Direktor Jürgen Margraf erhielt das Mandat, die Wirksamkeit der Psychotherapie zu untersuchen, und bestätigte, was bekannt ist: Dass bei gewissen Diagnosen in der Schweiz viel zu lange therapiert wird. Beliebt hat er sich damit nicht gemacht. Manch frustrierter Kollege nutzt nun die Gelegenheit, um Margraf Steine in den Weg zu legen.
Dabei könnte Sesam Grosses leisten. In Norwegen sammelt man derzeit Blutproben und Gesundheitsdaten von 100000 schwangeren Frauen. Man will herausfinden, ob bestimmte Infektionen während der Schwangerschaft bei genetisch prädisponierten Individuen die Entwicklung von Krankheiten wie Autismus oder Zerebrallähmung begünstigen. In Grossbritannien werden für das Projekt «Children of the 90s» 14000 Kinder untersucht, und auch in Schweden ist ein Projekt unterwegs. Allen «Biobanken» ist gemeinsam, dass das Augenmerk auf Lebensstil und Umwelt gelegt wird ­ der Mensch eben nicht auf seine Gene reduziert wird.
Geht es darum, hinter einer neuen Forschungsrichtung Böses und Missbräuchliches zu vermuten, sind die Schweizer Weltmeister. «Es gibt unzählige Beispiele dafür, dass wir Erfolgreiches hinterfragen, kritisieren, ja gar bekämpfen, bevor sich dieses überhaupt hat richtig entfalten können», sagte Dieter Imboden, Präsident des Nationalen Forschungsrates an einer Pressekonferenz. «Prophylaktische Boykottaufrufe werden in Umlauf gesetzt, bevor es etwas zu boykottieren gibt.» Sesam ist ein weiteres Beispiel dafür, wie ein erstklassiges Forschungsprojekt zum politischen Prügelknaben mutiert.

WoZ über Sesam: "Gut gemeint ist nicht unbedingt gut"

In der aktuellen Wochenzeitung ist ein Interview zu finden, das Urs Hafner mit dem Ethiker Klaus Peter Rippe geführt hat:

Das Forschungsprojekt Sesam will 3000 Kinder ohne ihre Einwilligung langfristig untersuchen. Warum hat keine Ethikkommission interveniert? Der Ethiker Klaus Peter Rippe nimmt Stellung.


WOZ: Der Basler Appell gegen Gentechnologie verlangt die Sistierung des nationalen Forschungsschwerpunkts Sesam: Die 3000 Kinder, die man von der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum 20. Lebensjahr auf Depressionen hin untersuchen will, könnten nicht zustimmen. Finden Sie die Forderung berechtigt?

Klaus Peter Rippe: In der Tat sollte man mit der Rekrutierung der Studienteilnehmer - vorerst also der Eltern beziehungsweise der Mütter - erst dann beginnen, wenn man das Projekt ethisch geprüft hat. Die Einwilligung der kleinen Kinder ist nur ein Aspekt. Sesam untersucht zudem Familien über längere Zeit, ohne dass die Fragen des Datenschutzes und der Privatsphäre geklärt sind. Weiter ist offen, ob die Kinder die Freiheit haben, eines Tages aus der Studie auszusteigen oder ob die Eltern und die Forschenden das verhindern wollen.

Das Forschungsprojekt erhält bereits Geld aus Bern, obschon sich noch keine Ethikkommission geäussert hat. Wie kommt das?

Sesam ist ein Verbund von Einzelprojekten mehrerer kantonaler Universitäten. Damit steht es schief in der Ethiklandschaft. Es ist nicht klar, welche Kommissionen für welche Teilprojekte zuständig sind.

Die Leitung ist an der Fakultät für Psychologie der Universität Basel angesiedelt. Warum hat die Basler Ethikkommission nicht eingegriffen?

Die kantonalen Kommissionen beschäftigen sich vor allem mit klinischen Versuchen am Menschen, also mit pharmazeutischer und chirurgischer Forschung, mit neuen Medikamenten und Operationstechniken, mit Fragen des Risikos und der Information. Diese Kommissionen bestehen hauptsächlich aus Medizinern, Pflegevertretern, Juristen. Für die Probleme, die Sesam aufwirft, sind diese Leute nicht geschult.

Warum hat die nationale Ethikkommission für Humanmedizin geschwiegen?

Sie berät in erster Linie Politiker und Politikerinnen im Hinblick auf die gesetzliche Ebene. Sie sollte zwar neue Themen frühzeitig erkennen und in die Öffentlichkeit tragen, aber sie hat kein Mandat für die Begutachtung von Einzelprojekten. Sesam zeigt die Grenzen des gegenwärtigen Kommissionssystems auf - und den Handlungsbedarf. Es wäre gut, wenn wir eine national zuständige Kommission hätten, die sich mit dem Gesamtprojekt beschäftigt. Das Humanforschungsgesetz, das in der Vernehmlassung ist, prüft die Einrichtung einer solchen Stelle.

Nochmals: Offenbar haben die bestehenden Ethikkommissionen die Brisanz, die in Sesam steckt, übersehen.

Das ist in der Tat so. Die Methode, die Sesam präsentierte - wissenschaftliches Beobachten - schien unproblematisch zu sein. Ich bin dem Basler Appell dankbar für seine Intervention: Er hat den Fall zum Glück vor der Rekrutierung der 3000 Elternpaare auf den Tisch gebracht.

Sesam belässt es nicht beim Beobachten: Es wirbt damit, dass die Probanden mit einer Verbesserung ihres psychischen Zustands direkt von der Untersuchung profitieren könnten. Ist dieses Versprechen ethisch zulässig?

Über diesen Punkt habe ich mich auch gewundert. Im klinischen Bereich ist es gang und gäbe, die möglichen Vorteile für den Probanden zu benennen, etwa bei einem chirurgischen Eingriff. Im Falle Sesam ist das heikel, weil man das Versprechen vor der Rekrutierung abgibt. Ungeklärt ist auch die methodische Frage: Was bedeutet es für das Ergebnis, wenn die Interaktion zwischen Forschenden und Probanden zusätzliche Therapiemöglichkeiten bietet? Die Studie verspricht ja, dass die Gesellschaft etwas lernt über Depression. Hier müsste eine Ethikkommission nachfragen. Schlechte Wissenschaft ist nicht bewilligungsfähig.

Der Schweizerische Nationalfonds aber hat das Projekt bewilligt. Warum hat sich dort kein Widerstand geregt?

Hier werden die Grenzen des Peer-Review-Systems sichtbar: Gleiche begutachten Gleiche, ohne dass jemand die Faszination für die gleiche Methode aufbricht und eine andere, unabhängige Perspektive einbringt.

Sind die Ethikkommissionen Teil dieses Systems?

Wenn man behauptete, sie befänden sich ausserhalb des Systems, würde man sie überschätzen. Vielleicht trifft das für die nationalen Kommissionen zu, nicht aber für die kantonalen. Die sind nicht für grundsätzliche Reflexion geschaffen.

Was halten Sie persönlich von Sesam?

Es ist zwiespältig: Einerseits ist Depression ein wichtiges Thema. Dass man sie langfristig erforschen will, scheint mir sinnvoll zu sein. Andererseits: Langzeitbeobachtung ist eine heikle Sache. Ich bin mir nicht sicher, ob die Forschenden die sensiblen Fragen berücksichtigen. Sesam pflegt die Marketingsprache: Wenn man sich die Website anschaut, gewinnt man den Eindruck, auf betriebswirtschaftlichem Terrain zu sein. Das wirkt, als habe man sehr einfach gedacht.

Das Projekt beruht auf einer biologistischen Psychologie, der ein flächendeckendes Gesundheitsmanagement vorschwebt. Ist diese einseitige Ausrichtung ein Fall für die Ethikkommission?

Sie ist ein Fall für eine öffentliche Diskussion, weil eine Ethikkommission in einem Streit zwischen wissenschaftlichen Schulen nicht Stellung beziehen kann. Dem Projekt wohnt in der Tat eine bestimmte These über die Entstehung von Depression inne.

Wie lautet diese?

Laut Sesam interagieren zwar soziale Faktoren mit den Genen, doch eingreifen kann man vorab auf der biochemischen Ebene. Depression ist heilbar, wenn man die richtigen molekularen Ziele kennt: Bei Sesam klingt der Wunsch durch, dass man die Pille gegen Depression findet. Diesen - ich nenne das jetzt mal so - reduktionistischen Ansatz zu wählen, liegt in der Freiheit der Wissenschaft. Nur: Wenn der Staat Gelder bewilligt, tut er gut daran, ein Projekt von verschiedenen Seiten zu begutachten. Was man jedoch auch sagen muss: Für diesen Ansatz spricht sein Erfolg. Er kann neue wirksame Therapien und Medikamente vorweisen.

Sesam sagt, unsere Volkswirtschaft könne es sich auf die Dauer nicht leisten, dass die Wahrscheinlichkeit, an einer psychischen Störung zu erkranken, bei über vierzig Prozent liege.

Die Zahl hängt natürlich von der Definition von psychischer Störung ab - und über diese kann man streiten.

Das psychologische Projekt läuft unter dem Etikett «Sozialwissenschaft». Ist daran etwas sozialwissenschaftlich?

Das ist eine forschungspolitische Frage. Die Sozial- und Geisteswissenschaftler forderten ja, dass auch auf ihrem Gebiet nationale Forschungsschwerpunkte gebildet werden. Dass es nun so herausgekommen ist, haben sie sich sicher nicht vorgestellt ... Es wäre sinnvoll, wenn die Öffentlichkeit auch die Verteilung von Forschungsgeldern diskutieren würde.

Sesam weist Parallelen zu eugenischen Fantasien aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf, als die Wissenschaft eine gesunde, leistungsfähige Bevölkerung schaffen wollte. Was sagen Sie zu dieser Gleichsetzung?

Sie ist insofern berechtigt, als mir zwei Faktoren gleich scheinen: Die Hoffnung, dass man Gesundheit durch eine bestimmte medizinische Intervention einfach herbeiführen kann, und der Ansatz, die Leute und nicht die Gesellschaft zu therapieren. Allerdings waren die eugenischen Programme viel einschneidender.

Gehört es zur Aufgabe einer Ethikkommission, die Forschenden darüber aufzuklären, inwiefern ihr Ansatz historisch belastet ist?

Nochmals: Sesam hat nicht die alte Eugenik im Sinn. Diese Forscher haben ein sehr enges Gesichtsfeld und Scheuklappen. Sie sind für einen bestimmten Bereich gut ausgebildet und spezialisiert und hegen grosse Ambitionen, was sie mit ihren Methoden alles erreichen können. Was fehlt, ist Klugheit. Man müsste diesen Leuten zeigen, wie komplex die Welt ist, bevor man sie mit ihrem Optimismus auf die Welt loslässt. Gut gemeint ist nicht unbedingt das Gleiche wie gut.

Was passiert nun mit Sesam?

Ich befürchte, dass einzelne kantonale Kommissionen die einzelnen Teilprojekte begutachten werden, obschon man das Gesamtprojekt im Auge behalten müsste. Das ist ein ethisches Problem.

Klaus Peter Rippe hat Philosophie, Geschichte und Völkerkunde studiert. Er ist Präsident der Eidgenössischen Ethikkommission für Gentechnik im ausserhumanen Bereich, lehrt an der Universität Zürich Ethik und ist Geschäftsführer der Beratungsfirma ethik im diskurs.
"Kasten" beim WoZ-Artikel:
Sesam - geschlossene Forschung

Der nationale Forschungsschwerpunkt Sesam (Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health) will seit Oktober 2005 und noch bis ins Jahr 2025 herausfinden, wie Depressionen entstehen beziehungsweise psychische Gesundheit verursacht wird (siehe WOZ Nr. 10/05). Zu diesem Zweck sollen 3000 Kinder, ihre Eltern und Grosseltern während eines Zeitraums von zwanzig Jahren untersucht werden, die Kinder bereits ab der zwölften Schwangerschaftswoche. Der Basler Appell gegen Gentechnologie hat der Ethikkommission beider Basel letzte Woche eine Petition mit 12 000 Unterschriften übergeben, welche fordert, die «fremdnützige Forschung an Kindern» nicht zu bewilligen. Das gigantische Projekt ist an der Universität Basel angesiedelt und wird von den PsychologInnen Jürgen Margraf, Alexander Grob und Silvia Schneider geleitet. Die Kosten belaufen sich auf knapp 23 Millionen Franken: Den grössten Teil finanziert der Schweizerische Nationalfonds, weitere Beiträge kommen von der Universität Basel, der Pharmaindustrie, involvierten Kliniken und Stiftungen.
Das als sozialwissenschaftlich etikettierte Projekt spricht vom «Zusammenspiel psychologischer, biologischer, genetischer und sozialer Faktoren», doch keine der zwölf Teilstudien weist einen genuin sozialwissenschaftlichen Ansatz auf: Das Soziale taucht höchstens als «Determinante» auf, die von aussen auf das vorab als biologische Funktionseinheit gedachte Individuum einwirkt. Die Teilstudien befassen sich etwa mit dem «Training zur Förderung der Beziehung zum Kind», den «biologischen Grundlagen vorgeburtlicher Risikofaktoren», der evolutionstheoretisch abgeleiteten «Bedeutung von Investitionen der Grosseltern für die Gesundheit ihrer Kinder und Enkel», der «erhöhten Erregbarkeit im Emotionsregulationssystem» mittels Hirnforschung und Computertomografie, dem «Einfluss genetischer Faktoren auf die Entwicklung psychischer Krankheiten», der «Spektralanalyse der Herzfrequenzvariabilität in Beziehung zur psychosozialen Entwicklung» und neuroanatomischen Tierstudien. So wissenschaftlich kann die Lehre von der Seele auftreten.

Mittwoch, 22. März 2006

Remo Largo über Zürcher Langzeitstudien

Remo Largo, interviewt von "Horizonte", dem Magazin des SNF:

Seit über 50 Jahren laufen die Zürcher Longitudinalstudien, in denen die diversen Bereiche kindlicher Entwicklung untersucht werden. Geprägt hat diese Studien der Zürcher Kinderarzt Remo Largo. Nach seinem Abschied von der Universität zieht er Bilanz.
(...)
Largo: Mein Hauptinteresse galt den Zürcher Longitudinalstudien. Die Besonderheit dieser Studien liegt darin, dass die Kinder von der Geburt bis ins Erwachsenenalter begleitet wurden. Jedes Kind wird im ersten Lebensjahr fünfmal, im zweiten Lebensjahr zweimal,anschliessend jährlich bis zur Pubertät und in der Pubertät wiederum zweimal jährlich untersucht. Dabei werden alle wichtigen Entwicklungsbereiche wie Sprache,Motorik, Schlaf- oder Sozialverhalten festgehalten. Longitudinalstudien sind extrem zeitaufwändig und kostspielig. Sie stellen aber die einzige Möglichkeit dar, wesentliche Fragen der kindlichen Entwicklung zu beantworten.


"Kinder von der Geburt bis ins Erwachsenenalter begleitet"? Das klingt irgendwie bekannt...

"Moleküle für die psychische Gesundheit"?

Jürgen Margraf in einem kurzen Interview in der aktuellen Ausgabe des Magazins "Horizonte" des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, befragt zu Sesam:

Horizonte: Vorgesehen sind auch biologisch-genetische Untersuchungen. Warum braucht es die?
Margraf: Die Gene stellen die Ausgangsgrundlage dar, auf deren Basis sich in Wechselwirkung mit der Umwelt die weitere menschliche Entwicklung entfaltet. Die biologisch-genetischen Untersuchungen können Zusammenhänge zwischen DNA-Mustern und psychischer Gesundheit oder Krankheit sichtbar machen – dies immer auf der Ebene von Gruppen, nicht Einzelpersonen. Die Analysen ermöglichen die Entdeckung von neuen Molekülen, die wichtig sind für die Aufrechterhaltung von psychischer Gesundheit.


Irgendwie versteh ich nach dieser Aussage das Interesse der Psychopharmakaindustrie an Sesam viel besser!

Freitag, 17. März 2006

Tribune de Genève zu Risiko von Versuchen am Menschen

In der Tribune de Genève berichtet heute Valentine Zubler über die Problematik von klinischen Versuchen an Menschen, ausgehend von den schweren Komplikationen bei 6 Probanden in London. Sie nimmt auch Bezug auf Sesam. "Cobayes" heisst übrigens: Versuchskaninchen.

Cobayes humains: la Suisse n’est pas à l’abri d’un drame
Accident à Londres: Le drame de Grande-Bretagne, qui a vu six jeunes gens envoyés aux urgences à la suite d’un essai clinique, met en lumière les risques d’utiliser des cobayes humains.

Le drame de Grande-Bretagne, qui a vu six jeunes gens envoyés aux urgences à la suite d’un essai clinique, met en lumière les risques d’utiliser des cobayes humains.
Rarissime, certes, mais pas exclu. Un essai clinique a tourné au drame, à Londres, où six jeunes gens, qui participaient à un test pour un nouveau médicament, ont été admis aux soins intensifs à l’hôpital. Ce cas de figure aurait très bien pu se produire en Suisse. Où, comme en Angleterre, les cobayes humains sont souvent des jeunes et des étudiants. «Chaque année, une centaine de personnes se prêtent à des expériences», indique Andrea Arz de Falco, à l’Office fédéral de la santé publique (OFSP). Mais quelles sont, au fond, les limites à la participation de sujets lors de tests cliniques? Une question d’actualité dans notre pays, à l’heure où la Confédération revoit le cadre légal de la recherche sur les êtres humains.
Tests indispensables
Mais d’abord, des nouvelles de Grande-Bretagne. Quatre des six jeunes hommes tombés gravement malades ont vu leur état s’améliorer légèrement. Ces personnes avaient volontairement accepté de se prêter à un essai pour un nouvel anti-inflammatoire, destiné à combattre la leucémie et la sclérose en plaques. Les deux autres cobayes sont toujours dans un état critique. Ironie du sort, au Japon, onze patients souffrant de démence vasculaire, et sur lesquels un médicament appelé Aricept était testé, ont, eux, trouvé la mort.
Si ces affaires mettent en lumière les tests pratiqués sur les cobayes humains, ceux-ci sont pourtant indispensables, note Andrea Arz de Falco. Au besoin, même sur des jeunes sujets. «Par exemple, lorsqu’il s’agit de tester un médicament anticancer destiné aux enfants, il est nécessaire de le faire sur de jeunes patients. »
En Suisse, les expériences cliniques sont strictement régies par la Loi sur les produits thérapeutiques, en vigueur depuis 2001. Les prescriptions sont à peu près les mêmes qu’en Grande-Bretagne (lire ci-dessous). «Les cobayes sont recrutés par des firmes pharmaceutiques qui les indemnisent pour leur participation», poursuit la porte-parole de l’OFSP.
La crainte de la science
On relèvera par ailleurs que la participation des mineurs ou des personnes incapables de discernement s’effectue seulement si ces derniers y trouvent un bénéfice direct et que les risques encourus sont jugés minimes. Le reste est l’affaire des cantons. La Loi sur l’être humain, actuellement en consultation, devrait toutefois renforcer davantage le cadre de ces recherches.
Seulement voilà. Le recours à des êtres humains se heurte encore et toujours à des réticences. En Suisse, le débat a récemment rebondi. Les responsables du nouveau pôle de recherche national en santé mentale SESAM, conduit par l’Université de Bâle et financé à hauteur de 10,2 millions de francs (sur 70) par le Fonds national suisse, en savent quelque chose.
Pourtant, SESAM ne pratiquera pas de tests cliniques. L’objectif de ce projet est seulement d’observer le développement psychique de l’enfant jusqu’à l’âge adulte: 3000 enfants devraient donc faire l’objet d’un suivi à partir de la douzième semaine de grossesse de leur mère, jusqu’à leur vingtième anniversaire. Ce qui a tout de même valu à SESAM une interpellation au parlement, à laquelle le gouvernement a répondu en décembre 2005. Reste que, pour Jürgren Margraf, le directeur de ce projet, cette réticence s’explique, entre autres, par «la crainte de la science». Une crainte que l’accident de Londres ne vient, pour le grand dam des chercheurs, que renforcer.

Les 4 phases d'un médicament
Dans la plupart des pays, les essais cliniques de médicaments passent par quatre phases. Un long «chemin» qui dure entre dix et quinze ans.
- La phase I consiste à tester le produit thérapeutique sur un petit groupe de personnes saines, indique Andrea Arz de Falco, à l’OFSP. Les essais menés à Londres s’inscrivaient dans cette catégorie. Ces tests ne sont pratiqués qu’après de multiples expériences in vitro ou sur des animaux. Les risques encourus sont minimes.
- Lors de la phase II, le médicament est administré à un petit groupe de patients.
- Lors de la phase III, le nombre de patients est élargi à plusieurs centaines, voire milliers. La demande de mise sur le marché du médicament peut être soumise à Swissmedic, l’Institut des produits thérapeutiques.
- Pour finir, durant la phase IV, le médicament est accessible, mais reste plusieurs années sous surveillance.
Kommentar zum Artikel von Zubler aus der Feder von TdG-Redaktorin Pascale Zimmermann
"Cobayes humains, la nouvelle loi répond"

Deux hommes se trouvent encore en Grande-Bretagne dans un état critique pour s’être soumis à l’essai clinique d’un nouveau médicament. Un tel accident pourrait se produire en Suisse. Faut-il pour autant interdire les tests sur l’être humain et s’affoler à l’idée qu’on en pratique sur des enfants?
Le Pôle de recherche national de l’Université de Bâle qui s’intéresse aux maladies psychiques étudie 3000 enfants, de la 12e semaine de gestation jusqu’à leur 20e année. Leur patrimoine génétique est collecté, leur santé mentale et leur comportement passés au crible. Ce programme a lancé la polémique de façon spectaculaire. Peut-on impliquer de jeunes enfants sans mettre en péril leur autonomie? Appartient-il à leurs parents de décider pour eux? La nouvelle loi relative à la recherche sur l’être humain, actuellement en consultation, prévoit des réponses. Notamment l’examen systématique de tout projet par une commission d’éthique dont les membres feront, au cas par cas, la pesée des intérêts entre les risques — pour un enfant cobaye particulier — et les bénéfices — pour de nombreux enfants à l’avenir. Y compris, et c’est la grande nouveauté, lors de recherches en psychologie et en sociologie. Et cette commission supervisera aussi l’information donnée aux parents. Qui décideront ainsi in fine de l’avenir de leurs enfants en connaissance de cause.

bz: Interview mit Alexander Grob, stv. Dir. Sesam

Heute in der basellandschaftlichen Zeitung: ein längeres Interview mit Alexander Grob (klick für Bild des Artikels: gross: 768x1024 oder riesig: 2304x3072) Hier die ersten paar Fragen:

Frage: Wann werden die Sesam-Projekte der Ethikkommission beider Basel eingereicht?
A.G.: Wir hoffen, so schnell wie möglich. Das Einreichungsprozedere hat Anfang März begonnen. Wann in welcher Form die Unterlagen so eingereicht werden können, wie die Kommission sie wünscht, ist aufgrund der Komplexität des Projektes und der Abfolgen der Teilstudien noch unklar. Diese Arbeiten sind extrem arbeitsintensiv. Mit der Ethikkommission beider Basel wurde deshalb über eine Etappierung diskutiert. Sicher und selbstverständlich ist: Keine Studie beginnt vor der Bewilligung durch die zuständige Ethikkommission.

Frage: Werden sie Erbgut-Analysen an Kindern vornehmen?
A.G.: Es werden Genom-Analysen gemacht, die auf der Ebene von Gruppen von Menschen Zusammenhänge zwischen DNA-Mustern und psychischer Gesundheit oder Krankheit zu erkennen versuchen. Es handelt sich nicht um Gentests, bei welchen nach bestimmten genetischen Merkmalen, die für Erbkrankheiten verantwortlich sind, gesucht wird. Sesam führt keine Gentests durch.

Frage: Die Gegner sagen, die Rechtslage der Schweiz lässt fremdnützige Forschung an Kindern nicht zu.
A.G.: Es stimmt nicht, dass fremdnützige Forschung an Kindern verboten ist. Sonst wäre fast sämtliche Bildungsforschung, zum Beispiel die Pisa-Studien, verboten. Deren Erkenntnisse kommen ganz grundsätzlich anderen Kindern zugute, als jenen, die beforscht wurden. Es profitieren die nachfolgenden Schulergenerationen. Fast sämtliche geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung ist im Übrigen "fremdnützig", weil die Resultate nachfolgenden Gruppen respektive der Gesellschaft zugute kommen und nicht direkt den Beforschten. Heute spricht man übrigens von Forschung ohne direkten Nutzen für die Beforschten. Gemäss dem in der Vernehmlassung stehenden Humanforschungsgesetz dürfen Forschungsprojekte ohne direkten Nutzen mit unmündigen Personen dann durchgeführt werden, wenn damit höchstens minimale Risiken und Belastungen verbunden sind und die betroffene Person respektive der gesetzliche Vertreter nach hinreichender Aufklärung schriftlich eingewilligt hat.
(...)


Nach der Interviewlektüre mich u.a. gefragt:
  • Was sind "Genom-Analysen (...), die auf der Ebene von Gruppen von Menschen Zusammenhänge zwischen DNA-Mustern und psychischer Gesundheit oder Krankheit zu erkennen versuchen"?
  • Wie sind denn "Genom-Analysen (...), die auf der Ebene von Gruppen von Menschen Zusammenhänge zwischen DNA-Mustern und psychischer Gesundheit oder Krankheit zu erkennen versuchen", durchzuführen OHNE Gentests? Die direkte Antwort auf die konkrete Frage "Werden Sie Erbgut-Analysen an Kindern vornehmen?" müsste doch wohl "Ja!" heissen. Alles andere riecht nach Ausweichmanöver und Nebelwerfen.
  • "Pisa-Studien" und "fast sämtliche geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung" bezüglich Fremdnützigkeit über einen Leisten schlagen mit klinischer und psychologischer Forschung an Kindern à la Sesam: Ist das zulässig?

Sonntag, 12. März 2006

Berner Zeitung: Island - Volk will keine nationale Gendatenbank

BZ vom 11.3.06:
Den «grössten je im Bereich der Humangenetik abgeschlossenen Deal» kündigten im Februar 1998 die Biotechfirma DeCode, die Basler Pharmafirma Roche und Islands Ministerpräsident David Oddson an. Das von Roche in Aussicht gestellte Engagement von 200 Millionen Franken sollte Islands Parlament beflügeln, ein entsprechendes Gesetz für eine zentrale isländische Gesundheitsdatenbank zu unterzeichnen. DeCode wollte gratis eine umfassende Datenbank zur Planung des Gesundheitswesens liefern. Als Gegenleistung forderte die Firma Zugang zu staatlichen Gesundheitsdaten, die sie mit Gen-Daten der 290 000 Isländer ergänzen wollte, gewonnen aus Blutproben. Diese Daten und die öffentlich zugänglichen Familienstammbäume sollten DeCode Informationen über vererbbare Volkskrankheiten wie hoher Blutdruck oder Asthma liefern, um gezielt Medikamente zu entwickeln.
Nach einem weltweiten Echo ist es um das Projekt still geworden. Roche hat ihren Vertrag zwar mehrmals verlängert, aber sukzessive eingeschränkt, wie Klaus Lindpaintner, Leiter der Roche-Genforschung, präzisiert. Für die ambitiöse Gendatenbank hat DeCode, gemäss eigenen Angaben, nur einen Drittel der Bevölkerung, etwa 100 000 Isländer, gewinnen können. Die zentrale Gesundheitsdatenbank, der lukrative Deal für die Behörde, ist nie erstellt worden, sagt DeCode-Sprecher Edward Farmer gegenüber dieser Zeitung, ohne Gründe nennen zu wollen.
chr

Berner Zeitung: "Blauäugige Begeisterung"

Interview in der BZ vom 11.3.:
Das gescheiterte Genom-Datenprojekt über Islands Bevölkerung vergleicht die Philosophin Sigridur Thorgeirsdottir mit dem Dürrenmatt-Stück «Der Besuch der alten Dame».

Haben Sie Ihre Daten für Islands geplante Gesundheitsdatenbank zur Verfügung gestellt?


Sigridur Thorgeirsdottir: Nein, ich gehöre zu den 7 Prozent der Bevölkerung, die ausgestiegen sind. Weil ich das dazu gehörige Gesetz von 1998 nicht gut fand.

Warum nicht?

Das Gesetz ist fehlerhaft. Die Gesundheitsdaten sollten ohne schriftliche Einwilligung zur Verfügung gestellt werden. Der Staat ging von einer pauschalen mutmasslichen Einwilligung aus. Patienten, die damit nicht einverstanden waren, konnten ihre Daten ausschliessen lassen, so wie ich es getan habe. Es wurde offenbar befürchtet, zu viele Leute könnten ihre Unterschrift verweigern, falls sie explizit dazu angefragt würden.

Hat Islands Parlament zu diesem Gesetz keine Debatte geführt?

Das Gesetz war im Parlament sehr umstritten, ebenso bei den Ärzten und Forschern. Das Konzept der mutmasslichen Einwilligung ist moralischer Müll. Gerade weil auch eine kommerzielle Verwendung vorgesehen war, hätte man die Bürger auffordern sollen, der Freigabe ihrer Daten schriftlich zuzustimmen. Diese Einwilligung wäre wohl eher zu erhalten, wenn die Leute regelmässig über die Verwendung der Daten informiert würden und jederzeit ihre Daten zurückziehen könnten.

Zwei Drittel der 290 000 Isländer sagten nein. Sie trauen der Anonymisierung ihrer Daten offenbar nicht.


In einem so kleinen Land ist es tatsächlich schwierig, die Anonymität zu gewährleisten. Zwar gab es die Zusicherung, dass man keine Individuen in der Datenbank erkennen kann. Auf Grund von Informationen über Gruppen mit seltenen Krankheiten hätte man aber möglicherweise Schlüsse über bestimmte Leute ziehen können.

Was ist aus dem Scheitern von Islands Datenbank zu lernen?

Ein Gesetz für eine Gesundheitsdatenbank darf man nicht unter Zeitdruck verabschieden, wie dies geschehen ist. Dies hat zu einer hitzigen Debatte mit viel Kritik und Missverständnissen geführt. Es müssten alle Interessenvertreter für das Aushandeln einer Lösung gewonnen werden.

Dann würden die Leute eine Datenbank vielleicht akzeptieren?

Aber nur, wenn ein breites Wissen über Genetik und Pharmagenetik vorhanden ist. Dazu ist guter Wissenschaftsjournalismus unentbehrlich. In Islands Hauptstadt Reykjavik gab es während der Gesetzesdebatte viele Kulturjournalisten und Theaterkritiker, aber kaum kritische Wissenschaftsjournalisten. Was aber hat auf unser Leben mehr Einfluss, ein Theaterstück oder neue Forschungen und Tendenzen in den Biowisssenschaften? Es ist wichtig, dass wir uns fragen, was für Folgen die neue Technologie und Wissenschaft – hier eine mögliche Genetisierung der Gesundheitsvorsorge – haben könnte.

Sollte es weiterhin ein Recht auf Nichtwissen geben?

Darauf gibt es keine einfache Antwort. Dazu ein Beispiel. Es werden Diagnoseinstrumente entwickelt, die genetische Veranlagung für einen Herzinfarkt festzustellen. Stellt man diese Veranlagung bei einem zehnjährigen Mädchen fest, wird sie vielleicht künftig zum Medikamenten-Abonnenten. Und wächst im Wissen auf, potenziell herzkrank zu sein. Genetische Diagnosen können unser Selbstbild verändern. Es sollte nicht soweit kommen, dass dadurch andere Faktoren wie Ernährung oder Lebensstil unterbewertet werden.

Aber eine genetische Diagnose könnte doch zu individuell ab-gestimmten Medikamenten führen?

Man muss sich aber fragen, wie teuer solche Medikamente zu stehen kämen. Wird die staatliche Gesundheitsversorgung eine solche Entwicklung finanziell verkraften können? Und wird die genetische Ausrichtung der Medizin zudem die Gefahr der eingeschränkten Sicht auf Gesundheit und Krankheit mit sich bringen? Hoffentlich nicht.

Was ist Ihre Bilanz aus der Gesundheitsdatenbank-Affäre Ihres Landes?


Dass die Wirklichkeit manchmal dazu neigt, dem Stoff eines Dürrenmatt-Theaterstücks zu gleichen. Ich denke da an den «Besuch der alten Dame». Viele Leute, die sich als kritisch einschätzen, werden blauäugig, wenn Markt und wirtschaftlicher Gewinn im Spiel sind. Viele der Juristen und Ethiker, die sich mit Pro und Kontra von Biodatenbanken befassen, haben sich im Prinzip nicht den wirklich wichtigen Fragen gestellt. Es sind folgende Fragen: Welche Bedeutung haben solche Datenbanken für die Gesundheitsfürsorge, wie wird dabei unser Menschenbild und unsere Gesellschaft verändert?
Interview: Christian Bernhart

Sigridur Thorgeirsdottir ist Philosophin und Ethikerin in Islands Hauptstadt Reykjavik.

Berner Zeitung: "Die durchsichtigen Leiden des schutzlosen Patienten"

BZ, 11.3.:
Keine Angst: Genetische Daten sind in der Schweiz vor unbefugten Mitwissern geschützt durch das Gesetz! Ist das so? Leider nein. Das gültige Gen-Gesetz kann es nicht, alte Gesetze werden nicht eingehalten. Und das Arztgeheimnis ist in der Versicherungspraxis längst aufgeweicht. Bloss will das alles niemand wissen.
Es ist ein medizinischer Traum: Wissenschaftler möchten das Erbgut ganzer Völker auf Datenbanken ablegen und durchforsten, um so genetische Defekte zu finden, die womöglich die grossen Volkskrankheiten steuern. Die Pharmaindustrie träumt mit, in der Hoffnung, treffsicherere Medikamente mit weniger Nebenwirkungen zu entwickeln. Das lukrative Geschäft wäre eine angenehme Begleiterscheinung.
Zukunftsmusik? Nein. Das kleine Island startete 1998 das Projekt für eine nationale Gendatenbank (siehe Interview und Box). Die Schweizer Pharmaindustrie legt schon Biodatenbanken an. Und im letzten Oktober hat der Schweizerische Nationalfonds den Forschungsschwerpunkt «Sesam» gestartet. Von der Wiege bis zur Mündigkeit sollen 3000 Kinder mit Hilfe ihrer genetischen Daten und ihres familiären Umfelds Aufschluss über psychische Leiden geben. Das Projekt geniesst die Unterstützung von Novartis und Roche. Budget bis Ende 2009: 17 Millionen Franken.
Keine gesetzliche Basis
Die schönen Träume stossen aber auf Widerstand. In Island ist das optimistisch angekündigte Projekt vorerst gescheitert, weil zwei Drittel der Isländer ihre Gesundheitsdaten nicht für eine Gen-Datenbank preisgeben wollten. Die genetische Durchleuchtung des Menschen, vor ein paar Jahren noch euphorisch gefeiert, löst nun die Angst vor dem gläsernen Patienten aus, dessen versteckte Leiden für Staat, Medizin und Krankenkassen einsehbar werden – und missbraucht werden könnten. In der Schweiz lief unlängst der «Basler Appell gegen Gentechnologie» Sturm und forderte die Sistierung von «Sesam». Die grüne Nationalrätin Maya Graf doppelte in einer Interpellation nach, weniger radikal allerdings. Graf: «Ich will Wissen nicht stoppen, aber die Forschung kritisch begleiten und hinterfragen.»
Die Thematik würde eigentlich nicht nur gentechkritische Kreise betreffen. Sondern alle Bürgerinnen und Bürger. Es könnte sie insbesondere interessieren, dass die Verwendung genetischer Daten, wie sie in Schweizer Forschungsprojekten schon läuft, gesetzlich gar nicht, noch nicht oder nur unvollständig geregelt ist. Das bewilligte Bundesgesetz über die genetischen Untersuchungen beim Menschen (GUMG) tritt erst auf den 1. Januar 2007 in Kraft. Und für das übergeordnete «Gesetz über die Forschung am Menschen» ist Anfang Jahr erst die bis am 31. Mai andauernde Vernehmlassungsfrist angelaufen.
Das GUMG regelt Gen-Daten primär als Personenschutzgesetz. Es überlässt also dem Einzelnen den Entscheid, ob er sich über seine Gen-Daten ins Bild setzen will oder nicht – und überfordert ihn bald einmal. Inwiefern die ganze Gesellschaft vom Wissen über das Erbgut betroffen ist, das bleibt im Gesetz ausgeklammert. Eine allgemeine Debatte wird von Artikel 6 des Gesetzes gewissermassen verhindert: «Jede Person hat das Recht, die Kenntnisnahme von Informationen über ihr Erbgut zu verweigern.»
Nicht wissen geht nicht
Der Entscheid des Einzelnen ist aber nicht absolut. Wollen beispielsweise Paare vor einer Schwangerschaft wissen, ob in ihren Genen oder in jenen des Nachkömmlings mögliche Krankheiten stecken, dann muss sie der Arzt informieren, wenn der Gentest Hinweise gibt, dass sie unmittelbar selbst bedroht sind oder der Fötus im Mutterleib gefährdet ist. Wer sich also einem Gentest unterzieht, sei es aus Neugier oder für die Familienplanung, macht bereits den entscheidenden Schritt, nach dem es kein Zurück mehr gibt.
Auch der Stand von Forschung und Technik zwingt dem Einzelnen bald Kenntnisse über sein Erbgut auf, ob er das nun will oder nicht. Eine Gen-Diagnose ist in Kürze schnell und problemlos lieferbar. An der Universität Basel hat Christoph Gerber im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunktes der Nanowissenschaften ein handliches Gerät entwickelt, das genetische Untersuchungen so schnell und einfach wie ein Blutgruppentest-Gerät durchführt. Der Gentest als Routineuntersuchungen dürfte in naher Zukunft kommen.
Wer an das verbriefte Recht auf Nichtwissen glaube, sei blauäugig, meint der Arzt und Informatiker Martin Denz, der als Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Informatik eingehend mit der Problematik medizinischer Daten vertraut ist. Wichtige Fragen stehen an: Was wird der Arzt als genetische Bedrohung einstufen, wenn er bei seiner Diagnose auf sicher gehen will, damit ihn später nicht der Vorwurf trifft, lebensrettende Informationen für sich behalten zu haben? Und wird der Patient auf Informationen verzichten wollen, verzichten können, wenn er weiss, dass es womöglich ein Hinweis auf eine Krankheit gibt?
Schon heute kann der Patient eigentlich gar nicht mehr nicht wissen wollen. Weil es immer mehr heikle Daten gibt. Damit ist für Denz eine Spirale angestossen: «Einmal bekannt gewordene Gesundheitsdaten lassen sich nicht ungeschehen oder rückgängig machen.»
Einblick für Versicherer
Dazu kommt: Das GUMG garantiert den Versicherungen unter bestimmten Bedingungen ein Mitwissen. Sie sollen laut Artikel 27 vor Abschluss einer Lebensversicherung, die über 400 000 Franken liegt, bestehende Gentests zur Risikoabklärung verlangen können. Versicherer dürfen sogar genetische Risikodiagnosen einbeziehen, wenn Kunden bei ihnen eine Spitalzusatzversicherung absichern oder andere Leistungen privat versichern wollen. Der medizinische Fortschritt ist hier Massstab. Zulässig sind Gen-Diagnosen etwa, wenn der «wissenschaftliche Wert der Untersuchung für die Prämienberechnung nachgewiesen ist». Wer aber entscheidet über den wissenschaftlichen Wert solcher Untersuchungen? Zunächst Experten, letztlich dann die Gerichte, die für teures Geld exemplarische Urteile zu fällen haben.
Schon heute ist das Arztgeheimnis zugunsten der Privatversicherer aufgeweicht. Erst nachdem das Parlament das GUMG im Oktober 2004 verabschiedet hatte, deckte der Bundesrat im Februar 2005 diesen Tatbestand im Bericht zum Postulat «Regelungslücken im medizinischen Datenschutz in den Sozialversicherungen» auf. Das Fazit des Berichts, zu dem das Institut für Gesundheitsrecht der Universität Neuenburg die Daten lieferte: Gesetze und Regeln sind zwar lückenlos, werden aber nicht eingehalten.
So geben befragte Krankenkassen freimütig zu, die Gesundheitsdaten zwischen der Sozialversicherung (obligatorische Krankenversicherung) und der Privatversicherung (Spitalzusatzversicherung) hin- und her zu schieben. Und Mitarbeiter der Versicherer können Patientengeschichten, die für den Vertrauensarzt bestimmt sind, ohne weiteres einsehen, weil diese elektronisch unter einheitlichem Code gespeichert sind.
Patientenschutz ausgehöhlt
Diese Praxis ist eigentlich gesetzeswidrig: Sozialversicherungen sind zur Schweigepflicht gegenüber Dritten verpflichtet. Und Privatversicherer sind solche Dritte, denn im Gegensatz zu den Sozialversicherern dürfen sie als profitorientierte Unternehmen kranke Patienten ausschliessen oder deren Gebühren drastisch erhöhen. Diesen Verstoss gegen das Gesetz listet der Bericht kommentarlos auf, was den Arzt Denz folgern lässt: «Der Bericht ist ein Blankoscheck zugunsten der heutigen Praxis.»
Er findet es zudem stossend, wie das Arztgeheimnis zunehmend durch die Verordnung ausgehöhlt wird. So misst das Krankenversicherungsgesetz (KVG) dem Arztgeheimnis und Patientenschutz grossen Wert bei und verpflichtet die Ärzte, Diagnosen erst auf speziellen Antrag und nur zuhanden des Vertrauensarztes der Krankenkasse zu liefern. Die Verordnung zum KVG hingegen macht diese Verpflichtung zur Makulatur. Sie verlangt nämlich, dass der Arzt die Rechnung mit einem Diagnosecode zu versehen hat.
Vergeblich hatte die Berner Konsumentenschützerin Simonetta Sommaruga 2001 noch als Nationalrätin versucht, den Datenschutz des Patienten anzumahnen. Heute verpflichtet der Tarmed-Vertrag bei der ambulanten Behandlung die Ärzte dazu, die Diagnose aufgrund von 100 Krankheitsbildern zu übermitteln.
Widersprüchliches Gesetz
Den Versicherern liegen somit die Gesundheitsdaten bald einmal detailliert vor. Der gläserne Patient wird immer mehr Wirklichkeit. Gesundheitsdaten wandern nicht nur von der Sozial- zur Privatversicherung, sondern geraten in gewissen Fällen auch schon in die Hände der Lebensversicherer. In der Praxis haben die Versicherer heute schon das Risiko zu ihren Gunsten reduziert. Und das GUMG gibt ihnen nun mit dem Zugang zu genetischen Daten ein weiteres Instrument in die Hand.
Das gleiche Gesetz, das das Individuum schützt und ihm eine umfassende Entscheidungsfähigkeit einräumt und verbietet, dass persönliche Daten an Dritte geliefert werden, lässt genau das durch die Hintertüre zu. Auch das nun in die Vernehmlassung geschickte Humanforschungsgesetz schützt die Person und wird doch nicht verhindern können, dass dieser Schutz in der Versicherungspraxis unterlaufen wird.
Diese Schwäche des Rechts hat vielleicht auch mit einer reduzierten Perspektive auf die ganze Thematik zu tun. Der isländischen Philosophin Sigridur Thorgeirsdottir (siehe Interview) fiel mit Befremden auf, wie Ethiker, Behördenvertreter und Politiker in der Schweiz Gesundheit und Krankheit fast ausschliesslich auf juristischer Ebene abhandeln und zufrieden sind, wenn Gesetze mit klaren Paragrafen vorliegen.
Die Philosophin berichtete an einer Tagung der Schweizer Stiftung für Datenschutz und Informationssicherheit zum Thema «Biobanken – Forschung und Persönlichkeitsschutz» über die Gendaten-Debatte in ihrem Heimatland. Sie forderte in ihrem Referat eine breite Diskussion über Sinn, Zweck und Kosten von Biodatenbanken.
Ich bin gesunder als du!
Ein Aspekt schliesslich ist bis jetzt gar nicht debattiert worden: Der Einzelne könnte seine Gen-Daten schamlos zu seinem Vorteil verwenden. Im harten Wettbewerb bei zunehmender Arbeitslosigkeit könnte der Gesunde dem Arbeitgeber freiwillig seine Gen- oder Gesundheits-Daten unter die Nase halten. Insbesondere dann, wenn eine belastbare Persönlichkeit gefragt ist. Bruno Baeriswyl, Präsident der Stiftung Datenschutz und Informationssicherheit, aber auch der Arzt Denz hält solch unlauteren Wettbewerb für möglich. Beiden kommt der Science-Fiction Film «Gattaca» von 1997 in den Sinn. Der Film, der den genetisch perfekten Menschen zum Thema macht, zeigt eine Welt auf, in der Menschen genetisch manipuliert werden, um Krankheitsrisiken auszuschalten. Menschen mit genetischen Fehlern haben kaum mehr Aussichten auf einen Job.

Samstag, 11. März 2006

Tages-Anzeiger heute über Sesam

Protest gegen Psycho-Studie an Kindern
Darf man Forschung betreiben an Embryonen und Kindern? Nein, finden Kritiker und haben gegen ein ehrgeiziges Projekt des Nationalfonds über 10 000 Unterschriften gesammelt.
Von Antonio Cortesi
Das sei «gut investiertes Geld», sagte Pascal Couchepin im vergangenen März, als er 50 Millionen Franken für sechs nationale Forschungsschwerpunkte der Geistes- und Sozialwissenschaften freigab. Mit 10,2 Millionen wurde auch ein Grossprojekt der Universität Basel bedacht. Projektleiter Jürgen Margraf, Professor für klinische Psychologie, hatte damals allen Grund zur Freude.
Inzwischen dürfte die Freude getrübt sein. Gegen das Projekt «Sesam» (Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health) hat sich erbitterter Widerstand formiert. Federführend ist dabei der Basler Appell gegen Gentechnologie. Der Verein hat eine Petition lanciert und in kurzer Zeit über 10'000 Unterschriften gesammelt, wie Geschäftsführerin Pascale Steck auf Anfrage bekannt gab. Das sei ein «beachtlicher Erfolg», zumal in Basel für eine Volksinitiative bloss 4000 Signaturen nötig sind.
Der Basler Appell wird die Petition am kommenden Dienstag dem Präsidenten der Ethikkommission beider Basel überreichen. Diese wird demnächst darüber beraten, ob die Studie moralischen Richtlinien standhält. Für die Realisierung von Sesam ist dies entscheidend.
Sesam ist ein weltweit einzigartiges Langzeitprojekt, das über die Ursachen psychischer Krankheiten Aufschluss geben soll. Die Forscher wollen die Entwicklung von 3000 Kindern und ihren Familien über einen Zeitraum von zwanzig Jahren wissenschaftlich begleiten - und zwar bereits ab der zwölften Schwangerschaftswoche. Dabei soll auch das Erbgut analysiert werden. Im Vordergrund steht die Frage, wie relevant genetische Faktoren beziehungsweise Umwelteinflüsse für die psychische Gesundheit sind.
Für den Basler Appell stossen die Forscher in einen Tabubereich vor. Zudem, so Pascale Steck, werfe die Studie heikle rechtliche Fragen auf:
Kinder würden instrumentalisiert, lautet der Hauptvorwurf. Da sie nicht urteilsfähig seien, könnten sie nicht selber entscheiden, ob sie sich am Projekt beteiligen wollen. Zudem würden sie nicht direkt von der Forschung profitieren.
Mit Speichelproben soll das Erbgut der Kinder und Eltern analysiert werden. Damit bewegten sich die Forscher im juristischen Graubereich.
Das genetische Material werde in Biobanken gespeichert. Das sei datenschützerisch höchst problematisch, zumal auch die Pharmaindustrie das Projekt unterstütze und Interesse an den Daten habe.
Bekämpft wird die Studie auch im eidgenössischen Parlament. Die grüne Basler Nationalrätin Maya Graf hat eine von Vertretern aus GP, SP, CVP und EVP mitunterzeichnete Interpellation eingereicht. Darin fragt sie den Bundesrat, ob er die «fremdnützige klinische Forschung an Kindern» gutheisse - zumal das Bundesgesetz über die Forschung am Menschen noch ausstehend sei und mit der Bewilligung der Studie ein Präjudiz geschaffen werde.
Der Bundesrat sieht darin jedoch kein Problem, wie er in seiner Antwort schreibt. Inzwischen hat er zudem das Gesetz über die Forschung am Menschen in die Vernehmlassung geschickt. Gemäss dem Entwurf sollen Forschungen an unmündigen und nicht urteilsfähigen Personen erlaubt sein, wenn die gesetzlichen Vertreter einwilligen und die Risiken und Belastungen minimal sind.
Diese Kriterien seien bei Sesam ohne Zweifel erfüllt, sagte Projektleiter Margraf auf Anfrage: «Es steht jedem Beteiligten jederzeit frei, sich aus der Studie zurückzuziehen.» Erfahrungen mit ähnlichen Studien aus dem Ausland zeigten jedoch, dass die Familien in den meisten Fällen begeistert mitmachten, weil sie vom Wissen der Forscher profitierten. Margraf rechnet bei Sesam mit einer Ausstiegsquote von maximal 30 Prozent.
Maya Graf kritisiert aber auch «die ökonomielastige Grundhaltung» der Studie. Sauer aufgestossen ist ihr die Formulierung im Projektbeschrieb, Sesam trage dazu bei, «die Position des Landes in einem Feld von grösster strategischer Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft nachhaltig zu stärken». Dass der Pharmakonzern Roche das Projekt mit sechs Millionen Franken unterstützt, schürt die Befürchtungen der Nationalrätin, Sesam habe einseitig das «ökonomische Funktionieren des Menschen» zum Ziel.
Auch diese Bedenken teilt der Bundesrat nicht: Die Erforschung psychischer Krankheiten gehe «weit über ökonomische Interessen hinaus». Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) würden im Jahr 2020 Depressionen «die zweithäufigste Ursache für vorzeitige Sterblichkeit und gesundheitliche Beeinträchtigungen» sein, so die Regierung. Und Margraf ergänzt: In der Schweiz gebe es jährlich dreimal mehr Suizide (1546) als Verkehrstote. Die Studie könne zur Prävention beitragen, was volkswirtschaftlich sehr wohl bedeutsam sei.
Geplanter Starttermin für Sesam ist der kommende Oktober. Am Anfang der Studie steht die Rekrutierung von 3000 schwangeren Frauen in diversen Frauenkliniken der Schweiz - was laut Margraf «kein Problem» sein werde. Bereits im Mutterleib sollen die Ungeborenen mit Ultraschall untersucht werden, beispielsweise auf ihr Stressverhalten hin. Nach der Geburt ist etwa das Schreiverhalten des Kindes und die Reaktion der Eltern ein Thema. Der Hauptteil der Daten soll aus Gesprächen, Fragebogen und Beobachtungen stammen.
Sesam ist ein Megaprojekt. Mit zwölf Teilstudien sind auch die Universitäten Zürich, Bern, Lausanne und Genf beteiligt. Ein hoch dotiertes Gremium mit Professoren aus den USA, aus Grossbritannien, Kanada und Australien soll den hiesigen Forschern beratend zur Seite stehen.
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Sesam Watch

Beobachtungen und Notizen zum Schweizer NCCR "Sesam", der 3'000 Kinder und ihr Umfeld vom ersten Ultraschallbild an 20 Jahre lang beobachten wollte (vorzeitiger Abbruch: 13.3.08). Autonom, skeptisch, ehrenamtlich. Kontakt: sesamwatch@gmail.com

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