Sesam in der Krise - in NZZ und Tagi
Neue Zürcher Zeitung, 07.03.2008, Seite 16
Sesam fehlen die Frauen
Forschungsschwerpunkt sucht nach Studienteilnehmerinnen
hof. «Sesam» bekundet Mühe, genügend Frauen für die angepeilten Studien zu rekrutieren. Die Wissenschafter des Nationalen Forschungsschwerpunkts Sesam, dessen Hauptsitz an der Universität Basel ist, wollen die psychische Entwicklung über die Lebensspanne untersuchen (Sesam steht für Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health). Dazu werden seit vergangenem Oktober in verschiedenen Kliniken schwangere Frauen gesucht, die bereit sind, an den Versuchen mitzumachen. In der ersten Phase werden die Teilnehmer interviewt, es finden Verhaltensbeobachtungen und Ultraschalluntersuchungen sowie biologische Messungen statt. «Bisher haben sich dafür deutlich weniger Frauen gemeldet, als wir geplant haben», sagt Jürgen Margraf, Direktor von Sesam und Professor für
klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Basel. Genaue Zahlen möchte er noch nicht nennen. Am Montag werde man die neusten Zahlen zusammentragen und am Donnerstag die Öffentlichkeit informieren, sagt er. Man müsse sich jetzt überlegen, wie die Versuchsanlage angepasst werden könne, um die Ziele trotzdem zu erreichen. Insgesamt will die Studie über 20 Jahre hinweg 3000 Kinder und deren Familien forschend begleiten. Es bestünde zum Beispiel die Möglichkeit, die Frauen statt während der Schwangerschaft erst ab Geburt zu rekrutieren, sagt Margraf. Dabei erziele man in der Regel bessere Resultate, was die Anzahl Studienteilnehmer betrifft. Allerdings wäre man dann gezwungen, die Phase der Schwangerschaft retrospektiv zu erforschen. Ein anderer Weg wäre, die Fristen zu verlängern, was aber Geld kostet. Im April werde man mit den Institutionen, die Sesam tragen, das weitere Vorgehen besprechen, sagt Margraf. Unterstützt wird das Projekt, für das bis 2009 über 22 Millionen Franken budgetiert sind, neben dem Nationalfonds auch von Pharmaunternehmen. Sesam ist in Basel immer wieder von Seiten der Nichtregierungsorganisation «Basler Appell gegen Gentechnologie» unter Beschuss geraten. Die Kritiker stellen die Zulässigkeit von Forschung an Kindern grundsätzlich in Frage. Von den zuständigen Ethikkommissionen ist Sesam bewilligt worden.
Tages-Anzeiger, 07.03.2008, Seite 36
Viel zu wenig Schwangere wollen an Basler Forschungsprojekt teilnehmen
Das umstrittene Basler Projekt Sesam findet nicht genügend Freiwillige. Wenn sich auch noch die Geldgeber zurückziehen, könnte das Forschungsvorhaben scheitern.
Von Anke Fossgreen
Seit gut fünf Monaten fragen Ärzte der Frauenklink Basel schwangere Frauen, ob sie beim Nationalen Forschungsschwerpunkt Sesam teilnehmen wollen. Seit Januar versuchen Gynäkologen am Inselspital Bern werdende Mütter zu rekrutieren, und dieser Tage startet auch das Universitätsspital in Zürich. Bisher haben allerdings nicht einmal 30 Frauen zugesagt - 3000 sollen es jedoch bis zum Jahr 2010 sein. «Die Zahlen sind weit unter unseren Erwartungen», sagt Jürgen Margraf besorgt. Der Leiter des Nationalen Forschungsschwerpunktes sieht das gross angelegte Forschungsvorhaben in Gefahr, «wenn wir es nicht schaffen, bis zum Sommer genügend Teilnehmerinnen zu rekrutieren».
Bei Sesam (Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health) wollen mehr als 20 Schweizer Forschergruppen die psychische Entwicklung von 3000 Kindern von Beginn an, also bereits im Mutterleib, bis zu ihrem 20. Lebensjahr verfolgen. Mit eingeschlossen werden sollen auch Eltern und Grosseltern werden. So wollen die Wissenschaftler unter anderem erkunden, warum Schweizer Jugendliche im internationalen Vergleich besonders häufig an psychischen Störungen leiden. Die Anzahl der Jugendlichen mit einer Depression ist hier zu Lande überdurchschnittlich hoch, ebenso sind es die verübten Selbstmorde in dieser Altersgruppe. Indem sie die Teilnehmer zur Erziehung befragen, zum Familienleben oder zur Stressbewältigung, wollen die Wissenschaftler Risiko oder Schutzfaktoren für psychische Erkrankungen finden.
Nächste Woche werden sich die Leiter von Sesam neue Strategien überlegen, wie mehr Frauen für das Projekt zu begeistern sind. «Ein Problem war, dass generell weniger Schwangere als gedacht in die Spitäler kamen», so Margraf, «und von denen wollten kaum welche am Projekt teilnehmen.» Allerdings sprachen viele der Frauen nicht genügend Deutsch oder Französisch. Ohne gute Kenntnisse einer der beiden Sprachen schieden sie aber von vornherein aus, da das die Sprachen der Fragebögen und Interviews sind.
Nicht nur die Forscher sind besorgt über die schlecht angelaufene Anfangsphase, auch die Sponsoren beobachten die Entwicklung von Sesam skeptisch. Laut Martina Rupp, Pressesprecherin beim Pharmakonzern Roche, werden sich noch im März die Geldgeber des Forschungsvorhabens zusammensetzen, um die Fortschritte zu beraten. Für die erste Projektphase von 2005 bis 2009 stehen insgesamt mehr als 22,7 Millionen Franken zur Verfügung, knapp die Hälfte davon finanziert der Schweizer Nationalfonds, einen Teil die Universität Basel und mehr als ein Viertel stammt von Roche. «Wenn die vereinbarten Ziele nicht erreicht werden, diskutieren die Partner, wie es mit Sesam weitergeht», sagt Rupp. Schliesslich würden die Kosten steigen, wenn die Rekrutierungsphase sehr viel länger ginge.
Keine genetischen Daten der Kinder
In die Schlagzeilen geraten ist Sesam vor allem wegen eines Teilprojektes. Wissenschaftler der Universität Basel wollten im Erbgut der Kinder nach genetischen Veränderungen suchen, die eine psychische Krankheit auslösen könnten. Die Ethikkommission beider Basel entschied jedoch vor einem Jahr, dass derartige genetischen Analysen bei Minderjährigen nicht zulässig seien. Erst wenn die Teilnehmer die Volljährigkeit erreicht haben, können sie - nach eigenem Ermessen - ihre Daten den Forschern zur Verfügung stellen, beschied die Ethikkommission. Jürgen Margraf bezweifelt, dass die Schwangeren aus ethischen Bedenken die Teilnahme verweigerten. Denn: «Etwa 90 Prozent der Angefragten hatten noch nie etwas von dem Forschungsschwerpunkt Sesam gehört.»
Sesam fehlen die Frauen
Forschungsschwerpunkt sucht nach Studienteilnehmerinnen
hof. «Sesam» bekundet Mühe, genügend Frauen für die angepeilten Studien zu rekrutieren. Die Wissenschafter des Nationalen Forschungsschwerpunkts Sesam, dessen Hauptsitz an der Universität Basel ist, wollen die psychische Entwicklung über die Lebensspanne untersuchen (Sesam steht für Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health). Dazu werden seit vergangenem Oktober in verschiedenen Kliniken schwangere Frauen gesucht, die bereit sind, an den Versuchen mitzumachen. In der ersten Phase werden die Teilnehmer interviewt, es finden Verhaltensbeobachtungen und Ultraschalluntersuchungen sowie biologische Messungen statt. «Bisher haben sich dafür deutlich weniger Frauen gemeldet, als wir geplant haben», sagt Jürgen Margraf, Direktor von Sesam und Professor für
klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Basel. Genaue Zahlen möchte er noch nicht nennen. Am Montag werde man die neusten Zahlen zusammentragen und am Donnerstag die Öffentlichkeit informieren, sagt er. Man müsse sich jetzt überlegen, wie die Versuchsanlage angepasst werden könne, um die Ziele trotzdem zu erreichen. Insgesamt will die Studie über 20 Jahre hinweg 3000 Kinder und deren Familien forschend begleiten. Es bestünde zum Beispiel die Möglichkeit, die Frauen statt während der Schwangerschaft erst ab Geburt zu rekrutieren, sagt Margraf. Dabei erziele man in der Regel bessere Resultate, was die Anzahl Studienteilnehmer betrifft. Allerdings wäre man dann gezwungen, die Phase der Schwangerschaft retrospektiv zu erforschen. Ein anderer Weg wäre, die Fristen zu verlängern, was aber Geld kostet. Im April werde man mit den Institutionen, die Sesam tragen, das weitere Vorgehen besprechen, sagt Margraf. Unterstützt wird das Projekt, für das bis 2009 über 22 Millionen Franken budgetiert sind, neben dem Nationalfonds auch von Pharmaunternehmen. Sesam ist in Basel immer wieder von Seiten der Nichtregierungsorganisation «Basler Appell gegen Gentechnologie» unter Beschuss geraten. Die Kritiker stellen die Zulässigkeit von Forschung an Kindern grundsätzlich in Frage. Von den zuständigen Ethikkommissionen ist Sesam bewilligt worden.
Tages-Anzeiger, 07.03.2008, Seite 36
Viel zu wenig Schwangere wollen an Basler Forschungsprojekt teilnehmen
Das umstrittene Basler Projekt Sesam findet nicht genügend Freiwillige. Wenn sich auch noch die Geldgeber zurückziehen, könnte das Forschungsvorhaben scheitern.
Von Anke Fossgreen
Seit gut fünf Monaten fragen Ärzte der Frauenklink Basel schwangere Frauen, ob sie beim Nationalen Forschungsschwerpunkt Sesam teilnehmen wollen. Seit Januar versuchen Gynäkologen am Inselspital Bern werdende Mütter zu rekrutieren, und dieser Tage startet auch das Universitätsspital in Zürich. Bisher haben allerdings nicht einmal 30 Frauen zugesagt - 3000 sollen es jedoch bis zum Jahr 2010 sein. «Die Zahlen sind weit unter unseren Erwartungen», sagt Jürgen Margraf besorgt. Der Leiter des Nationalen Forschungsschwerpunktes sieht das gross angelegte Forschungsvorhaben in Gefahr, «wenn wir es nicht schaffen, bis zum Sommer genügend Teilnehmerinnen zu rekrutieren».
Bei Sesam (Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health) wollen mehr als 20 Schweizer Forschergruppen die psychische Entwicklung von 3000 Kindern von Beginn an, also bereits im Mutterleib, bis zu ihrem 20. Lebensjahr verfolgen. Mit eingeschlossen werden sollen auch Eltern und Grosseltern werden. So wollen die Wissenschaftler unter anderem erkunden, warum Schweizer Jugendliche im internationalen Vergleich besonders häufig an psychischen Störungen leiden. Die Anzahl der Jugendlichen mit einer Depression ist hier zu Lande überdurchschnittlich hoch, ebenso sind es die verübten Selbstmorde in dieser Altersgruppe. Indem sie die Teilnehmer zur Erziehung befragen, zum Familienleben oder zur Stressbewältigung, wollen die Wissenschaftler Risiko oder Schutzfaktoren für psychische Erkrankungen finden.
Nächste Woche werden sich die Leiter von Sesam neue Strategien überlegen, wie mehr Frauen für das Projekt zu begeistern sind. «Ein Problem war, dass generell weniger Schwangere als gedacht in die Spitäler kamen», so Margraf, «und von denen wollten kaum welche am Projekt teilnehmen.» Allerdings sprachen viele der Frauen nicht genügend Deutsch oder Französisch. Ohne gute Kenntnisse einer der beiden Sprachen schieden sie aber von vornherein aus, da das die Sprachen der Fragebögen und Interviews sind.
Nicht nur die Forscher sind besorgt über die schlecht angelaufene Anfangsphase, auch die Sponsoren beobachten die Entwicklung von Sesam skeptisch. Laut Martina Rupp, Pressesprecherin beim Pharmakonzern Roche, werden sich noch im März die Geldgeber des Forschungsvorhabens zusammensetzen, um die Fortschritte zu beraten. Für die erste Projektphase von 2005 bis 2009 stehen insgesamt mehr als 22,7 Millionen Franken zur Verfügung, knapp die Hälfte davon finanziert der Schweizer Nationalfonds, einen Teil die Universität Basel und mehr als ein Viertel stammt von Roche. «Wenn die vereinbarten Ziele nicht erreicht werden, diskutieren die Partner, wie es mit Sesam weitergeht», sagt Rupp. Schliesslich würden die Kosten steigen, wenn die Rekrutierungsphase sehr viel länger ginge.
Keine genetischen Daten der Kinder
In die Schlagzeilen geraten ist Sesam vor allem wegen eines Teilprojektes. Wissenschaftler der Universität Basel wollten im Erbgut der Kinder nach genetischen Veränderungen suchen, die eine psychische Krankheit auslösen könnten. Die Ethikkommission beider Basel entschied jedoch vor einem Jahr, dass derartige genetischen Analysen bei Minderjährigen nicht zulässig seien. Erst wenn die Teilnehmer die Volljährigkeit erreicht haben, können sie - nach eigenem Ermessen - ihre Daten den Forschern zur Verfügung stellen, beschied die Ethikkommission. Jürgen Margraf bezweifelt, dass die Schwangeren aus ethischen Bedenken die Teilnahme verweigerten. Denn: «Etwa 90 Prozent der Angefragten hatten noch nie etwas von dem Forschungsschwerpunkt Sesam gehört.»
sesaminput - 7. Mär, 09:54