Archiv

Juni 2006
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 8 
 9 
10
11
13
14
17
20
23
25
26
27
28
29
30
 
 
 

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Aargauer Zeitung: "Margraf...
Bis vor einigen Monaten war unklar, ob Jürgen Margraf...
sesaminput - 21. Nov, 10:21
Geht Margraf doch nicht...
Jürgen Margraf habe sich noch nicht endgültig festgelegt,...
sesaminput - 21. Nov, 10:18
interessante Info zur...
Renato L. Galeazzi hat das Staatsexamen 1968 in Bern...
so nicht - 16. Okt, 18:25
NZZ-Leserbrief 13.8.09,...
Das Papier der Arbeitsgruppe «Lesson learned» (leider...
sesaminput - 16. Okt, 13:32
"Sesam" heisst auf Englisch...
Was in der Schweiz mit 3'000 Kindern scheiterte, soll...
sesaminput - 9. Jul, 08:26

Hinweis

-+-+-+-+-+-+-+-

Sesam in der FAZ am Sonntag

Sabine Löhr schrieb gestern in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung über Sesam:

Die beste aller Welten für das Kind

„Steh auf!“ „Ich kann nicht.“ - „Geh einfach mal raus!“ „Ich kann nicht.“-“Hör auf zu heulen!“ „Ich kann nicht.“ - „Zieh dich an!“ „Ich kann nicht.“ - „Stell dich nicht so an!“ „Tu ich nicht.“ (Extrem daneben auch: „Lach doch mal!“)

Wenn das Leben bloß so einfach wäre, wie sich Menschen ohne Depression das vorstellen. Man versteckt sich nicht aus Koketterie hinter diesem dunklen Vorhang, um irgendwann fröhlich wieder hervorzuspringen. Depression ist trotz Brooke Shields oder Sebastian Deisler immer noch tabuisiert, Angststörungen werden als seelische Wehwehchen diffamiert. Die Folgen der psychischen Erkrankung sind aber gravierend: Bis zu 70 Prozent der Depressionsgeplagten leiden unter Selbstmordgedanken, traurige 30 Prozent versuchen sich an der Umsetzung. Psychische Störungen werden laut WHO bis 2020 zweithäufigster Grund vorzeitiger Sterblichkeit und massiver Lebensbeeinträchtigung sein. Vielleicht ein Grund, warum Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Bekämpfung von depressiven Erkrankungen als nationales Gesundheitsziel ausgerufen hat.

„Sesam“

Einen echten Schritt in diese Richtung will aber die Schweiz gehen. Sie finanziert als nationalen Forschungsschwerpunkt das Großprojekt „Sesam“ (“Swiss etiological study of adjustment and mental health“). Diese über 20 Jahre geplante Dreigenerationenstudie will an 3000 Familien untersuchen, wie das Zusammenwirken unterschiedlicher sozialer, psychologischer, biologischer und genetischer Faktoren die Gesundheit der Psyche beeinflußt.

Fortsetzung: siehe Kommentar
patpatpat - 19. Jun, 15:09

Manche Weichen für seelische Störungen könnten schon in der Kindheit, andere bereits pränatal gestellt werden. Sesam setzt daher zum frühstmöglichen Zeitpunkt an. Die beteiligten Kinder sind eigentlich noch keine, sondern schwimmen gerade erst die 12. Woche in Mutters Bauch. Die Schwangeren sollen ab Herbst an Schweizer Unikliniken für das Projekt gewonnen werden. Geld gibt es außer einer symbolischen Aufwandsentschädigung nicht, vielleicht einen kleinen Sesam-Strampelanzug. „Im Moment sind wir noch in der Vorbereitungsphase“, erklärt der in Basel lehrende Psychologe Jürgen Margraf, der Direktor des Forschungsschwerpunkts.

Das Ziel ist ehrgeizig

Die läuft auf vollen Touren. Nächster Schritt wird sein, die Kernstudie und zwölf Teilstudien zur Begutachtung bei den kantonalen Ethikkommissionen einzureichen, Probleme erwartet Margraf nicht (siehe: Sesam, öffne dich nicht!). Das Ziel ist ehrgeizig: „Die Hauptstudie soll die wichtigsten biopsychosozialen Risiko- und Schutzfaktoren parallel erfassen und in einen Querbezug setzen“, sagt Margraf, „diese Gesamtperspektive kann kein Forscher und keine Disziplin alleine leisten.“ Ultraschall, Verhaltensbeobachtung, Interviews, Fragebögen werden die wichtigsten Instrumente zur Datenerhebung sein, Speichel-, Blut- und Urinproben sollen biologisch-genetische Fragen klären. Sesam ist eine Aufgabe für Psychologen, Neurowissenschaftler, Soziologen, Mediziner, Biologen und Genetiker.

Das eine, überzeugende Modell für die Entstehung psychischer Erkrankungen gibt es eben nicht. Dafür herrscht zuviel Interaktion zwischen Physis und Psyche. Einfache Antworten wird auch Sesam nicht liefern können. Die spannendsten werden zu erwarten sein, wenn das Projekt zeigt, was uns und unsere Kinder, trotz aller bekannten Risikofaktoren, psychisch gesund hält.

Zusammenspiel der Generationen

Zwanzig Jahre sind lang, also raten wir mal: eine glückliche Familie. Sich nicht scheiden lassen, wenn die genetisch vorbelastete, pubertierende Tochter gerade die Schule wechselt. Tatsächlich gilt dem Zusammenspiel der Generationen die besondere Aufmerksamkeit der Forscher. Denn die Qualität familiärer Beziehungen hat maßgeblichen Einfluß auf die gesunde psychische Entwicklung von Kindern. Leidet etwa eine Mutter an Depressionen, tragen ihre Kinder zwar je nach Studie ein zwei- bis vierfaches Risiko, ebenfalls psychisch zu erkranken, sei es an Aufmerksamkeits-, häufiger noch aber an Angststörungen. Vor allem letztere können sich im Erwachsenenalter als Depressionen zeigen. Nach einer Studie der Universität Zürich quälen sich elf Prozent aller kleinen Eidgenossen zwischen 6 und 16 mit Angststörungen.

Doch „Die Gene!“ zu rufen wäre vorschnell. Sie erklären nicht, warum diese Störungen weltweit zunehmen. Und auch nicht, weshalb die psychischen Probleme von Kindern zurückgehen, wenn deren gemütskranke Mütter erfolgreich behandelt werden. Ähnlich positiv wirkt sich wohl die Anwesenheit gesunder Bezugspersonen, etwa Vater oder Großmutter, aus.

Ein Henne-Ei-Problem

Einige der Teilstudien wollen daher die Bedeutung der Großeltern, die Familienfunktionen sowie generationenübergreifende Risikomuster ausleuchten. Andere suchen nach einem Einfluß mütterlicher Stresshormone auf die Entwicklung des Fötus. Vielleicht finden sich dabei ja Hinweise, wie die statistische Korrelation zwischen unterdurchschnittlicher Körpergröße neugeborener Neunmonatskinder und der erhöhten Wahrscheinlichkeit, daß diese später verhaltensauffällig werden, zu erklären ist. Den hat die Epidemiologin Nicola Wiles bei der Analyse von Daten einer britischen Langzeitstudie gefunden, an der 4800 Kinder teilgenommen hatten. Für Frühchen war der Zusammenhang bereits vorher bekannt.

Und: Säuglinge von Frauen mit unbehandelter Wochenbettdepression sind häufiger passiver und reizbarer als Kinder von Dauerstrahlemüttern. Diese Winzlinge lächeln seltener, selbst als Zweijährige interessieren sie sich oft weniger für ihre Umwelt als der Durchschnitt. Vertrackterweise fallen manche Frauen aber gerade erst in diesen Postpartum-Blues, weil der ersehnte Neuankömmling sich in seinen ersten Erdenwochen scheinbar grundlos die Seele aus dem Leib schreit. Ein Henne-Ei-Problem, das alle unglücklich macht.

„Risikofamilien“

Offenbar müssen drei Übel zusammentreffen, um die Balance gesund und krank machender Faktoren zu stören: die generelle Anfälligkeit, ein konkreter Auslöser und aufrechterhaltende Bedingungen. Eine Teilstudie wird untersuchen, ob Kinder in „Risikofamilien“, in denen etwa die Beziehung der Eltern schlecht ist oder es diesen an Feinfühligkeit mangelt, bessere Chancen auf eine gesunde Entwicklung haben, wenn die Eltern an einem Sensitivitätstraining teilnehmen - nach Margraf eine erlaubte Intervention: „Weil es darum geht, Risiken zu reduzieren, erwarten wir positive Auswirkungen auf die Gesundheit.“

Ansonsten enthalten sich die Beobachter des Eingreifens, außer in schweren Fällen, etwa bei Suizidgefahr. Schön wäre, wenn es so gelänge, kindliche Probleme früh und sanft in den Griff zu bekommen. Niemand wünscht sich schließlich Zahlen wie aus den Vereinigten Staaten. Zwar ist nicht geklärt, in welchem Maße Kinder heute häufiger psychisch krank werden als früher. Doch nach einer Studie der Archives of General Psychiatry hat sich die Zahl der mit Psychopharmaka behandelten Kinder dort im letzten Jahrzehnt versechsfacht. Nur ein Drittel entfiel dabei auf Verhaltensstörungen, ein weiteres auf Gemütsstörungen. Und das, obwohl die bei Erwachsenen belegte Wirkung von Psychopharmaka bei Kindern ganz anders aussehen kann. Manchmal wirken sie gar nicht, andere haben sogar Suizidgedanken erst hervorgerufen. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen und klinische Studien an ihnen selten.

Die beste aller Welten zu bieten

Präventive Maßnahmen zu entwickeln gehört nicht zu den Aufgaben von Sesam. Sicher werden andere in die Bresche springen, Psychologen, Therapeuten, vielleicht auch Pharmakologen. Hoffman la Roche hat Sesam sechs Millionen Franken zugesagt - „völlig ohne Bedingungen oder mögliche Einflußnahme, das Projekt ist einfach sinnvoll“, erklärt Katja Prowald, Pressechefin der Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Pharmakonzerns. Lediglich im wissenschaftlichen Beratungsgremium darf ein Roche-Vertreter sitzen, und mehr als die sukzessive geplanten Veröffentlichungen soll das Unternehmen nicht zu sehen bekommen.

Ob sich daraus ein pharmakogenetischer Aufhänger für neue Medikamente ableiten lassen wird - vielleicht sogar für solche, die speziell auf Kinder zugeschnitten sind -, kann man nicht absehen. In schweren Fällen, wenn psychotherapeutische Maßnahmen versagen, kann der Medikamenteneinsatz auch bei Kindern sinnvoll sein. Vielleicht schaffen wir es ja einfach nicht, rechtzeitig alle Risikofaktoren zu eliminieren und unserem wie auch immer vorbelasteten Kind die beste aller Welten zu bieten. Aber Mühe kann man sich ja geben.
Sesam, öffne dich nicht!

Ständig unter Beobachtung: Die Langzeitstudie zu psychischen Erkrankungen ruft Kritiker auf den Plan

Wer sorgt sich nun mehr um das Wohl seiner Kinder: britische Eltern, die keinerlei Bedenken haben, dem sogenannten "Alspac"-Programm die Kultivierung permanenter Zellinien ihrer Kinder zu erlauben, oder Kritiker des Sesam-Projekts, die genetische Forschung an Nichteinwilligungsfähigen für prinzipiell unzulässig halten? Stellt es eine Verletzung der Würde und eine potentielle Gefährdung des Kindes dar, wenn Eltern einen Speichelabstrich für einen DNA-Test erlauben? Ist es bedenklich, wenn ein amerikanischer Linguist für ein Forschungsprojekt zur Sprachentwicklung seinen Sohn bis zu dessen drittem Geburtstag mit Kameras und Mikrophonen rund um die Uhr überwacht und die Daten für die Wissenschaft speichert?

Das Risikoverständnis in deutschsprachigen Ländern scheint fundamental anders geartet zu sein als in englischsprachigen. Vielleicht ist auch ein intuitives Unbehagen darüber ausgeprägter, daß Forschung für Kinder in gewissem Rahmen wohl auch an Kindern sein muß. Weil Kinder entwicklungsphysiologisch eben von Erwachsenen verschieden sind.

Erlauben möchte man Forschung an Kindern nur, wenn der Nutzen gewaltig ist und zugleich von vornherein feststeht. 12'000 Schweizer haben ihrem Unbehagen Ausdruck verliehen, indem sie eine Petition des "Basler Appells gegen Gentechnologie" unterzeichneten. Diese wurde bei der für Sesam zuständigen Ethikkommission eingereicht, der Blog "sesamwatch" (www.sesam.twoday.net) dokumentiert alle Entwicklungen im Internet. Schon verirren sich eugenische Schreckgespenster in die schweizerische Lokalpresse.

Selbsthilfegruppen von Depressiven befürworten Sesam dagegen. Das eigentliche Problem: Der Schweiz fehlt ein nationales Humanforschungsgesetz, ein erster Gesetzentwurf wurde gerade eingereicht. Mit dem Humanforschungsgesetz in seiner jetzigen Form stünde Sesam zwar völlig in Einklang. Aber quer durch die diskutierenden Parteien und Interessenverbände gibt es Änderungswünsche. Die einen finden den allzu ausgeprägten Patientenschutz forschungsfeindlich, andere bemängeln im Gegenteil, daß der jetzige Entwurf selbst Zwangsforschung an Urteilsunfähigen erlaube. Gut fünf Jahre wird das Ergebnis auf sich warten lassen.

Solange über das Datenbankdesign nicht viel bekannt ist, bleibt nachvollziehbar, daß Projektgegner hinter dem versprochenen "Sesam, schließe dich" auch das Potential für ein "Sesam, öffne dich" sehen. Man möchte genetische Daten eben genauso sicher und geheim wissen wie Schwarzgeld auf einem Schweizer Konto.

Die Ängste, die in dieser Kritik mitschwingen, sind leicht einsichtig: Wer sieht wann welche genetischen Daten und kann damit dann genau was anfangen? Können Versicherer mir eine Police wegen eines theoretischen genetischen Risikos auf psychisch bedingte Arbeitsunfähigkeit verweigern?

Bislang weiß man, daß die Datensätze nicht öffentlich einsehbar sein und auf einem Rechner gespeichert werden sollen, der nicht mit dem Internet verbunden ist. Weil alle Daten anonymisiert werden, sind individuelle Rückmeldungen nicht möglich. Auch die Kinder und ihre Eltern werden nicht erfahren können, ob sie zu einer Risikogruppe gehören - das gilt auch, falls im Rahmen der Studie zusätzlich zu den bereits bekannten Risikogenen weitere gefunden werden sollten. Damit wird das "Recht auf Nichtwissen" der Familien richtigerweise gewahrt, zugleich aber auch ihr individueller Nutzen gering gehalten.

Die Teilnahme an der Sesam-Studie wird freiwillig sein. Ein Ausstieg, auch auf Wunsch des Kindes, ist jederzeit möglich. Den Einstieg aber müssen sich die Eltern gut überlegen.

logo

Sesam Watch

Beobachtungen und Notizen zum Schweizer NCCR "Sesam", der 3'000 Kinder und ihr Umfeld vom ersten Ultraschallbild an 20 Jahre lang beobachten wollte (vorzeitiger Abbruch: 13.3.08). Autonom, skeptisch, ehrenamtlich. Kontakt: sesamwatch@gmail.com

Grundsätze



FAIR USE bei Zitaten.

Suche

 



Powered by FeedBlitz

Status

Online seit 7056 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 10. Sep, 15:53

Credits

powered by Antville powered by Helma

sorua enabled
Creative Commons License

xml version of this page

twoday.net AGB

Watchlinks


Aussenreaktionen
Diskussion
Ethik
Finanzen
Geistesverwandte
Grundlagen
Leserbriefe
Margraf
Medienbeobachtung
Medienreaktionen
Politikreaktionen
Sesamkontakt
Sesamprojekte
Sesamreaktionen
Sesamzitat
Veranstaltung
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren