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Samstag, 12. August 2006

NZZ: "Rechtliche Grenzen wissenschaftlicher Forschung an Kindern"

In der NZZ ist der folgende Essay von Kurt Seelmann, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Basel und Daniel Kipfer, Richter am Bundesstrafgericht in Bellinzona, heute auf S. 65 unter dem Label "Zeitfragen" zu finden:

Der Zweck heiligt auch bei der Forschung nicht die Mittel


Forschung an Menschen darf grundsätzlich nur erfolgen, wenn die Betroffenen darin einwilligen. Heikel wird es bei Kindern, die rechtlich als urteilsunfähig gelten. Die Juristen Seelmann und Kipfer analysieren die Rechtslage und erkennen in der neuen Gesetzgebung die Tendenz, die Menschenwürde mit der Forschungsfreiheit abzuwägen, was unstatthaft sei.


Wissenschaftliche Forschung an Menschen ist als solche ein politisch umstrittenes und sensibles Thema. Sie wirft ethische, gesellschafts- und rechtspolitische, vor allem aber auch rechtliche Fragen im engeren Sinne auf. Insbesondere die Forscher verlangen Rahmenbedingungen, welche die rechtlich im Prinzip verbürgte Freiheit der Forschung möglichst wenig tangieren. Das ist angesichts der hochrangigen Ziele vieler Forschungsvorhaben verständlich. Auf der anderen Seite muss das Recht auch diejenigen schützen, an denen geforscht wird. Der Zweck heiligt - auch bei der Forschung - nicht die Mittel. In besonderer Weise problematisch ist die Forschung an urteilsunfähigen Kindern, da diese nicht in der Lage sind, selbst gültig in Forschungen an ihrer Person einzuwilligen. Wie umstritten die Thematik ist, zeigte sich etwa im letzten Frühjahr, als in Basel innert kürzester Zeit 10 000 Unterschriften gegen das sozialpsychologisch-medizinische Forschungsprojekt Sesam gesammelt wurden. Mit diesem Projekt sollen in einer Langzeitstudie an 4000 Kindern und ihren Eltern und Grosseltern die Voraussetzungen psychischer Erkrankungen erforscht werden.

Tangierung der persönlichen Integrität

Gegenwärtig ist die Forschung am Menschen rechtlich primär in kantonalen Gesetzen geregelt. Einschlägig sind auch Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) sowie internationale Übereinkommen. Projekte zur Forschung am Menschen werden zumeist von kantonalen Ethikkommissionen geprüft; die Rechtsgrundlagen sind, auch bei Forschung an Urteilsunfähigen, nicht einheitlich. Der eidgenössische Gesetzgeber hat dies als unbefriedigend erkannt und deshalb verschiedene Gesetzgebungsprojekte auf den Weg gebracht (Heilmittelgesetz, bereits in Kraft; Bundesgesetz über die genetische Untersuchung beim Menschen, verabschiedet, noch nicht in Kraft; Humanforschungsgesetz und Verfassungsartikel, Vernehmlassung abgeschlossen). In all diesen Gesetzen wird auch die wissenschaftliche Forschung an oder die Untersuchung von Kindern geregelt.

«Forschungsuntersuchungen am Menschen greifen in das Recht der Persönlichkeit ein. Solche Eingriffe bedürfen der Rechtfertigung.» So heisst es, rechtlich korrekt, in den medizinethischen Richtlinien der SAMW. Die persönliche Integrität von Probanden kann, je nach Versuchsanlage, durch wissenschaftliche Forschungsprojekte in mehrfacher Hinsicht tangiert sein: physisch, psychisch oder in einem generellen Sinne im Hinblick auf die Autonomie; spezifisch ist zum Beispiel die informationelle Selbstbestimmung zu nennen, welche durch wissenschaftliche Erhebung von Daten zur Person betroffen sein kann.

Informiert sein und selbst bestimmen

Dies erklärt, weshalb Humanforschungsprojekte bestimmten Regeln zu genügen haben, deren Einhaltung von Ethikkommissionen überwacht wird: Das Forschungsprojekt soll zum Beispiel einem bestimmbaren Nutzen dienen, und die Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeitssphäre der Probanden muss dazu in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Schliesslich, und das ist hier entscheidend, müssen die Probanden über die mit dem Forschungsprojekt verbundenen Eingriffe umfassend informiert sein und darin einwilligen. Das Gebot des «informed consent» ist Konsequenz des dem Recht zugrunde liegenden Selbstbestimmungsprinzips. Der urteilsfähige informierte Erwachsene kann als Proband gültig sowohl in Forschung einwilligen, die ihm selbst Nutzen bringen könnte (therapeutische Forschung), als auch in Forschung, von der nur andere einen Nutzen erwarten dürfen (sogenannte drittnützige Forschung).

Anders stellt sich die Lage jedoch für Urteilsunfähige und insbesondere für Kinder dar. Soll ein Kind an einem Forschungsprojekt mitwirken, hat dessen gesetzlicher Vertreter einzuwilligen. Die stellvertretende Einwilligung ist jedoch auf der Basis allgemeiner Rechtsgrundsätze nur zulässig, wenn die Einwilligung im wohlverstandenen Interesse des Vertretenen selbst liegt, wenn das Kind selbst also einen Nutzen zu erwarten hat. Die Rechtmässigkeit des Eingriffs beruht hier nämlich nicht auf der autonomen Einwilligung des Kindes, da es eine solche eben nicht gibt, sondern auf dem Umstand, dass dieses Fehlen der Autonomie den Interessen des Kindes nicht schaden darf - es soll keine «therapeutische Waise» werden.

Daraus folgt, dass es eine gültige stellvertretende Einwilligung in die mit einem Forschungsprojekt verbundenen Risiken für den Urteilsunfähigen nur geben kann, wenn es sich um ein therapeutisches Forschungsprojekt handelt, ein Projekt also, von dem der Betroffene selbst einen Nutzen erwarten kann. Nur ein solcher kann denkmöglich in seinem Interesse liegen. Oder mit anderen Worten: Die drittnützige Forschung an Urteilsunfähigen dürfte, wenn sie in deren Rechtssphäre eingreift, in jedem Fall unzulässig sein. Denn sie beruht weder auf einer autonomen Einwilligung des Betroffenen noch auf der vom Gedanken des Kindeswohls getragenen stellvertretenden Einwilligung. Die Beachtung mittelbarer Nutzeneffekte (zum Beispiel, drittnützige Forschung an Urteilsunfähigen ermögliche auch drittnützige Forschung für sie, oder das Gefühl, altruistisch gewirkt zu haben, schaffe später Befriedigung) verbietet sich, da auf diese Weise jegliche Instrumentalisierung legitimiert werden könnte - was, soweit ersichtlich, niemand will.

Besonderer Schutz

Was wurde bisher hinsichtlich der Forschung an Kindern vorgesehen oder bereits entschieden? Aus der Botschaft für das bereits in Kraft gesetzte Heilmittelgesetz (HMG) geht hervor, dass Urteilsunfähige besonderen Schutz geniessen sollen. Das Gesetz lässt deshalb klinische Versuche mit Heilmitteln an Urteilsunfähigen nur unter restriktiven Bedingungen zu. Bedenklich erscheint gleichwohl die Möglichkeit, klinische Versuche mit Urteilsunfähigen und Kindern unter bestimmten Voraussetzungen - der Eingriff darf höchstens minimal sein - auch dann zuzulassen, wenn für die Probanden kein Nutzen zu erwarten ist (Art. 55 HMG). Vor dem Hintergrund des davor weitgehend anerkannten Verbots drittnütziger Forschung an Urteilsunfähigen stellt sich die Frage, ob diese Bestimmung noch verfassungskonform ist. Vom Europarat wurde sie lediglich als Mindestschutzstandard vorgegeben und keineswegs den Mitgliedsstaaten angeraten.

Nicht direkt anwendbar für die wissenschaftliche Forschung ist das Bundesgesetz über die genetische Untersuchung am Menschen (verabschiedet, aber noch nicht in Kraft), da damit nicht die wissenschaftliche Forschung, sondern die genetische Untersuchung des Erbguts - unabhängig von wissenschaftlichen Forschungsinteressen - geregelt wird. Soweit Forschung jedoch auf genetische Untersuchungen als Datenbasis Bezug nimmt, muss die Datenerhebung diesem Gesetz doch wohl auch genügen. In den Artikeln 5 und 10 wird vorgeschrieben, dass bei Urteilsunfähigen das genetische Material nur untersucht werden darf, wenn der gesetzliche Vertreter umfassend informiert ist und eingewilligt hat und wenn die Untersuchung für den Schutz der Gesundheit des Betroffenen notwendig ist. Die einzige, restriktiv umschriebene Ausnahme einer Untersuchung mit ausschliesslichem Drittnutzen ist vorgesehen für den Fall, dass die Belastung der Familie mit einer schweren Erbkrankheit nicht anders abgeklärt werden kann.

Erhebliche Bedenken beim neuen Gesetz

Eine umfassende eidgenössische Regelung soll die Forschung am Menschen nun mit dem Humanforschungsgesetz (HFG) und der auch neu zu erlassenden Verfassungsbestimmung erfahren. Beide Vorlagen, deren Vernehmlassung soeben abgeschlossen wurde, müssen erhebliche Bedenken wecken - entfernen sie sich doch noch weiter von dem Grundsatz, dass Menschen nicht ohne ihren Willen instrumentalisiert werden dürfen. Der neu vorgeschlagene Art. 118a der Bundesverfassung (BV) lautet in Abs. 1: «Der Bund erlässt Vorschriften über die Forschung am Menschen im Gesundheitsbereich. Er sorgt dabei unter Beachtung der Forschungsfreiheit für den Schutz der Menschenwürde und der Persönlichkeit.» Dieser Formulierung scheint ein Missverständnis zugrunde zu liegen: dass Forschungsfreiheit und Menschenwürde als gleichrangige Rechte gegeneinander abgewogen werden könnten. Dem ist jedoch nicht so.

Während die Forschungsfreiheit ein nach den üblichen Regeln beschränkbares und damit gleichsam «gewöhnliches» Grundrecht ist, handelt es sich bei der Garantie der Menschenwürde um die Bedingung der Möglichkeit einer freiheitlichen Rechtsordnung, die deshalb der Abwägung gegen andere Grundrechte nicht zugänglich ist und sein darf. Systematisch entspricht sie Kants kategorischem Imperativ, welcher gebietet, dass die Person niemals bloss als Mittel, sondern stets als Selbstzweck zu betrachten und zu behandeln sei. Oder mit den Worten des Staatsrechtlers Günter Dürig: «Die Menschenwürde ist als solche getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem blossen Mittel, zu einer vertretbaren Grösse herabgewürdigt wird.» Es kann mithin nicht zulässig sein, unter Berufung auf die Forschungsfreiheit die Würde der Person durch deren Instrumentalisierung zu verletzen.

Der gelegentlich zu hörende Einwand, es gehe doch auch um die Würde der künftig von der Forschung Profitierenden, greift zu kurz: Würdebeeinträchtigung durch Krankheit rechtfertigt nicht Würdeverletzungen durch Menschen. Am krassen Beispiel: «Verbrauchende» Forschung an einem Menschen wäre auch dann nicht legal, wenn man sicher wüsste (was bei Forschung zudem per definitionem nie der Fall ist), dass man damit vielen Menschen Qualen ersparen und das Leben retten könnte. Dürfte man Würde verrechnen, wäre dieses Ergebnis nicht verständlich.

Illiberaler Gedanke

Die zumindest missglückte Formulierung von Abs. 1 suggeriert demgegenüber die Abwägbarkeit von Menschenwürde und scheint sie auf Verfassungsstufe festzuschreiben. Es überrascht deshalb nicht, dass die konkretisierenden Bestimmungen in Art. 118a BV sowie im HFG selbst das Instrumentalisierungsverbot teilweise verletzen. So soll es nach Abs. 2 lit. b - in Anlehnung an die Formulierung im Heilmittelgesetz - möglich sein, Forschung an Urteilsunfähigen zu betreiben, auch wenn diese keine Verbesserung ihrer Gesundheit erwarten können.

Der Entwurf ist offenbar von dem letztlich illiberalen Gedanken nicht ganz unbeeinflusst, die Forschung gegen die als störende Einschränkung empfundene Menschenwürdegarantie schützen zu müssen. Dafür spricht nicht nur die hier verhandelte Thematik der drittnützigen Forschung an Urteilsunfähigen als Teilsozialisierung des menschlichen Körpers, sondern sprechen auch die neu vorgesehene Möglichkeit der zwangsweisen Forschung an Urteilsunfähigen und weitere ungewöhnliche Möglichkeiten. Man mag all das für sinnvoll halten, muss sich aber klar sein, dass man damit bis vor kurzem kaum bezweifelte Rechtsgrundsätze über Bord wirft. Dem Ansehen der dringend nötigen und lebenrettenden seriösen Forschung tut man damit keinen Gefallen.

Dienstag, 4. Juli 2006

Pfarrblatt über Sesam

Das Pfarrblatt der römisch-katholischen Pfarreien der Nordwestschweiz schreibt am 2. Juli 2006 über Sesam:

Sesam: Menschliche Entwicklung und seelische Gesundheit verstehen
Autorin: Esther R. Suter

Geht es um orientalische Samen? Oder um ein Zauberwort als Türöffner zu einem unermesslichen Schatz? SESAM steht neuerdings für ein Forschungsprojekt: «Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health» oder in der Selbstdarstellung: SESAM heisst der neue Nationale Forschungsschwerpunkt (NFS) zu seelischer Gesundheit. Zu Sesam ist die öffentliche Auseinandersetzung mit Leserbriefen, Interviews und Veranstaltungen bereits angelaufen. Auf diese Weise wird eine öffentliche Meinungsbildung möglich.


Anlässlich eines Podiums im Forum für Zeitfragen begründete Prof. Alexander Grob das Sesam-Projekt mit Prognosen der WHO, die darauf hinweisen, dass im Jahr 2020 Depression als weltweite Erkrankung an zweiter Stelle stehen wird. Prof. Jürgen Margraf, als Leiter des Sesam-Projekts, geht von der Annahme aus, dass psychische Erkrankungen vor allem in Form von Angststörungen zunehmen werden. Dazu ein paar Beispiele: Angst vor Gewalt und Terroranschlägen; vor Naturkatastrophen, Seuchen wie Sars und Aids; Arbeitslosigkeit; soziale Verbundenheit bzw. deren Veränderung. «Eine Form von Angst, die sie als Psychologen in eigener Forschung angehen werden, betrifft die Kontrollierbarkeit, d.h. das Gefühl, sein Leben unter Kontrolle zu haben in all diesen Belastungen». Dieses Gefühl komme, so Margraf (in einem Interview in Gesundheit-SprechStunde 7.4.06) zunehmend abhanden. «Die Globalisierung führt dazu, dass bei uns Arbeitsplätze verschwinden und nach Indien oder China verlegt werden. Was kann der Einzelne dagegen tun? … Natürlich nichts. Egal, welche politische Partei ich wähle, ich kann nicht wirklich etwas dagegen tun – und das macht Angst.» Und für Margraf folgt daraus, dass «Menschen, die das Gefühl haben, ihr Leben nicht kontrollieren zu können», viel eher an einer Angststörung erkranken. Wird diese lange nicht behandelt, kommen Depressionen und körperliche Leiden dazu.
Das Sesam-Projekt sieht vor, im Laufe von gut zwanzig Jahren 3000 individuelle Entwicklungsverläufe von Kindern zu beobachten.
Die Studie beginnt vorgeburtlich und dauert bis ins junge Erwachsenenalter. Einbezogen werden sowohl Eltern als auch Grosseltern. Es ist vorgesehen, Gendaten zu berücksichtigen, um besser ermitteln zu können, ob eine psychische Erkrankung angeboren oder erworben ist. Das Projekt soll im Frühjahr 2007 beginnen.
Als Erstes fällt einer Theologin, einem Theologen auf, dass dieses interdisziplinäre Projekt zwar die Geisteswissenschaften einschliesst, jedoch darunter keine TheologInnen vertreten sind. Was hätten sie zu sagen? Z.B., wie es der Assistent der Theologischen Fakultät, Andreas Heit, einbrachte: Ist es erlaubt, an unmündigen Personen bzw. Kindern Forschung zu betreiben, die dazu kein Einverständnis geben und nicht mitreden können? Denn das Verständnis von Menschenwürde schliesst ein, dass Menschen nicht als Mittel für etwas gebraucht werden dürfen, sondern der Zweck selbst sind. Welches Menschenbild wird so durch das Projekt nach aussen vermittelt? Was ist die Leistung von Statistiken und welche Daten und Werte können sie nicht erfassen? Was nehmen sie nicht wahr? Wo endet ihr Gültigkeitsbereich?
Für manche ist es eine Herausforderung, in Zeiten der Resignation («ich kann nicht wirklich etwas dagegen tun») erst recht die eigenen vitalen Reserven anzugehen, kreative Lösungen zu suchen, sich mit anderen Gleichgesinnten zu finden. Die Aussage «Ich kann nicht wirklich etwas tun» kann auch religiös gehört und gedeutet werden. Dann erhält sie einen anderen Akzent. Das Gefühl von Ohnmacht ist nicht die letzte Antwort und muss nicht zur Lähmung führen.
Wie steht es um Lebenskrisen, die zum Leben gehören und zu einem Reifungsprozess führen? Wie wird psychische Erkrankung verstanden? Seelische Erkrankungen werden heute besser akzeptiert. Prof. Theodor Cahn, Chefarzt der Kantonalen Psychiatrischen Klinik Liestal, meinte in einem Interview mit der Basler Zeitung, dass Depression auch als Reaktionsmöglichkeit aller Menschen betrachtet werden kann … mit verschiedenen Ursachen und Auswirkungen … «Depressivität gehört sozusagen zur menschlichen Ausrüstung». Ebenso gehört auch Angst dazu, sie zu erkennen und mit ihr umzugehen lernen, wäre eine der Fähigkeiten, die sowohl Familie wie Gesellschaft vermitteln könn(t)en. Es geht dabei um seelische Qualitäten, die vielleicht in einer Statistik nicht aufscheinen, nicht erfasst werden oder vielleicht gar nicht als Wert erkannt werden? Angst hat auch eine Warnfunktion. Wenn wirklich die Angststörungen zunehmen werden, können sie in ihrer Warnfunktion erfasst werden? Vielleicht verweisen sie auf eine weltweite Problematik, der wir uns stellen sollten? Eine religiöse Sichtweise wird als mögliche Antwort den Wert «Vertrauen ins Leben» neu angehen und zu leben versuchen. Dies lässt sich weder verordnen noch einfach vornehmen, es geht dabei um eine Tiefendimension, die wir zulassen können und damit unser Bild und Verständnis von Menschsein bereichern.

Samstag, 24. Juni 2006

Sesamunterlagen bei der Ethikkommission

Sesam notiert in seiner Chronik, die nur als .pdf-File vorliegt, dass am 12. Juni 2006 die Unterlagen über die Vorstudien der Ethikkommission beider Basel zur Begutachtung eingereicht worden seien:
12. Juni 2006 Einreichung der Ethik-Anträge für die Vorstudien an die Ethikkommission beider Basel (EKBB).
Beim Lesen stirnrunzelnd gedacht: Reicht man bei einer Ethikkommission tatsächlich "Ethik-Anträge" für Studien ein? Und die spricht dann Ethik zu, so wie beim Stipendien-Antrag die Stipendienkommission???

Donnerstag, 22. Juni 2006

baz: Leserbrief

Bezug nehmend auf: "Forschung für Menschen: Für uns alle" in der Ausgabe vom 16. 6. 06:

Vorhandenes Wissen nutzen

Das Projekt «Sesam» will 3000 Kinder vorgeburtlich und bis zum 20. Lebensjahr untersuchen, um die Entstehung von psychischer Gesundheit besser zu verstehen. Müssen wir wirklich noch 20 Jahre forschen, um herauszufinden, warum die IV-Renten aufgrund psychischer Erkrankungen so stark ansteigen? Wir wissen sehr genau, dass die erhöhten Anforderungen am Arbeitsplatz und monate- und jahrelange Arbeitslosigkeit zu psychosomatischen und psychischen Erkrankungen führen. Der Verlust der biografischen Zukunftsmöglichkeiten der Erkrankten ist die Erklärung für die Zunahme der IV-Berentungen in den letzten Jahren. Brauchen wir ausserdem Forschung, um herauszufinden, wie wichtig die Familie für die psychische Entwicklung und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen ist? Sie brauchen Bezugspersonen, die über viele Jahre für sie da sind. Um dies zu ermöglichen, brauchen wir eine Politik, die Familien mit Kindern finanziell entlastet und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer ermöglicht. Dringender, als weiter zu forschen, ist es, vorhandenes Wissen für die Planung griffiger Massnahmen zu nutzen. Damit kann die psychische Gesundheit des Menschen rasch und nachhaltig verbessert werden.

Martin Haug, Oberwil

Mittwoch, 21. Juni 2006

Sesamsite über Podiumsdiskussion

Barbara Glättli, die Mediensprecherin von Sesam, fasst auf ihrer Site zusammen, wie die Podiumsveranstaltung über dasProjekt am 31. Mai abgelaufen ist.

Sesam sucht Doktoranden

Aus den Stellenanzeigen auf der Site der Fakultät für Psychologie:

Im Rahmen des vom SNF geförderten Nationalen Forschungsschwerpunktes “Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health“ (sesam) suchen wir ab 1. Oktober 2006

Doktoranden (100 %)

Das Vertragsverhältnis ist auf drei Jahre befristet. (...)

Den Doktoranden wird die Möglichkeit geboten, in sesam unter individueller Betreuung im Rahmen eines projektspezifischen Nachwuchsförderprogramms, welches u.a. Kolloquien, Journal Clubs, interdisziplinäre Workshops und Summer schools umfasst, ihre Promotion anzufertigen.

Aufgaben:

  • Mithilfe bei der Rekrutierung von schwangeren Frauen
  • Vorbereitung der Datenerhebung, Erstellung und Entwicklung der Untersuchungsinstrumente
  • Durchführen von Pilotstudien
  • Durchführen der Datenerhebung
  • Mithilfe bei der Koordination des Studienablaufes
  • Mitwirkung bei der Datenanalyse und Publikation der Ergebnisse
  • Präsentation der Forschungsergebnisse auf nationalen und internationalen Tagungen und Kongressen

Voraussetzungen:
  • Qualifizierter Hochschulabschluss in Psychologie oder in angrenzenden wissenschaftlichen Disziplinen
  • Ausgeprägtes Interesse an einer wissenschaftlichen Laufbahn
  • Fundierte Kenntnisse der Methodologie empirischer Forschung und der Statistik
  • Erfahrung in der selbständigen Durchführung empirischer Studien (Rekrutierung, Handling von Datensätzen, Datenauswertung, etc.)
  • Sehr gute Englischkenntnisse
  • Von Vorteil: Französischkenntnisse
  • Räumliche und zeitliche Flexibilität
  • Hohe Stressresisten

Bewerbungen sind bis spätestens 15. Juli 2006 (...)

Montag, 19. Juni 2006

Sesam in der FAZ am Sonntag

Sabine Löhr schrieb gestern in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung über Sesam:

Die beste aller Welten für das Kind

„Steh auf!“ „Ich kann nicht.“ - „Geh einfach mal raus!“ „Ich kann nicht.“-“Hör auf zu heulen!“ „Ich kann nicht.“ - „Zieh dich an!“ „Ich kann nicht.“ - „Stell dich nicht so an!“ „Tu ich nicht.“ (Extrem daneben auch: „Lach doch mal!“)

Wenn das Leben bloß so einfach wäre, wie sich Menschen ohne Depression das vorstellen. Man versteckt sich nicht aus Koketterie hinter diesem dunklen Vorhang, um irgendwann fröhlich wieder hervorzuspringen. Depression ist trotz Brooke Shields oder Sebastian Deisler immer noch tabuisiert, Angststörungen werden als seelische Wehwehchen diffamiert. Die Folgen der psychischen Erkrankung sind aber gravierend: Bis zu 70 Prozent der Depressionsgeplagten leiden unter Selbstmordgedanken, traurige 30 Prozent versuchen sich an der Umsetzung. Psychische Störungen werden laut WHO bis 2020 zweithäufigster Grund vorzeitiger Sterblichkeit und massiver Lebensbeeinträchtigung sein. Vielleicht ein Grund, warum Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Bekämpfung von depressiven Erkrankungen als nationales Gesundheitsziel ausgerufen hat.

„Sesam“

Einen echten Schritt in diese Richtung will aber die Schweiz gehen. Sie finanziert als nationalen Forschungsschwerpunkt das Großprojekt „Sesam“ (“Swiss etiological study of adjustment and mental health“). Diese über 20 Jahre geplante Dreigenerationenstudie will an 3000 Familien untersuchen, wie das Zusammenwirken unterschiedlicher sozialer, psychologischer, biologischer und genetischer Faktoren die Gesundheit der Psyche beeinflußt.

Fortsetzung: siehe Kommentar

Sonntag, 18. Juni 2006

NZZ am Sonntag: Leserbriefe

Die Briefe reagieren auf den Artikel «Uns geht es um das Zusammenspiel von Erbe und Umwelt» vom letzten Sonntag, dem 11. Juni

Seit mehr als einem Jahr werden uns die hochtrabenden Ziele von «Sesam» mit immer der gleichen Powerpoint-Präsentation vor Augen geführt. Getan hat sich bis heute wenig. Viel öffentliches Geld wurde und wird ausgegeben, bewilligt ist noch immer kein einziges Teilprojekt der Studie. Das grösste Handicap von «Sesam», nämlich die klinische Forschung an Kindern, die selber keinen Nutzen von dieser Forschung haben werden, steht nach wie vor ungelöst im Raum; und die Speichelproben, die man den Säuglingen abzwacken will und die zweifellos den Grundstein für eine weitreichende Biobank legen sollen, möchte man bei «Sesam» als bedeutungslos am liebsten unter den Teppich kehren. Wir alle warten gespannt auf das Urteil der kantonalen Ethikkommission, das Nadelöhr, das auch von «Sesam» passiert werden muss.

Pascale Steck, Geschäftsführerin, Basler Appell gegen Gentechnologie

Das von Jürgen Margraf geleitete Forschungsprojekt «Sesam» ist von grosser Bedeutung für die verschiedensten Bestrebungen im Dienste der psychischen Gesundheit und damit der Gesundheitsförderung allgemein. Nicht zuletzt in der Suchtproblematik gehen die Meinungen über die wirksamsten Wege zu Prävention und Therapie auseinander. Wie können wir verhindern, dass junge Menschen in Identitätskrisen Autowettrennen veranstalten oder bei Liebeskummer mit dem Griff zur Flasche ihr Leben und dasjenige von Mitmenschen aufs Spiel setzen? Gibt es Möglichkeiten, solchen Menschen fehlende Perspektiven zu geben? Albert Schweitzer hat das Wort der Ehrfurcht vor dem Leben geprägt. Wichtig ist eine Ethik der umfassenden Ehrfurcht vor dem Leben. Sie sollte nicht behindert oder gefährdet werden durch einseitige Kämpfe für Einzelwerte.

Walter Schmid, Frauenfeld

Freitag, 16. Juni 2006

baz Forumsbeitrag: "Forschung für Menschen"

Autor: Lukas Richterich, Dr. phil., Fachpsychologe für Psychotherapie FSP, S. 32:

«Meine Mutter war zwar immer anwesend, aber sie war doch nie für mich da. Heute weiss ich, dass sie schwer depressiv war. Als Kind verstand ich das nicht. Und sie auch nicht. Sie wusste gar nicht, dass sie krank war.» Psychische Störungen verursachen immenses Leid für betroffene Menschen und ihre Familien. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten hören davon jeden Tag. Psychische Störungen kann man heute behandeln. Psychotherapeutisch und psychopharmakologisch. Dank der Forschung.
Wir verstehen aber noch viel zu wenig, wie psychische Störungen entstehen und welche Faktoren für die gesunde psychische Entwicklung verantwortlich sind. Deshalb bin ich von der Idee des Projekts «Sesam» (Swiss Etiological Study of Adjustment an Mental Health) begeistert. «Sesam» will die komplexen Ursachen aufdecken, die zu einer gesunden psychischen Entwicklung über die Lebensspanne führen. Erfreulich ist, dass die psychologische Fakultät unserer Uni federführend an diesem nationalen Forschungsschwerpunkt beteiligt ist.
Fassungslos verfolge ich, welche Gegnerschaft «Sesam» erwächst. Wie kommt es, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit schlimmsten Verdächtigungen, ideologiebeladenen Vorwürfen und grotesken Vorurteilen angegriffen werden, wenn sie ein drängendes gesellschaftliches Problem erforschen wollen?
Menschen orientieren sich in der Welt mittels ihrer Überzeugungen. So sind wir konstruiert, sagt die psychologische Forschung. Religiöse und ideologische Glaubenssysteme geben Orientierung und Halt, haben aber auch ein schädliches Potenzial. Dafür genügt ein Blick in die (europäische) Geschichte. Irrationalität ist gefährlich. Es ist verheerend, um ein Beispiel zu nennen, wenn in Südafrika Politiker öffentlich bezweifeln, dass Aids durch ein Virus verursacht wird. Verheerend auch, wenn Menschen in verantwortungsvollen Positionen Ängste vor wissenschaftlicher Forschung schüren. Missbrauch von Forschung wird heute durch gesellschaftliche Kontrollsysteme verhindert.
Die wissenschaftlichen Leistungen der vergangenen Jahrhunderte haben uns in vielen Bereichen Entwicklung, Wohlstand und Fortschritt gebracht. Aber die modernen Lebensbedingungen sind für die psychische Gesundheit problematisch. Wir müssen dringend mehr über die Faktoren wissen, die uns psychisch gesund erhalten.
Rauchen während der Schwangerschaft ist für das werdende Kind schädlich. Punkt. Das ist keine Glaubensfrage. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Wer würde es heute auch ernsthaft bezweifeln?
Wir brauchen mehr, nicht weniger Forschung am Menschen. Gerade im Bereich der psychischen Gesundheit. Das ist für unsere Zukunft lebensnotwendig. Wie sagte doch Kant vor 250 Jahren: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Aufklärung tut immer noch Not! Auch und gerade über Zusammenhänge und Bedingungen für die psychische Gesundheit. Dafür braucht es Projekte wie «Sesam».
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Sesam Watch

Beobachtungen und Notizen zum Schweizer NCCR "Sesam", der 3'000 Kinder und ihr Umfeld vom ersten Ultraschallbild an 20 Jahre lang beobachten wollte (vorzeitiger Abbruch: 13.3.08). Autonom, skeptisch, ehrenamtlich. Kontakt: sesamwatch@gmail.com

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