Sesam reagiert in Leserbriefen
Heute in der Zeitung "Der Bund" reagieren ein Pressesprecher und der Vize-Leiter von Sesam auf den Artikel in dem Blatt vom 11. Mai:
Kindern helfen können - «Umstrittene Zwangsforschung», «Bund» vom 11. Mai
Solange Kinder nicht urteilsfähig sind, ist es sinnvoll, wenn innerhalb angemessener Grenzen die Eltern über das Wohl entscheiden, auch beispielsweise darüber, ob ihre Kinder geimpft werden oder an einem Forschungsprojekt teilnehmen.
Dieses Prinzip im Vorentwurf zum Humanforschungsgesetz HFG ist in anderen Lebensbereichen üblich und anerkannt: Können Kinder nicht selbst entscheiden, weil sie Sachverhalte noch nicht verstehen, entscheiden ihre gesetzlichen Vertreter, im Normalfall die Eltern, über die Teilnahme an einem Forschungsprojekt. Der zugrunde liegende Gedanke: Wenn Säuglinge oder Kleinkinder (allgemein: Urteilsunfähige) etwas nicht verstehen, kann man sie nicht befragen, ob sie zum Beispiel einer lebenserhaltenden oder -verbessernden Therapie, die erforscht wird, zustimmen oder nicht. Und es lässt sich meist auch nicht schlüssig prüfen, was eine «Unmutsäusserung» in diesem Rahmen bedeutet: Ist das Kind hungrig? Kennt es die Leute nicht? Möchte es jetzt lieber schlafen?
Es käme kaum jemandem in den Sinn, sein Kleinkind im 2. und 4. Monat deshalb nicht gegen Diphterie, Tetanus, Keuchhusten impfen zu lassen und später gegen Masern, Mumps und Röteln, weil es in der Arztpraxis unmutig ist oder bei der Impfung schreit, wenn es «gestochen» wird. Wer aber würde bei diesen elterlichen Entscheiden von «Zwangs-Impfung» sprechen?
Nicht selten verbinden verantwortungsbewusste Eltern ihre Entscheidung über die Teilnahme an Forschungsprojekten mit der Solidarität gegenüber Menschen in derselben Situation: Oft sind sie bereit, mit ihren Kinder an Forschungsprogrammen teilzunehmen, die einen Nutzen für Kinder versprechen, die sich künftig in derselben Lage befinden. Dies im Wissen, dass ihre Kinder heute von vielen Forschungsresultaten von gestern profitieren. Etwa davon, dass Eltern von Kindern mit Leukämie, Asthma, Cystischer Fibrose, aber auch mit ungewöhnlichen Lernschwierigkeiten, Aggressionen oder Hyperaktivität bereit waren, die schwierige Situation ihrer Kinder erforschen zu lassen - um mit den Ergebnissen wirksamere Therapien oder geeignetere Massnahmen zu entwickeln.
Dass gewisse Pressure Groups im selben Atemzug mit dem irreführenden Begriff «Zwangsforschung» auch noch den Nationalen Forschungsschwerpunkt «Sesam» nennen, ist völlig absurd: «Sesam» führt definitiv keine als «Zwangsforschung» zu bezeichnenden Untersuchungen durch, sondern erforscht via übliche Routineuntersuchungen und Befragungen die Entwicklungswege von seelischer Gesundheit und Krankheit.
Daniel Habegger, Öffentlichkeit und Wissenstransfer Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health, Nationaler Forschungsschwerpunkt
«Zwangsforschung» ist nach dem Entwurf zum Humanforschungsgesetz nicht rechtens und Forschung mit urteilsunfähigen Personen nur möglich, wenn höchstens minimale Risiken bestehen und die gesetzlichen Vertreter einverstanden sind. Im Interesse aller Betroffenen stellt dieses Gesetz klare, öffentlich kontrollierbare Rahmenbedingungen der Humanforschung sicher.
Als Vater zweier Kinder, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Psychologie SGP und Vize-Direktor des im Artikel angesprochenen Nationalen Forschungsschwerpunktes «Sesam» bin ich froh, dass der Bevölkerung die Schutzbedürftigkeit urteilsunfähiger Personen, besonders von Kindern, wichtig ist. Was aber braucht es seitens der Forschung, um Schutzbedürftigen beizustehen? Sicher nicht keine Forschung.
In unserer westlichen Gesellschaft bilden glücklicherweise wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse die Basis für Handlungen und Massnahmen, nicht Glaubensbekenntnisse und längst widerlegtes Wissen. Es kann deshalb nicht im Interesse einer besonders schützenswerten Gruppe sein, wenn ihre spezifischen Gesundheits- und Entwicklungsschancen nicht erforscht werden. Beispiel psychische Gesundheit: In der Schweiz sind Kinder eine Hauptrisikogruppe; rund 50 Prozent der psychischen Erkrankungen brechen bis zum 14. Lebensjahr aus und unsere Jugendlichen leiden unter der höchsten Suizidrate innerhalb der Gesamtbevölkerung, meist infolge psychischer Probleme. Zugleich weiss die Wissenschaft viel zu wenig über die tatsächlichen Ursachen psychischer Leiden bei Kindern und kann so die zentralen Fragen, die für effektive Behandlungen nötig sind, nicht beantworten.
Es stimmt nachdenklich, wenn die natürliche Sorge um unsere Kinder dazu instrumentalisiert wird, mit irreführenden Behauptungen neue Gesetze und Forschungsprojekte zu diskreditieren, die gerade den spezifischen Entwicklungssituationen und Bedürfnissen von Kinder gerecht werden wollen. Die spezifischen Anliegen von besonders schützenswerten Gruppen sollen nicht von der Forschung ausgeschlossen, sondern ihrer besonderen Situation entsprechend untersucht werden können. Mit dem Humanforschungsgesetz sollen Missbräuche, nicht aber wichtige Forschungsfragen bekämpft werden.
Prof. Dr. Alexander Grob, Muri, Full Professor for Personality and Developmental Psychology, Deputy Director National Center of Competence in Research Sesam, University of Basel
Kindern helfen können - «Umstrittene Zwangsforschung», «Bund» vom 11. Mai
Solange Kinder nicht urteilsfähig sind, ist es sinnvoll, wenn innerhalb angemessener Grenzen die Eltern über das Wohl entscheiden, auch beispielsweise darüber, ob ihre Kinder geimpft werden oder an einem Forschungsprojekt teilnehmen.
Dieses Prinzip im Vorentwurf zum Humanforschungsgesetz HFG ist in anderen Lebensbereichen üblich und anerkannt: Können Kinder nicht selbst entscheiden, weil sie Sachverhalte noch nicht verstehen, entscheiden ihre gesetzlichen Vertreter, im Normalfall die Eltern, über die Teilnahme an einem Forschungsprojekt. Der zugrunde liegende Gedanke: Wenn Säuglinge oder Kleinkinder (allgemein: Urteilsunfähige) etwas nicht verstehen, kann man sie nicht befragen, ob sie zum Beispiel einer lebenserhaltenden oder -verbessernden Therapie, die erforscht wird, zustimmen oder nicht. Und es lässt sich meist auch nicht schlüssig prüfen, was eine «Unmutsäusserung» in diesem Rahmen bedeutet: Ist das Kind hungrig? Kennt es die Leute nicht? Möchte es jetzt lieber schlafen?
Es käme kaum jemandem in den Sinn, sein Kleinkind im 2. und 4. Monat deshalb nicht gegen Diphterie, Tetanus, Keuchhusten impfen zu lassen und später gegen Masern, Mumps und Röteln, weil es in der Arztpraxis unmutig ist oder bei der Impfung schreit, wenn es «gestochen» wird. Wer aber würde bei diesen elterlichen Entscheiden von «Zwangs-Impfung» sprechen?
Nicht selten verbinden verantwortungsbewusste Eltern ihre Entscheidung über die Teilnahme an Forschungsprojekten mit der Solidarität gegenüber Menschen in derselben Situation: Oft sind sie bereit, mit ihren Kinder an Forschungsprogrammen teilzunehmen, die einen Nutzen für Kinder versprechen, die sich künftig in derselben Lage befinden. Dies im Wissen, dass ihre Kinder heute von vielen Forschungsresultaten von gestern profitieren. Etwa davon, dass Eltern von Kindern mit Leukämie, Asthma, Cystischer Fibrose, aber auch mit ungewöhnlichen Lernschwierigkeiten, Aggressionen oder Hyperaktivität bereit waren, die schwierige Situation ihrer Kinder erforschen zu lassen - um mit den Ergebnissen wirksamere Therapien oder geeignetere Massnahmen zu entwickeln.
Dass gewisse Pressure Groups im selben Atemzug mit dem irreführenden Begriff «Zwangsforschung» auch noch den Nationalen Forschungsschwerpunkt «Sesam» nennen, ist völlig absurd: «Sesam» führt definitiv keine als «Zwangsforschung» zu bezeichnenden Untersuchungen durch, sondern erforscht via übliche Routineuntersuchungen und Befragungen die Entwicklungswege von seelischer Gesundheit und Krankheit.
Daniel Habegger, Öffentlichkeit und Wissenstransfer Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health, Nationaler Forschungsschwerpunkt
«Zwangsforschung» ist nach dem Entwurf zum Humanforschungsgesetz nicht rechtens und Forschung mit urteilsunfähigen Personen nur möglich, wenn höchstens minimale Risiken bestehen und die gesetzlichen Vertreter einverstanden sind. Im Interesse aller Betroffenen stellt dieses Gesetz klare, öffentlich kontrollierbare Rahmenbedingungen der Humanforschung sicher.
Als Vater zweier Kinder, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Psychologie SGP und Vize-Direktor des im Artikel angesprochenen Nationalen Forschungsschwerpunktes «Sesam» bin ich froh, dass der Bevölkerung die Schutzbedürftigkeit urteilsunfähiger Personen, besonders von Kindern, wichtig ist. Was aber braucht es seitens der Forschung, um Schutzbedürftigen beizustehen? Sicher nicht keine Forschung.
In unserer westlichen Gesellschaft bilden glücklicherweise wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse die Basis für Handlungen und Massnahmen, nicht Glaubensbekenntnisse und längst widerlegtes Wissen. Es kann deshalb nicht im Interesse einer besonders schützenswerten Gruppe sein, wenn ihre spezifischen Gesundheits- und Entwicklungsschancen nicht erforscht werden. Beispiel psychische Gesundheit: In der Schweiz sind Kinder eine Hauptrisikogruppe; rund 50 Prozent der psychischen Erkrankungen brechen bis zum 14. Lebensjahr aus und unsere Jugendlichen leiden unter der höchsten Suizidrate innerhalb der Gesamtbevölkerung, meist infolge psychischer Probleme. Zugleich weiss die Wissenschaft viel zu wenig über die tatsächlichen Ursachen psychischer Leiden bei Kindern und kann so die zentralen Fragen, die für effektive Behandlungen nötig sind, nicht beantworten.
Es stimmt nachdenklich, wenn die natürliche Sorge um unsere Kinder dazu instrumentalisiert wird, mit irreführenden Behauptungen neue Gesetze und Forschungsprojekte zu diskreditieren, die gerade den spezifischen Entwicklungssituationen und Bedürfnissen von Kinder gerecht werden wollen. Die spezifischen Anliegen von besonders schützenswerten Gruppen sollen nicht von der Forschung ausgeschlossen, sondern ihrer besonderen Situation entsprechend untersucht werden können. Mit dem Humanforschungsgesetz sollen Missbräuche, nicht aber wichtige Forschungsfragen bekämpft werden.
Prof. Dr. Alexander Grob, Muri, Full Professor for Personality and Developmental Psychology, Deputy Director National Center of Competence in Research Sesam, University of Basel
patpatpat - 22. Mai, 10:34