"Synapse" über Sesam II
In der Novemberausgabe von "SYNAPSE – die Zeitung der Ärztinnen und Ärzte von Baselland und Baselstadt" schreibt der Psychiater Dr. med. Peter Dreyfus:
SESAM, Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health, ist ein Forschungsprogramm, für das der Leiter des Instituts für Psychologie der Universität Basel, Prof. J. Margraf, verantwortlich ist. Es wurde als Schwerpunktprogramm des Schweizerischen Nationalfonds ausgewählt und am 22. März 2005 von Bundesrat Couchepin für vorerst 4 Jahre bestätigt. 3000 Embryonen sollen von der zwölften Schwangerschaftswoche an untersucht und bis zum 20. Lebensjahr psychosozial und genetisch-biologisch studiert werden. Damit sollen Daten über die Entstehungsgeschichte der Anpassung und geistigen Gesundheit erfasst werden.
Die grosse Zahl erfasster Daten werde nicht bloss zu einer Vertiefung unserer wissenschaftlichen Kenntnisse der Entstehungsgeschichte von Anpassung und geistiger Gesundheit führen, sondern auch ganz wesentlich zur Entwicklung und Umsetzung von Prävention, Behandlung und gesundheitspolitischen Strategien beitragen, so sagt Prof. Margraf. Auf Grund dieser Untersuchungen könnten, so sagt er weiter, die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft durch gezielte Behandlung mit Verhaltenstraining und Medikamenten nachhaltig gesichert, die Gesundheitskosten herabgesetzt und somit die Konkurrenzfähigkeit der schweizerischen Wirtschaft verbessert werden. Das lässt sich nachlesen unter http://www.psycho.unibas.ch/sesam. Mit SESAM solle aber nicht nur die Konkurrenzfähigkeit der schweizerischen Wirtschaft verbessert werden, sondern auch die internationale Konkurrenzfähigkeit der schweizerischen Wissenschaft werde mit dieser Studie gefördert, was von grosser Bedeutung sei, sagt Margraf, denn Studien hätten gezeigt, dass das Niveau schweizerischer wissenschaftlicher Studien schnell sinke. SESAM werde dazu beitragen, dass wir in der Schweiz qualitativ hochstehende Akademiker, ein hoher Prozentsatz davon Frauen, haben werden, sagt Margraf, und viel Gutes mehr. Ich kann hier bloss einen Bruchteil aufzählen von dem, was SESAM alles verspricht, aber Sie können es ohne weiteres im Internet nachlesen. Ich gehe davon aus, dass, wenn diese Untersuchung wirklich durchgeführt wird, Sie als Arzt mit grosser Wahrscheinlichkeit an irgendeinem Punkt während dieser Studie direkt oder indirekt in die Studie involviert sein werden und dass es deshalb von grosser Bedeutung ist, dass Sie sich schon jetzt Gedanken darüber machen, ob es sinnvoll ist, da mitzutun. Also Sie werden z.B. von einer schwangeren Patientin gefragt werden, ob es sinnvoll sei, dass das Kind, das sie erwartet, am Projekt mitmacht. Wie ich den Ausführungen im Internet über das Projekt entnehme, sollen die Daten über die 3000 untersuchten Personen gewonnen werden u.a. durch operationalisierte, strukturierte Interviews, gelenkte Verhaltensbeobachtungen, Untersuchung kognitiver Fähigkeiten, Messung des vagalen Tonus oder die Untersuchung genetischer Polymorphismen. Die Psyche gibt es nicht – das Subjekt auch nicht. Das Wort Psyche kommt in der ganzen Beschreibung von SESAM nicht vor. Gibt es die Psyche beim Leiter des Psychologischen Instituts der Universität Basel gar nicht? Ich denke, es geht darum, dass Prof. Margraf sich um Objektivität bemüht und den Untersucher und Untersuchten als Subjekt in der Studie nach Möglichkeit nicht haben will. Auf diese Weise wird dem Leser Wissenschaftlichkeit vorgegaukelt, während der beschriebene Forschungsansatz der Komplexität des Menschen überhaupt nicht gerecht wird, und zwar gerade wegen der Art und Weise, wie die Daten in der Studie erhoben werden.
Margraf verwendet samt und sonders objektivierende Untersuchungsmethoden. Er macht die Menschen zu messbaren Objekten, und sogar dort, wo er mit den zu Versuchsobjekten gewordenen Menschen spricht, macht er operationalisierte, strukturierte Interviews und schaltet nach Möglichkeit wiederum das Subjekt aus. Wir Ärztinnen und Ärzte wissen aus unserer täglichen Praxis, was für eine Rolle das persönliche Erleben des Patienten in der Entwicklung seiner psychischen Gesundheit und Krankheit spielt. Natürlich gibt es den objektiveren Zugang zum Menschen. Wir alle kennen den Wert von Laboruntersuchungen. Doch es gibt nicht bloss die Laboruntersuchungen und das schon gar nicht bei psychischen Erkrankungen. Das ärztliche Gespräch, wie Sie es alle mit Ihren Patienten führen, wird als einzigartiges diagnostisches und therapeutisches Instrument entwertet.
Als wesentliche kritische Fragen stellen sich mir im Zusammenhang mit diesem Projekt Fragen nach der Ethik der Studie, so wie sie angelegt ist. In der Synapse vom September 2005 hat Prof. Hans Kummer, Präsident der Ethikkommission beider Basel, uns dargelegt, womit sich diese Ethikkommission befasst. Davon ist manches relevant für die Beurteilung von SESAM. Ich möchte nur einige wenige Punkte herausgreifen: die Respektierung der Autonomie des Patienten in einer Studie sowie die Aufklärung des Patienten/gesunden Probanden über die Ziele der Studie und die damit verbundenen Gefahren und Unannehmlichkeiten. Beides kann natürlich bei dieser Studie nicht gewährleistet werden, da es sich im Anfang der Studie um einen Embryo und später um ein Kleinkind handelt, so dass von Autonomie und Aufklärung natürlich nicht die Rede sein kann. Die Eltern, die einwilligen, dass ihr Kind in der Studie mitmachen soll, sind keineswegs das Kind selbst. Auch Eltern können nicht über die Zukunft ihrer Kinder verfügen. Die Einwilligung durch die Eltern erscheint mir auch deshalb als äusserst problematisch, da hier Daten angehäuft werden, die zwar sogenannt anonymisiert sein sollen, aber dennoch Unsicherheit darüber besteht, was mit den Daten geschehen kann.
Es muss auch bedacht werden, dass eine Beobachtung über viele Jahre hinweg beim beobachteten Menschen, besonders wenn es sich um Kinder handelt, einen verändernden Eingriff darstellt. Die Ethikkommission beider Basel wird sich noch mit dem Projekt von Prof. Margraf befassen und ihr Urteil darüber abgeben müssen, ob die Studie aus ethischer Sicht durchgeführt werden darf. Dass aber die Studie am 1. Oktober 2005 bereits begonnen hat, ist kein gutes Zeichen. Wir werden von SESAM überrannt, und zwar zu einem Zeitpunkt, in dem wir über die Einzelheiten der Untersuchung noch sehr wenig wissen. Ich möchte die Behauptung aufstellen, dass die Tatsache, dass Prof. Margraf verspricht, dass SESAM die Gesundheitskosten in der Zukunft senken wird, ganz wesentlich dazu beigetragen hat, dass viele Millionen gesprochen worden sind, um dieses Projekt zu unterstützen. Dieses Versprechen wird von Prof. Margraf gegeben, als wäre es eine bewiesene Tatsache. Davon kann aber gar keine Rede sein. Die Festlegung dieses Schwerpunktes durch den Schweizerischen Nationalfonds bedeutet, dass auf viele Jahre hinaus Forschungsgelder im Bereich der Erforschung der Psyche des Menschen gebunden sein werden in einer Studie, die von ihrer Anlage her niemals halten kann, was sie grossartig verspricht. Sie erscheint mir zudem als in mancher Hinsicht fragwürdig und verdient es nicht, unterstützt zu werden.
SESAM, Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health, ist ein Forschungsprogramm, für das der Leiter des Instituts für Psychologie der Universität Basel, Prof. J. Margraf, verantwortlich ist. Es wurde als Schwerpunktprogramm des Schweizerischen Nationalfonds ausgewählt und am 22. März 2005 von Bundesrat Couchepin für vorerst 4 Jahre bestätigt. 3000 Embryonen sollen von der zwölften Schwangerschaftswoche an untersucht und bis zum 20. Lebensjahr psychosozial und genetisch-biologisch studiert werden. Damit sollen Daten über die Entstehungsgeschichte der Anpassung und geistigen Gesundheit erfasst werden.
Die grosse Zahl erfasster Daten werde nicht bloss zu einer Vertiefung unserer wissenschaftlichen Kenntnisse der Entstehungsgeschichte von Anpassung und geistiger Gesundheit führen, sondern auch ganz wesentlich zur Entwicklung und Umsetzung von Prävention, Behandlung und gesundheitspolitischen Strategien beitragen, so sagt Prof. Margraf. Auf Grund dieser Untersuchungen könnten, so sagt er weiter, die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft durch gezielte Behandlung mit Verhaltenstraining und Medikamenten nachhaltig gesichert, die Gesundheitskosten herabgesetzt und somit die Konkurrenzfähigkeit der schweizerischen Wirtschaft verbessert werden. Das lässt sich nachlesen unter http://www.psycho.unibas.ch/sesam. Mit SESAM solle aber nicht nur die Konkurrenzfähigkeit der schweizerischen Wirtschaft verbessert werden, sondern auch die internationale Konkurrenzfähigkeit der schweizerischen Wissenschaft werde mit dieser Studie gefördert, was von grosser Bedeutung sei, sagt Margraf, denn Studien hätten gezeigt, dass das Niveau schweizerischer wissenschaftlicher Studien schnell sinke. SESAM werde dazu beitragen, dass wir in der Schweiz qualitativ hochstehende Akademiker, ein hoher Prozentsatz davon Frauen, haben werden, sagt Margraf, und viel Gutes mehr. Ich kann hier bloss einen Bruchteil aufzählen von dem, was SESAM alles verspricht, aber Sie können es ohne weiteres im Internet nachlesen. Ich gehe davon aus, dass, wenn diese Untersuchung wirklich durchgeführt wird, Sie als Arzt mit grosser Wahrscheinlichkeit an irgendeinem Punkt während dieser Studie direkt oder indirekt in die Studie involviert sein werden und dass es deshalb von grosser Bedeutung ist, dass Sie sich schon jetzt Gedanken darüber machen, ob es sinnvoll ist, da mitzutun. Also Sie werden z.B. von einer schwangeren Patientin gefragt werden, ob es sinnvoll sei, dass das Kind, das sie erwartet, am Projekt mitmacht. Wie ich den Ausführungen im Internet über das Projekt entnehme, sollen die Daten über die 3000 untersuchten Personen gewonnen werden u.a. durch operationalisierte, strukturierte Interviews, gelenkte Verhaltensbeobachtungen, Untersuchung kognitiver Fähigkeiten, Messung des vagalen Tonus oder die Untersuchung genetischer Polymorphismen. Die Psyche gibt es nicht – das Subjekt auch nicht. Das Wort Psyche kommt in der ganzen Beschreibung von SESAM nicht vor. Gibt es die Psyche beim Leiter des Psychologischen Instituts der Universität Basel gar nicht? Ich denke, es geht darum, dass Prof. Margraf sich um Objektivität bemüht und den Untersucher und Untersuchten als Subjekt in der Studie nach Möglichkeit nicht haben will. Auf diese Weise wird dem Leser Wissenschaftlichkeit vorgegaukelt, während der beschriebene Forschungsansatz der Komplexität des Menschen überhaupt nicht gerecht wird, und zwar gerade wegen der Art und Weise, wie die Daten in der Studie erhoben werden.
Margraf verwendet samt und sonders objektivierende Untersuchungsmethoden. Er macht die Menschen zu messbaren Objekten, und sogar dort, wo er mit den zu Versuchsobjekten gewordenen Menschen spricht, macht er operationalisierte, strukturierte Interviews und schaltet nach Möglichkeit wiederum das Subjekt aus. Wir Ärztinnen und Ärzte wissen aus unserer täglichen Praxis, was für eine Rolle das persönliche Erleben des Patienten in der Entwicklung seiner psychischen Gesundheit und Krankheit spielt. Natürlich gibt es den objektiveren Zugang zum Menschen. Wir alle kennen den Wert von Laboruntersuchungen. Doch es gibt nicht bloss die Laboruntersuchungen und das schon gar nicht bei psychischen Erkrankungen. Das ärztliche Gespräch, wie Sie es alle mit Ihren Patienten führen, wird als einzigartiges diagnostisches und therapeutisches Instrument entwertet.
Als wesentliche kritische Fragen stellen sich mir im Zusammenhang mit diesem Projekt Fragen nach der Ethik der Studie, so wie sie angelegt ist. In der Synapse vom September 2005 hat Prof. Hans Kummer, Präsident der Ethikkommission beider Basel, uns dargelegt, womit sich diese Ethikkommission befasst. Davon ist manches relevant für die Beurteilung von SESAM. Ich möchte nur einige wenige Punkte herausgreifen: die Respektierung der Autonomie des Patienten in einer Studie sowie die Aufklärung des Patienten/gesunden Probanden über die Ziele der Studie und die damit verbundenen Gefahren und Unannehmlichkeiten. Beides kann natürlich bei dieser Studie nicht gewährleistet werden, da es sich im Anfang der Studie um einen Embryo und später um ein Kleinkind handelt, so dass von Autonomie und Aufklärung natürlich nicht die Rede sein kann. Die Eltern, die einwilligen, dass ihr Kind in der Studie mitmachen soll, sind keineswegs das Kind selbst. Auch Eltern können nicht über die Zukunft ihrer Kinder verfügen. Die Einwilligung durch die Eltern erscheint mir auch deshalb als äusserst problematisch, da hier Daten angehäuft werden, die zwar sogenannt anonymisiert sein sollen, aber dennoch Unsicherheit darüber besteht, was mit den Daten geschehen kann.
Es muss auch bedacht werden, dass eine Beobachtung über viele Jahre hinweg beim beobachteten Menschen, besonders wenn es sich um Kinder handelt, einen verändernden Eingriff darstellt. Die Ethikkommission beider Basel wird sich noch mit dem Projekt von Prof. Margraf befassen und ihr Urteil darüber abgeben müssen, ob die Studie aus ethischer Sicht durchgeführt werden darf. Dass aber die Studie am 1. Oktober 2005 bereits begonnen hat, ist kein gutes Zeichen. Wir werden von SESAM überrannt, und zwar zu einem Zeitpunkt, in dem wir über die Einzelheiten der Untersuchung noch sehr wenig wissen. Ich möchte die Behauptung aufstellen, dass die Tatsache, dass Prof. Margraf verspricht, dass SESAM die Gesundheitskosten in der Zukunft senken wird, ganz wesentlich dazu beigetragen hat, dass viele Millionen gesprochen worden sind, um dieses Projekt zu unterstützen. Dieses Versprechen wird von Prof. Margraf gegeben, als wäre es eine bewiesene Tatsache. Davon kann aber gar keine Rede sein. Die Festlegung dieses Schwerpunktes durch den Schweizerischen Nationalfonds bedeutet, dass auf viele Jahre hinaus Forschungsgelder im Bereich der Erforschung der Psyche des Menschen gebunden sein werden in einer Studie, die von ihrer Anlage her niemals halten kann, was sie grossartig verspricht. Sie erscheint mir zudem als in mancher Hinsicht fragwürdig und verdient es nicht, unterstützt zu werden.
patpatpat - 1. Dez, 10:03