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NZZ am Sonntag vom 16.3.08: «Der Boden für die Forschung ist steinig»

Die Sesam-Studie wollte die Ursachen für psychische Gesundheit und Krankheit erforschen. Nun wird das Forschungsprojekt abgebrochen. Co-Leiter Alexander Grob erklärt, wie es zum Fiasko kam

Interview: Kathrin Meier-Rust

NZZ am Sonntag: Man muss es klar feststellen: Der nationale Forschungsschwerpunkt Sesam ist gescheitert. Was empfinden Sie persönlich?

Alexander Grob: Ich bin traurig, und gleichzeitig suche ich nach Erklärungen und frage mich, was wir hätten besser machen können. Aber mein Herz blutet.

Sesam stiess von Anfang auf heftige Kritik von ganz verschiedenen Seiten. Woran könnte das gelegen haben?

Zuerst möchte ich festhalten, dass es von Seiten der wissenschaftlichen Gemeinschaft keine Kritik gab: Von der Soziologie über die Medizin bis zur Psychologie, aus Schweizer und aus ausländischen Universitäten waren die Rückmeldungen alle äusserst positiv: Man hielt es für grossartig, mit Sesam die so wichtigen Fragen nach der Entwicklung für psychische Gesundheit und Krankheit so breit angehen zu können. Aber es ist richtig, dass wir von anderer Seite stark kritisiert wurden: vor allem von den Gegnern der Gentechnologie, von anthroposophischer und von psychoanalytischer Seite. Wir haben mit all diesen Kritikern das Gespräch gesucht, aber die Meinungen lagen zum Teil so weit auseinander, dass man sich nicht finden konnte.

Eine Kritik, die man oft hörte, lautete: Sesam sei ein grössenwahnsinniges Projekt, und es werde zu viel versprochen. Ist da etwas Wahres dran?

Auf diesen Vorwurf möchte ich von verschiedenen Seiten her eingehen. Erstens gab es den strategischen Entscheid des Nationalfonds, der sich auf viele Gutachter stützte, die alle das Projekt und die Idee von Sesam für gesellschaftlich wichtig hielten. Und zwar deshalb, weil - zweitens - psychische Krankheiten heute in der Schweiz als Ursache von Arbeitsausfall und von vorzeitiger Sterblichkeit an zweiter Stelle stehen. Genau dies prognostiziert die Weltgesundheitsorganisation WHO für die ganze Welt bis zum Jahr 2020. Das ist auch von den Kosten her sehr relevant. Ganz abgesehen vom Leiden von Angehörigen und Betroffenen.

Gescheitert ist die Studie nun aber daran, dass viel zu wenige der angefragten schwangeren Frauen sich zur Teilnahme entschliessen konnten. Ist die Schwangerschaft vielleicht ein heikler und damit ungünstiger Zeitpunkt?

Aus Sicht der anvisierten Teilnehmerinnen dürfte das zutreffen. Wenn man als Forscher die Frage nach den Ursachen für psychische Krankheit und Gesundheit ernst nimmt, dann muss man bei den Kindern von Anfang an - also schon im Mutterleib - ansetzen. Wir wissen heute, dass es das sogenannte fötale Programmieren gibt: Wenn die Mutter grossen Belastungen ausgesetzt ist, wirkt dies auf das ungeborene Kind ein, und es nimmt diese Belastungen mit in sein Leben. Deshalb ist es so wichtig, zu erforschen, wie sich Belastungen der Mutter während der Schwangerschaft später auswirken.

In Basel zeigten die ersten Monate der Rekrutierung: Rund jede zweite Frau sagte nein. War das nicht zu erwarten?

Nein. Wir sind davon ausgegangen, dass von jenen Frauen, die unsere Kriterien erfüllen - die also über 18 Jahre alt sind, eine intakte Schwangerschaft haben und über genügende Sprachkenntnisse verfügen -, etwa 70 bis 80 Prozent mitmachen würden. Wegen der Verzögerungen von Sesam konnten wir leider keine Pilotstudie machen. Aber frühere Studien in der Schweiz haben eine Teilnahme in diesem Rahmen gezeigt.

Wo sehen Sie die Gründe dafür, dass dies offenbar nicht mehr so ist?

Der Aufwand und die Dauer insgesamt haben die Teilnehmerinnen offenbar davon abgehalten, an Sesam teilzunehmen. Erschwerend kam hinzu, dass Sesam von Beginn stetig ein rauer Wind ins Gesicht geblasen hat, und das haben die Leute natürlich mitbekommen. Es gab Aktionsgruppen, die ganz gezielt auf Sesam geschossen haben und das Image der Studie beschädigt haben. Dazu kamen Auflagen, etwa die Risiken explizit zu benennen.

Wie gingen Sie konkret vor?

In der 12. Schwangerschaftswoche informierte der betreuende Arzt eine Frau, dass seine Klinik sich an Sesam beteilige und dass eine Sesam-Mitarbeiterin sie darüber informieren möchte. Dafür haben wir als Assistentinnen gestandene Mütter eingesetzt. Diese haben den schwangeren Frauen erste Informationen gegeben und ein Büchlein von 40 Seiten, das den Nutzen und die Risiken der Studie anspricht. Die betreffende Frau musste sich nach diesen Informationen selbst bei uns melden, wir durften nicht von uns aus nachfragen. Wenn sich die Frau meldete, bekam sie ein weiteres, nun viel dickeres Buch, in dem sie 6-mal unterschreiben musste, und für jede dieser Unterschriften waren bis zu 15 Punkte aufgelistet, zu denen sie sich einverstanden erklären musste.

Da hätte doch gleich klar sein müssen, dass da niemand mehr mitmacht.

Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Schon weil Menschen heute allgemein skeptischer gegenüber Forschung eingestellt sind.

Woher kommt diese Skepsis in einer Gesellschaft, die von der Forschung, auch in der Medizin, gerne profitiert?

Die Menschen fragen heute sofort: Was nützt mir eine Sache selbst? Früher gab es so etwas wie ein grundsätzliches Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnis. Die Haltung war: Wenn ich als gewöhnliche Person hierzu beitragen kann, dann ist das gut, denn es wird zum allgemeinen Wohl beitragen. Diese Bereitschaft, zum Allgemeinwohl beizutragen, ist heute in viel geringerem Masse vorhanden. Damit ist der Boden für Forschung, deren Nutzen nicht unmittelbar absehbar ist, extrem steinig geworden.

Warum ist unsere Gesellschaft so wenig geneigt, sich für Forschung für das Allgemeinwohl zu engagieren?

Ich sehe dahinter die starke Betonung des Individualismus und den Rückzug in die Privatsphäre: Jeder muss für sich entscheiden, was für ihn oder sie richtig ist. Damit ist man auf sich selbst zurückgeworfen. Das verunsichert, da sagt man lieber zur Vorsicht Nein. Diese Verunsicherung ist sozusagen der Preis, den wir für die Individualisierung zahlen. Eine Frau begründete ihre Absage damit, dass sie nicht für ihr ungeborenes Kind entscheiden möchte, da sie ja nicht wissen könne, ob dieses Kind dereinst ihre Entscheidung billigen werde. Ich respektiere das Argument dieser Frau. Dahinter steht aber im Grunde ein Erziehungskonzept und eine gesellschaftliche Entwicklung: Ich darf als Mutter keine Entscheidung gegen den Willen meines Kindes treffen. Das hiesse nämlich, dass ich zu meinen eigenen Entscheidungen stehen müsste, auch wenn das Kind damit vielleicht einmal nicht einverstanden ist - so wie es auch mit seinem Namen vielleicht einmal unzufrieden ist. Zu seinen Entscheidungen stehen verlangt eine starke Identität.

Welche Konsequenzen hat das Scheitern von Sesam für das Gesetz über die Forschung am Menschen, das gegenwärtig diskutiert wird?

Ich kann da nur die Hoffnung ausdrücken, dass die politischen Instanzen die Brisanz und die Notwendigkeit dieses Gesetzes erkennen. Es gibt heute Gruppierungen, die jede Forschung mit Menschen, und vor allem mit Kindern, anzweifeln, die keinen ganz direkten Nutzen für die Teilnehmenden bringt. Ein Gesetz muss deshalb beidem Rechnung tragen - es muss den Beforschten Rechte einräumen, aber es darf Forschung nicht verunmöglichen.

Der nationale Forschungsschwerpunkt Sesam

Der nationale Forschungsschwerpunkt Sesam (Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health) wurde 2005 bewilligt und sollte dieBedingungen für psychische Gesundheiterforschen. Am vergangenen Donnerstag hat die Leitung von Sesam nun die Einstellung der Kernstudiebeantragt, weil das angestrebte Ziel der Rekrutierung von Teilnehmern innerhalb von zwei Jahren nicht mehr erreicht werden kann: Nur 20 von den bisher 110 in Basel angefragten schwangeren Frauen hatten zugesagt. Für die Kernstudievon Sesam sollten 3000 Kinder von der 12. Schwangerschaftswoche bis zum 20. Altersjahr regelmässig untersucht und befragt werden. Vorgeburtlich waren Ultraschalluntersuchungen geplant. Gleichzeitig waren Interviews mit beiden Eltern und mit den Grosseltern vorgesehen. Die teilnehmenden Kinder sollten in den universitären Kliniken vonBasel, Bern, Lausanne, Genf und Zürichrekrutiert werden. Von Sesam erhofften sich die Forscher Einsicht darüber, welche Umstände zur psychischen Gesundheit beitragen und welche Faktoren Depressionen und Angststörungen begünstigen. Unter der Leitung von Jürgen Margraf, Professor für klinische Psychologie und Psychotherapie in Basel, waren Forscher aus fünf Schweizer Universitäten involviert. AufDruck der Kritikan den geplanten DNA-Tests musste dieser Teil der Studie fallengelassen werden, und diverse verlangte Modifikationen verzögerten den Studienbeginn auf den Herbst 2006. Von insgesamt 14 geplanten Teilstudien sollen nun diejenigen, die ihre Teilnehmer unabhängig rekrutieren, weitergeführt werden. Für die erste Phase von Sesam (2005-09) hatten der Schweizerische Nationalfonds und die Universität Basel22,4 Millionen Frankenbereitgestellt, davon sind bisher rund 8 Millionen verbraucht worden.
(kmr.)

Alexander Grob

ist Professor fürEntwick lungs- und Persönlichkeitspsychologiean der Universität Basel, Vorsitzender der Schweizerischen Gesellschaft für Psychologie und Vizedirektor des Projekts Sesam. Sein Forschungsinteresse gilt u. a. der Temperament- und Persönlichkeitsentwicklung vom Säugling- bis ins Erwachsenenalter, und dem Lebenslauf. Grob ist Vater von zwei Kleinkindern.
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Sesam Watch

Beobachtungen und Notizen zum Schweizer NCCR "Sesam", der 3'000 Kinder und ihr Umfeld vom ersten Ultraschallbild an 20 Jahre lang beobachten wollte (vorzeitiger Abbruch: 13.3.08). Autonom, skeptisch, ehrenamtlich. Kontakt: sesamwatch@gmail.com

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