Sesam Tagesthema heute beim "Winterthurer Landbote"
«Sesam» erhitzt die Gemüter
Für seine Forschung an Kindern und Embryonen ist ein grosses Projekt des Nationalfonds in die Kritik geraten. Wissenschafter und Ärzte erhoffen sich jedoch einen grossen Fortschritt für die Behandlung psychischer Krankheiten.
Zu entdecken, was zu seelischer Gesundheit führt: Das ist das ehrgeizige Ziel des Nationalen Forschungsschwerpunktes Sesam (für Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health). 3000 Kinder sollen dafür in den nächsten 20 Jahren wissenschaftlich begleitet werden, und dies bereits ab der 12. Schwangerschaftswoche. Die zentrale Leitung des Projekts liegt bei Professor Jürgen Margraf von der Universität Basel, aber daran beteiligt sind Kliniken, Institute und Forschungseinrichtungen aus dem In- und Ausland.
Der Nationalfonds will Sesam und seine 12 Teilstudien aus verschiedenen Disziplinen (vgl. Kasten) bis 2009 mit 10 Millionen Franken unterstützen, weitere 12 Millionen sollen aus Eigen- und Drittmitteln finanziert werden. (Der Pharmakonzern Roche hat bereits 6 Millionen Franken zugesagt. Auch das missfällt den Gegnern der Studie.) Die Vorarbeiten zu den eigentlichen Untersuchungen laufen offiziell schon seit dem vergangenen Oktober, Ende Februar trat die Leitung des Projekts damit zum ersten Mal an die Öffentlichkeit. Hintergrund der Studie sei die dramatische Zunahme der psychischen Krankheiten wie Depressionen, Angst- und Suchterkrankungen, sagen die beteiligten Fachleute. Die Weltgesundheitsorganisation WHO rechne damit, dass Depressionen im Jahre 2020 nach Herz- und Kreislauferkrankungen die zweithäufigste Ursache schwerer gesundheitlicher Beeinträchtigung und vorzeitiger Sterblichkeit sind. Dass die Ursachen solcher Krankheiten dringend untersucht werden müssen, liegt für die Forscher von Sesam deshalb auf der Hand.
Projekt-Stopp gefordert
Doch gegen das Projekt hat sich erbitterter Widerstand gebildet. 12006 Menschen unterschrieben eine Petition des Basler Appells gegen Gentechnologie und fordern damit nichts weniger, als dass Sesam augenblicklich eingestellt wird. Die Petition richtet sich an die Ethikkommission beider Basel EKBB, die bald darüber beraten soll, ob Sesam sich mit geltenden ethischen Richtlinien vereinbaren lässt. Ohne die Zustimmung der zuständigen Ethikkommissionen dürfen die Untersuchungen nicht beginnen. Ein genauer Beschrieb der Studien liegt der EKBB allerdings bis heute nicht vor. Für die Kritiker ist das ein Grund mehr, der Projektleitung mangelnde Transparenz vorzuwerfen.
Die Leute von Sesam sehen das freilich anders: Wie die einzelnen Studien konkret ablaufen sollen, werde derzeit erst ausgearbeitet. Erst wenn das Vorgehen mit allen Details zu Papier gebracht sei, könnten die Ethikkommissionen informiert werden, und erst wenn die Bewilligungen vorliegen, im Detail die Öffentlichkeit. «Sonst würde uns vielleicht erst recht vorgeworfen, wir würden die Kommissionen übergehen», sagt Daniel Habegger von Sesam.
Ohne direkten Nutzen
Im Zentrum der Kritik steht die Tatsache, dass bei Sesam «fremdnützige Forschung an Kindern» betrieben werden soll, also Forschung, die den beteiligten Kindern keinen unmittelbaren Nutzen bringt. Die Kinder würden somit lediglich instrumentalisiert, sagen die Sesam-Gegner. Das Erbgut der Kinder dürfe schon gar nicht untersucht werden, da sie selbst nicht zustimmen können. Zudem verlangen die Kritiker, dass der Nationalfonds mit der Unterstützung solcher Projekte abwarte, bis das neue Gesetz über die Forschung am Menschen in Kraft getreten ist. Das Gesetz befindet sich bis jetzt erst in Vernehmlassung.
Wenn fremdnützige Forschung an Kindern in der Schweiz verboten wäre, könnte man niemals eine Pisa-Studie durchführen, sagt Daniel Habegger von Sesam. «Das würde heissen: Nur noch therapeutische Forschung.» Die Einwilligung für die Teilnahme an wissenschaftlichen Studien dürften statt der Kinder auch die Eltern erteilen.
Tatsache sei, dass es immer mehr Menschen mit psychischen Krankheiten gibt. «Die häufigsten treten mit etwa 14 Jahren zum ersten Mal auf, entwickeln sich aber viel früher. Wir haben fast keine Kenntnisse über die tatsächlichen Ursachen solcher Erkrankungen. Wenn wir daran nicht forschen würden, wäre das auch eine Diskriminierung der betroffenen Kinder.» Wenn die Wissenschaft nicht versuche, den Faktoren auf den Grund zu kommen, die die psychische Entwicklung positiv oder negativ beeinflussen, werde man seiner gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht, sagt auch Kurt Albermann, Kinderarzt und Kinder- und Jugendpsychiater, Leitender Arzt am Kantonsspital Winterthur (vergleiche nebenstehendes Interview).
Start im Oktober
Wenn es soweit ist, wollen die Forscher in Frauenkliniken unter schwangeren Frauen bei den Routinekontrollen erste Freiwillige für die Studie rekrutieren. Die ersten Untersuchungen sollen an zwei Terminen während der Schwangerschaft und in den Tagen nach der Geburt stattfinden, weitere sind in der 6. Lebenswoche sowie im 6., 12. und 24. Monat vorgesehen. Bei einigen dieser Termine werden auch die Väter und die Grosseltern eingeladen, an der Studie teilzunehmen.
«Keine Nachteile für die Kinder»
Interview mit Kurt Albermann, Ärztlicher Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrums der Kinderklinik Kantonsspital Winterthur. Laut Website von Sesam, nicht Mitglied des Kernteams:
12 006 Menschen haben gegen Sesam eine Petition unterschrieben. Verstehen sie die Bedenken?
Dass zunächst gewisse Bedenken aufkommen, kann man schon verstehen. Andererseits brauchen wir dringend neue Erkenntnisse über die Faktoren, die die psychische Entwicklung positiv oder negativ beeinflussen. Darüber wissen wir bis jetzt relativ wenig. Deshalb ist es wichtig, dass wir solche Forschung betreiben. Vergleichbare Längsschittstudien kennen wir vor allem aus den USA. Es ist aber auch nicht die erste Längsschnittstudie in der Schweiz – da gibt es ja zum Beispiel diejenige des Zürcher Kinderspitals über die kindliche Entwicklung, unter Professor Remo Largo.
Welche Gefahren könnte die Studie für die 3000 Kinder haben, die bei Sesam mitmachen sollen?
Einen Nachteil kann ich daraus nicht ableiten, denn es handelt sich um reine Beobachtungsstudien, es wird nicht in die Entwicklung von Kindern eingegriffen, und die Anonymität bleibt gewahrt. Das Projekt muss ja auch noch den kantonalen Ethikkommissionen vorgelegt werden. So wird sichergestellt, dass solche Bedingungen eingehalten werden.
Was passiert, wenn man erkennt, dass bei einem Kind in der Entwicklung etwas schief läuft?
Dann ergeben sich zusätzliche Möglichkeiten, dagegen etwas zu unternehmen. Etwa indem wir den Kindern und ihren Familien weitere Abklärungen oder Therapien vorschlagen. Die Forscher nehmen selbst keine Therapien vor.
Was sagen Sie zum Vorwurf, die Kinder würden bei Sesam bloss instrumentalisiert?
Der Punkt ist der, dass wir bei Fehlentwicklungen nicht einfach zusehen können, ohne zu versuchen, sie zu erforschen, sonst nehmen wir unsere Verantwortung gegenüber der Gesellschaft nicht wahr. An der Kinderklinik des Kantonsspitals Winterthur haben wir zum Beispiel eine Adipositas-Gruppe, und vergangene Woche haben wir zusammen mit der Hochschule für Soziale Arbeit in Zürich eine Umfrage über Unterstützungsangebote für Kinder psychisch kranker Eltern durchgeführt. Auf beiden Gebieten nimmt die Zahl der Fälle deutlich zu, und keiner kann bisher wirklich sagen, warum das so ist. Auf die Dauer betrachtet ist dies für eine Gesellschaft und für die betroffenen Kinder und Familien eine fatale Entwicklung. Das Sesam-Projekt mit seinen vielen Teilstudien und der grossen Vernetzung kann dazu beitragen, Zusammenhänge aufzuzeigen.
Wo sehen Sie die Grenzen der Studie?
Man darf eine solche Studie nicht überbewerten. Es gibt ja keine 24 Stunden-Video-Überwachung, und man darf Eltern und Kinder nicht überbeanspruchen. Vermutlich braucht es anschliessend noch mehr Studien, um den Ergebnissen weiter auf den Grund zu gehen. Aber es ist immerhin mal ein Anfang.
DIE METHODEN DER FORSCHER
Untersucht wird mit Fragebögen, Interviews und Verhaltensbeobachtungen. Bei biologisch-genetischen Untersuchungen wollen die Forscher zudem nach Genmustern fahnden, die mit psychischer Gesundheit oder Krankheit korrellieren. Die Untersuchungen erlauben laut den Verantwortlichen von Sesam aber nur Aussagen auf der Ebene von Gruppen von Menschen, sie lassen keine Rückschlüsse auf die Erkrankungsrisiken von Einzelpersonen zu. Jeder Fragebogen einer Versicherung über familiäre psychische Belastung sei weitaus aussagekräftiger, betonen die Forscher und sehen darin ein weiteres Argument gegen die Bedenken. Der Zweck der genetischen Gruppenanalysen liege unter anderem darin, Mechanismen zu finden, die für die Aufrechterhaltung psychischer Gesundheit wichtig sind.
Ein Kern und viele Teilstudien
Beim nationalen Forschungsschwerpunkt Sesam handelt es sich um eine prospektive Längsschnittstudie. «Solche Studien sind besonders geeignet, Risiko- und Schutzfaktoren aufzudecken, die die Entwicklung eines Menschen beeinflussen können», schreibt Sesam auf seiner Website. Längsschnittstudie bedeutet, dass die Teilnehmenden über längere Zeit hinweg (für Sesam sind 20 Jahre geplant) wiederholt zur Teilnahme gebeten werden. Die Teilnahme sei freiwillig und könne jederzeit beendet werden, betonen die Forscher von Sesam. In den 12 Teilstudien sollen folgende Faktoren genauer untersucht werden:
Für seine Forschung an Kindern und Embryonen ist ein grosses Projekt des Nationalfonds in die Kritik geraten. Wissenschafter und Ärzte erhoffen sich jedoch einen grossen Fortschritt für die Behandlung psychischer Krankheiten.
Zu entdecken, was zu seelischer Gesundheit führt: Das ist das ehrgeizige Ziel des Nationalen Forschungsschwerpunktes Sesam (für Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health). 3000 Kinder sollen dafür in den nächsten 20 Jahren wissenschaftlich begleitet werden, und dies bereits ab der 12. Schwangerschaftswoche. Die zentrale Leitung des Projekts liegt bei Professor Jürgen Margraf von der Universität Basel, aber daran beteiligt sind Kliniken, Institute und Forschungseinrichtungen aus dem In- und Ausland.
Der Nationalfonds will Sesam und seine 12 Teilstudien aus verschiedenen Disziplinen (vgl. Kasten) bis 2009 mit 10 Millionen Franken unterstützen, weitere 12 Millionen sollen aus Eigen- und Drittmitteln finanziert werden. (Der Pharmakonzern Roche hat bereits 6 Millionen Franken zugesagt. Auch das missfällt den Gegnern der Studie.) Die Vorarbeiten zu den eigentlichen Untersuchungen laufen offiziell schon seit dem vergangenen Oktober, Ende Februar trat die Leitung des Projekts damit zum ersten Mal an die Öffentlichkeit. Hintergrund der Studie sei die dramatische Zunahme der psychischen Krankheiten wie Depressionen, Angst- und Suchterkrankungen, sagen die beteiligten Fachleute. Die Weltgesundheitsorganisation WHO rechne damit, dass Depressionen im Jahre 2020 nach Herz- und Kreislauferkrankungen die zweithäufigste Ursache schwerer gesundheitlicher Beeinträchtigung und vorzeitiger Sterblichkeit sind. Dass die Ursachen solcher Krankheiten dringend untersucht werden müssen, liegt für die Forscher von Sesam deshalb auf der Hand.
Projekt-Stopp gefordert
Doch gegen das Projekt hat sich erbitterter Widerstand gebildet. 12006 Menschen unterschrieben eine Petition des Basler Appells gegen Gentechnologie und fordern damit nichts weniger, als dass Sesam augenblicklich eingestellt wird. Die Petition richtet sich an die Ethikkommission beider Basel EKBB, die bald darüber beraten soll, ob Sesam sich mit geltenden ethischen Richtlinien vereinbaren lässt. Ohne die Zustimmung der zuständigen Ethikkommissionen dürfen die Untersuchungen nicht beginnen. Ein genauer Beschrieb der Studien liegt der EKBB allerdings bis heute nicht vor. Für die Kritiker ist das ein Grund mehr, der Projektleitung mangelnde Transparenz vorzuwerfen.
Die Leute von Sesam sehen das freilich anders: Wie die einzelnen Studien konkret ablaufen sollen, werde derzeit erst ausgearbeitet. Erst wenn das Vorgehen mit allen Details zu Papier gebracht sei, könnten die Ethikkommissionen informiert werden, und erst wenn die Bewilligungen vorliegen, im Detail die Öffentlichkeit. «Sonst würde uns vielleicht erst recht vorgeworfen, wir würden die Kommissionen übergehen», sagt Daniel Habegger von Sesam.
Ohne direkten Nutzen
Im Zentrum der Kritik steht die Tatsache, dass bei Sesam «fremdnützige Forschung an Kindern» betrieben werden soll, also Forschung, die den beteiligten Kindern keinen unmittelbaren Nutzen bringt. Die Kinder würden somit lediglich instrumentalisiert, sagen die Sesam-Gegner. Das Erbgut der Kinder dürfe schon gar nicht untersucht werden, da sie selbst nicht zustimmen können. Zudem verlangen die Kritiker, dass der Nationalfonds mit der Unterstützung solcher Projekte abwarte, bis das neue Gesetz über die Forschung am Menschen in Kraft getreten ist. Das Gesetz befindet sich bis jetzt erst in Vernehmlassung.
Wenn fremdnützige Forschung an Kindern in der Schweiz verboten wäre, könnte man niemals eine Pisa-Studie durchführen, sagt Daniel Habegger von Sesam. «Das würde heissen: Nur noch therapeutische Forschung.» Die Einwilligung für die Teilnahme an wissenschaftlichen Studien dürften statt der Kinder auch die Eltern erteilen.
Tatsache sei, dass es immer mehr Menschen mit psychischen Krankheiten gibt. «Die häufigsten treten mit etwa 14 Jahren zum ersten Mal auf, entwickeln sich aber viel früher. Wir haben fast keine Kenntnisse über die tatsächlichen Ursachen solcher Erkrankungen. Wenn wir daran nicht forschen würden, wäre das auch eine Diskriminierung der betroffenen Kinder.» Wenn die Wissenschaft nicht versuche, den Faktoren auf den Grund zu kommen, die die psychische Entwicklung positiv oder negativ beeinflussen, werde man seiner gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht, sagt auch Kurt Albermann, Kinderarzt und Kinder- und Jugendpsychiater, Leitender Arzt am Kantonsspital Winterthur (vergleiche nebenstehendes Interview).
Start im Oktober
Wenn es soweit ist, wollen die Forscher in Frauenkliniken unter schwangeren Frauen bei den Routinekontrollen erste Freiwillige für die Studie rekrutieren. Die ersten Untersuchungen sollen an zwei Terminen während der Schwangerschaft und in den Tagen nach der Geburt stattfinden, weitere sind in der 6. Lebenswoche sowie im 6., 12. und 24. Monat vorgesehen. Bei einigen dieser Termine werden auch die Väter und die Grosseltern eingeladen, an der Studie teilzunehmen.
«Keine Nachteile für die Kinder»
Interview mit Kurt Albermann, Ärztlicher Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrums der Kinderklinik Kantonsspital Winterthur. Laut Website von Sesam, nicht Mitglied des Kernteams:
12 006 Menschen haben gegen Sesam eine Petition unterschrieben. Verstehen sie die Bedenken?
Dass zunächst gewisse Bedenken aufkommen, kann man schon verstehen. Andererseits brauchen wir dringend neue Erkenntnisse über die Faktoren, die die psychische Entwicklung positiv oder negativ beeinflussen. Darüber wissen wir bis jetzt relativ wenig. Deshalb ist es wichtig, dass wir solche Forschung betreiben. Vergleichbare Längsschittstudien kennen wir vor allem aus den USA. Es ist aber auch nicht die erste Längsschnittstudie in der Schweiz – da gibt es ja zum Beispiel diejenige des Zürcher Kinderspitals über die kindliche Entwicklung, unter Professor Remo Largo.
Welche Gefahren könnte die Studie für die 3000 Kinder haben, die bei Sesam mitmachen sollen?
Einen Nachteil kann ich daraus nicht ableiten, denn es handelt sich um reine Beobachtungsstudien, es wird nicht in die Entwicklung von Kindern eingegriffen, und die Anonymität bleibt gewahrt. Das Projekt muss ja auch noch den kantonalen Ethikkommissionen vorgelegt werden. So wird sichergestellt, dass solche Bedingungen eingehalten werden.
Was passiert, wenn man erkennt, dass bei einem Kind in der Entwicklung etwas schief läuft?
Dann ergeben sich zusätzliche Möglichkeiten, dagegen etwas zu unternehmen. Etwa indem wir den Kindern und ihren Familien weitere Abklärungen oder Therapien vorschlagen. Die Forscher nehmen selbst keine Therapien vor.
Was sagen Sie zum Vorwurf, die Kinder würden bei Sesam bloss instrumentalisiert?
Der Punkt ist der, dass wir bei Fehlentwicklungen nicht einfach zusehen können, ohne zu versuchen, sie zu erforschen, sonst nehmen wir unsere Verantwortung gegenüber der Gesellschaft nicht wahr. An der Kinderklinik des Kantonsspitals Winterthur haben wir zum Beispiel eine Adipositas-Gruppe, und vergangene Woche haben wir zusammen mit der Hochschule für Soziale Arbeit in Zürich eine Umfrage über Unterstützungsangebote für Kinder psychisch kranker Eltern durchgeführt. Auf beiden Gebieten nimmt die Zahl der Fälle deutlich zu, und keiner kann bisher wirklich sagen, warum das so ist. Auf die Dauer betrachtet ist dies für eine Gesellschaft und für die betroffenen Kinder und Familien eine fatale Entwicklung. Das Sesam-Projekt mit seinen vielen Teilstudien und der grossen Vernetzung kann dazu beitragen, Zusammenhänge aufzuzeigen.
Wo sehen Sie die Grenzen der Studie?
Man darf eine solche Studie nicht überbewerten. Es gibt ja keine 24 Stunden-Video-Überwachung, und man darf Eltern und Kinder nicht überbeanspruchen. Vermutlich braucht es anschliessend noch mehr Studien, um den Ergebnissen weiter auf den Grund zu gehen. Aber es ist immerhin mal ein Anfang.
DIE METHODEN DER FORSCHER
Untersucht wird mit Fragebögen, Interviews und Verhaltensbeobachtungen. Bei biologisch-genetischen Untersuchungen wollen die Forscher zudem nach Genmustern fahnden, die mit psychischer Gesundheit oder Krankheit korrellieren. Die Untersuchungen erlauben laut den Verantwortlichen von Sesam aber nur Aussagen auf der Ebene von Gruppen von Menschen, sie lassen keine Rückschlüsse auf die Erkrankungsrisiken von Einzelpersonen zu. Jeder Fragebogen einer Versicherung über familiäre psychische Belastung sei weitaus aussagekräftiger, betonen die Forscher und sehen darin ein weiteres Argument gegen die Bedenken. Der Zweck der genetischen Gruppenanalysen liege unter anderem darin, Mechanismen zu finden, die für die Aufrechterhaltung psychischer Gesundheit wichtig sind.
Ein Kern und viele Teilstudien
Beim nationalen Forschungsschwerpunkt Sesam handelt es sich um eine prospektive Längsschnittstudie. «Solche Studien sind besonders geeignet, Risiko- und Schutzfaktoren aufzudecken, die die Entwicklung eines Menschen beeinflussen können», schreibt Sesam auf seiner Website. Längsschnittstudie bedeutet, dass die Teilnehmenden über längere Zeit hinweg (für Sesam sind 20 Jahre geplant) wiederholt zur Teilnahme gebeten werden. Die Teilnahme sei freiwillig und könne jederzeit beendet werden, betonen die Forscher von Sesam. In den 12 Teilstudien sollen folgende Faktoren genauer untersucht werden:
- ob familiäre Risikofaktoren frühzeitig günstig beeinflusst werden können, damit sich die Kinder gesund entwickeln
- wie es sich auf die Kinder auswirkt, wenn Mütter vor der Geburt besonderen Belastungen ausgesetzt sind, oder wenn die Mütter selbst unter psychischen Krankheiten leiden
- welche Rolle das Zusammenspiel von Genen und Umwelt spielt
- welche Folgen es haben kann, wenn Eltern ihre Kinder vernachlässigen
- wie frühe Lebensumstände chemische Vorgänge im Gehirn, sogenannte dopaminerge Funktionen, beeinflussen können
- wie sich gesellschaftliche Einflüsse auf die familiäre Situation und die Gesundheit von Kindern auswirken
- wie die Mütter die Geburt ihres Kindes verarbeiten, wie sich die Väter an ihre neue Aufgabe anpassen und wie sich das Verhältnis der Eltern untereinander auf das Kind auswirkt
- wie die Regulation des autonomen Nervensystems und die psychosoziale Entwicklung des Kindes zusammenhängen.
patpatpat - 4. Apr, 16:22