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Aargauer Zeitung: "Margraf...
Bis vor einigen Monaten war unklar, ob Jürgen Margraf...
sesaminput - 21. Nov, 10:21
Geht Margraf doch nicht...
Jürgen Margraf habe sich noch nicht endgültig festgelegt,...
sesaminput - 21. Nov, 10:18
interessante Info zur...
Renato L. Galeazzi hat das Staatsexamen 1968 in Bern...
so nicht - 16. Okt, 18:25
NZZ-Leserbrief 13.8.09,...
Das Papier der Arbeitsgruppe «Lesson learned» (leider...
sesaminput - 16. Okt, 13:32
"Sesam" heisst auf Englisch...
Was in der Schweiz mit 3'000 Kindern scheiterte, soll...
sesaminput - 9. Jul, 08:26

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Samstag, 24. Juni 2006

Sesamunterlagen bei der Ethikkommission

Sesam notiert in seiner Chronik, die nur als .pdf-File vorliegt, dass am 12. Juni 2006 die Unterlagen über die Vorstudien der Ethikkommission beider Basel zur Begutachtung eingereicht worden seien:
12. Juni 2006 Einreichung der Ethik-Anträge für die Vorstudien an die Ethikkommission beider Basel (EKBB).
Beim Lesen stirnrunzelnd gedacht: Reicht man bei einer Ethikkommission tatsächlich "Ethik-Anträge" für Studien ein? Und die spricht dann Ethik zu, so wie beim Stipendien-Antrag die Stipendienkommission???

Donnerstag, 22. Juni 2006

baz: Leserbrief

Bezug nehmend auf: "Forschung für Menschen: Für uns alle" in der Ausgabe vom 16. 6. 06:

Vorhandenes Wissen nutzen

Das Projekt «Sesam» will 3000 Kinder vorgeburtlich und bis zum 20. Lebensjahr untersuchen, um die Entstehung von psychischer Gesundheit besser zu verstehen. Müssen wir wirklich noch 20 Jahre forschen, um herauszufinden, warum die IV-Renten aufgrund psychischer Erkrankungen so stark ansteigen? Wir wissen sehr genau, dass die erhöhten Anforderungen am Arbeitsplatz und monate- und jahrelange Arbeitslosigkeit zu psychosomatischen und psychischen Erkrankungen führen. Der Verlust der biografischen Zukunftsmöglichkeiten der Erkrankten ist die Erklärung für die Zunahme der IV-Berentungen in den letzten Jahren. Brauchen wir ausserdem Forschung, um herauszufinden, wie wichtig die Familie für die psychische Entwicklung und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen ist? Sie brauchen Bezugspersonen, die über viele Jahre für sie da sind. Um dies zu ermöglichen, brauchen wir eine Politik, die Familien mit Kindern finanziell entlastet und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer ermöglicht. Dringender, als weiter zu forschen, ist es, vorhandenes Wissen für die Planung griffiger Massnahmen zu nutzen. Damit kann die psychische Gesundheit des Menschen rasch und nachhaltig verbessert werden.

Martin Haug, Oberwil

Mittwoch, 21. Juni 2006

Sesamsite über Podiumsdiskussion

Barbara Glättli, die Mediensprecherin von Sesam, fasst auf ihrer Site zusammen, wie die Podiumsveranstaltung über dasProjekt am 31. Mai abgelaufen ist.

Sesam sucht Doktoranden

Aus den Stellenanzeigen auf der Site der Fakultät für Psychologie:

Im Rahmen des vom SNF geförderten Nationalen Forschungsschwerpunktes “Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health“ (sesam) suchen wir ab 1. Oktober 2006

Doktoranden (100 %)

Das Vertragsverhältnis ist auf drei Jahre befristet. (...)

Den Doktoranden wird die Möglichkeit geboten, in sesam unter individueller Betreuung im Rahmen eines projektspezifischen Nachwuchsförderprogramms, welches u.a. Kolloquien, Journal Clubs, interdisziplinäre Workshops und Summer schools umfasst, ihre Promotion anzufertigen.

Aufgaben:

  • Mithilfe bei der Rekrutierung von schwangeren Frauen
  • Vorbereitung der Datenerhebung, Erstellung und Entwicklung der Untersuchungsinstrumente
  • Durchführen von Pilotstudien
  • Durchführen der Datenerhebung
  • Mithilfe bei der Koordination des Studienablaufes
  • Mitwirkung bei der Datenanalyse und Publikation der Ergebnisse
  • Präsentation der Forschungsergebnisse auf nationalen und internationalen Tagungen und Kongressen

Voraussetzungen:
  • Qualifizierter Hochschulabschluss in Psychologie oder in angrenzenden wissenschaftlichen Disziplinen
  • Ausgeprägtes Interesse an einer wissenschaftlichen Laufbahn
  • Fundierte Kenntnisse der Methodologie empirischer Forschung und der Statistik
  • Erfahrung in der selbständigen Durchführung empirischer Studien (Rekrutierung, Handling von Datensätzen, Datenauswertung, etc.)
  • Sehr gute Englischkenntnisse
  • Von Vorteil: Französischkenntnisse
  • Räumliche und zeitliche Flexibilität
  • Hohe Stressresisten

Bewerbungen sind bis spätestens 15. Juli 2006 (...)

Montag, 19. Juni 2006

Sesam in der FAZ am Sonntag

Sabine Löhr schrieb gestern in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung über Sesam:

Die beste aller Welten für das Kind

„Steh auf!“ „Ich kann nicht.“ - „Geh einfach mal raus!“ „Ich kann nicht.“-“Hör auf zu heulen!“ „Ich kann nicht.“ - „Zieh dich an!“ „Ich kann nicht.“ - „Stell dich nicht so an!“ „Tu ich nicht.“ (Extrem daneben auch: „Lach doch mal!“)

Wenn das Leben bloß so einfach wäre, wie sich Menschen ohne Depression das vorstellen. Man versteckt sich nicht aus Koketterie hinter diesem dunklen Vorhang, um irgendwann fröhlich wieder hervorzuspringen. Depression ist trotz Brooke Shields oder Sebastian Deisler immer noch tabuisiert, Angststörungen werden als seelische Wehwehchen diffamiert. Die Folgen der psychischen Erkrankung sind aber gravierend: Bis zu 70 Prozent der Depressionsgeplagten leiden unter Selbstmordgedanken, traurige 30 Prozent versuchen sich an der Umsetzung. Psychische Störungen werden laut WHO bis 2020 zweithäufigster Grund vorzeitiger Sterblichkeit und massiver Lebensbeeinträchtigung sein. Vielleicht ein Grund, warum Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Bekämpfung von depressiven Erkrankungen als nationales Gesundheitsziel ausgerufen hat.

„Sesam“

Einen echten Schritt in diese Richtung will aber die Schweiz gehen. Sie finanziert als nationalen Forschungsschwerpunkt das Großprojekt „Sesam“ (“Swiss etiological study of adjustment and mental health“). Diese über 20 Jahre geplante Dreigenerationenstudie will an 3000 Familien untersuchen, wie das Zusammenwirken unterschiedlicher sozialer, psychologischer, biologischer und genetischer Faktoren die Gesundheit der Psyche beeinflußt.

Fortsetzung: siehe Kommentar

Sonntag, 18. Juni 2006

NZZ am Sonntag: Leserbriefe

Die Briefe reagieren auf den Artikel «Uns geht es um das Zusammenspiel von Erbe und Umwelt» vom letzten Sonntag, dem 11. Juni

Seit mehr als einem Jahr werden uns die hochtrabenden Ziele von «Sesam» mit immer der gleichen Powerpoint-Präsentation vor Augen geführt. Getan hat sich bis heute wenig. Viel öffentliches Geld wurde und wird ausgegeben, bewilligt ist noch immer kein einziges Teilprojekt der Studie. Das grösste Handicap von «Sesam», nämlich die klinische Forschung an Kindern, die selber keinen Nutzen von dieser Forschung haben werden, steht nach wie vor ungelöst im Raum; und die Speichelproben, die man den Säuglingen abzwacken will und die zweifellos den Grundstein für eine weitreichende Biobank legen sollen, möchte man bei «Sesam» als bedeutungslos am liebsten unter den Teppich kehren. Wir alle warten gespannt auf das Urteil der kantonalen Ethikkommission, das Nadelöhr, das auch von «Sesam» passiert werden muss.

Pascale Steck, Geschäftsführerin, Basler Appell gegen Gentechnologie

Das von Jürgen Margraf geleitete Forschungsprojekt «Sesam» ist von grosser Bedeutung für die verschiedensten Bestrebungen im Dienste der psychischen Gesundheit und damit der Gesundheitsförderung allgemein. Nicht zuletzt in der Suchtproblematik gehen die Meinungen über die wirksamsten Wege zu Prävention und Therapie auseinander. Wie können wir verhindern, dass junge Menschen in Identitätskrisen Autowettrennen veranstalten oder bei Liebeskummer mit dem Griff zur Flasche ihr Leben und dasjenige von Mitmenschen aufs Spiel setzen? Gibt es Möglichkeiten, solchen Menschen fehlende Perspektiven zu geben? Albert Schweitzer hat das Wort der Ehrfurcht vor dem Leben geprägt. Wichtig ist eine Ethik der umfassenden Ehrfurcht vor dem Leben. Sie sollte nicht behindert oder gefährdet werden durch einseitige Kämpfe für Einzelwerte.

Walter Schmid, Frauenfeld

Freitag, 16. Juni 2006

baz Forumsbeitrag: "Forschung für Menschen"

Autor: Lukas Richterich, Dr. phil., Fachpsychologe für Psychotherapie FSP, S. 32:

«Meine Mutter war zwar immer anwesend, aber sie war doch nie für mich da. Heute weiss ich, dass sie schwer depressiv war. Als Kind verstand ich das nicht. Und sie auch nicht. Sie wusste gar nicht, dass sie krank war.» Psychische Störungen verursachen immenses Leid für betroffene Menschen und ihre Familien. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten hören davon jeden Tag. Psychische Störungen kann man heute behandeln. Psychotherapeutisch und psychopharmakologisch. Dank der Forschung.
Wir verstehen aber noch viel zu wenig, wie psychische Störungen entstehen und welche Faktoren für die gesunde psychische Entwicklung verantwortlich sind. Deshalb bin ich von der Idee des Projekts «Sesam» (Swiss Etiological Study of Adjustment an Mental Health) begeistert. «Sesam» will die komplexen Ursachen aufdecken, die zu einer gesunden psychischen Entwicklung über die Lebensspanne führen. Erfreulich ist, dass die psychologische Fakultät unserer Uni federführend an diesem nationalen Forschungsschwerpunkt beteiligt ist.
Fassungslos verfolge ich, welche Gegnerschaft «Sesam» erwächst. Wie kommt es, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit schlimmsten Verdächtigungen, ideologiebeladenen Vorwürfen und grotesken Vorurteilen angegriffen werden, wenn sie ein drängendes gesellschaftliches Problem erforschen wollen?
Menschen orientieren sich in der Welt mittels ihrer Überzeugungen. So sind wir konstruiert, sagt die psychologische Forschung. Religiöse und ideologische Glaubenssysteme geben Orientierung und Halt, haben aber auch ein schädliches Potenzial. Dafür genügt ein Blick in die (europäische) Geschichte. Irrationalität ist gefährlich. Es ist verheerend, um ein Beispiel zu nennen, wenn in Südafrika Politiker öffentlich bezweifeln, dass Aids durch ein Virus verursacht wird. Verheerend auch, wenn Menschen in verantwortungsvollen Positionen Ängste vor wissenschaftlicher Forschung schüren. Missbrauch von Forschung wird heute durch gesellschaftliche Kontrollsysteme verhindert.
Die wissenschaftlichen Leistungen der vergangenen Jahrhunderte haben uns in vielen Bereichen Entwicklung, Wohlstand und Fortschritt gebracht. Aber die modernen Lebensbedingungen sind für die psychische Gesundheit problematisch. Wir müssen dringend mehr über die Faktoren wissen, die uns psychisch gesund erhalten.
Rauchen während der Schwangerschaft ist für das werdende Kind schädlich. Punkt. Das ist keine Glaubensfrage. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Wer würde es heute auch ernsthaft bezweifeln?
Wir brauchen mehr, nicht weniger Forschung am Menschen. Gerade im Bereich der psychischen Gesundheit. Das ist für unsere Zukunft lebensnotwendig. Wie sagte doch Kant vor 250 Jahren: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Aufklärung tut immer noch Not! Auch und gerade über Zusammenhänge und Bedingungen für die psychische Gesundheit. Dafür braucht es Projekte wie «Sesam».

Donnerstag, 15. Juni 2006

Sesam sucht

Aus den Stelleninseraten auf der Site der Fakultät für Psychologie:

NFS sesam: DoktorandInnen/StipendiatInnenstellen

Im Rahmen eines Teilprojektes des vom Schweizer Nationalfonds geförderten Nationalen Forschungsschwerpunktes “Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health (sesam)“ suchen wir ab 1. Oktober 2006 zwei DoktorandInnen/StipendiatInnenstellen (100 %)
(...)
Aufgaben im Rahmen der Doktorarbeit:
• Mithilfe bei der Rekrutierung von schwangeren Frauen
• Vorbereitung der Datenerhebung, Erstellung und Entwicklung der Untersuchungsinstrumente
• Durchführen der Datenerhebung
• Mithilfe bei der Koordination des Studienablaufes
• Datenanalyse und Publikation der Ergebnisse
• Dissertation
• Präsentation der Forschungsergebnisse auf nationalen und internationalen Tagungen und Kongressen

Voraussetzungen:
• Qualifizierter Hochschulabschluss in Psychologie oder in angrenzenden wissenschaftlichen Disziplinen
• Interesse an psychobiologischen Fragestellungen und an einer wissenschaftlichen Laufbahn
• Fundierte Kenntnisse der Methodologie empirischer Forschung und der Statistik
• Ein Abschluss in einem Heil- oder Pflegeberuf (z.B. Krankenschwester oder Hebamme) ist von Vorteil, nicht aber Voraussetzung
• Sehr gute Englischkenntnisse
• Von Vorteil: Französischkenntnisse
• Räumliche und zeitliche Flexibilität
• Hohe Belastbarkeit

Montag, 12. Juni 2006

Margraf in NZZ am Sonntag: "das Zusammenspiel von Erbe und Umwelt"

NZZ am Sonntag, 11.06.2006, Ressort Wissen, Autorin: Irene Dietschi, Hervorhebungen durch Sesam Watch

«Uns geht es um das Zusammenspiel von Erbe und Umwelt»

Jürgen Margraf leitet das Forschungsprojekt «Sesam»: 3000 Kinder sollen vorgeburtlich und bis zum 20. Lebensjahr untersucht werden, um die Entstehung von psychischer Gesundheit besser zu verstehen. Gentech-Gegner werfen dem Projekt «eugenische Tendenzen» vor. Der Angegriffene antwortet.

NZZ am Sonntag: Herr Professor Margraf, warum braucht es eine Studie, welche die Entstehung psychischer Erkrankungen untersucht?

Jürgen Margraf: Psychische Gesundheit beeinflusst unser Wohlbefinden mehr als die körperliche. Störungen der psychischen Gesundheit treten im Lauf des Lebens bei jedem zweiten Menschen einmal auf, das heisst, jede Familie ist mehr oder minder betroffen. Psychische Gesundheit ist auch mit hohen Kosten verbunden, und es geht um die Frage, wie man den Betroffenen besser hilft. In der Schweiz gibt es jährlich etwa dreimal so viele Suizide wie Verkehrstote - rund 1500 gegenüber 500 -, und wenn man vergleicht, was aufgewendet wird, um Verkehrsunfälle beziehungsweise Suizide zu reduzieren, kommt man auf ein krasses Missverhältnis. Verkürzt gesagt sind es Milliarden gegen ein paar Telefon-Hotlines. Das ist nicht gerechtfertigt und wird dem Leiden der Angehörigen nicht gerecht.

NZZ am Sonntag: Was hat das Projekt «Sesam» also vor?

Jürgen Margraf: «Sesam» möchte drei Dinge tun: Erstens herausfinden, welches die Schutzfaktoren sind, die psychische Gesundheit bewirken. Diese werden in der Forschung viel zu wenig berücksichtigt, deshalb sind sie unser erstes Ziel. Das zweite: Wir wollen die kritischen Konstellationen im Lebenskontext verstehen, und zwar in der ganzen Bandbreite, von der Biologie bis zur Soziologie. Wir isolieren nicht einzelne Faktoren, sondern es geht um das Zusammenspiel. Denn es gibt viele Gründe für die Annahme, dass sich die verschiedenen Faktoren in ihrer Gesamtheit gegenseitig beeinflussen. Der dritte Punkt schliesslich ist eigentlich der Sinn des Ganzen: Was wir tun, soll Grundlagen liefern für ein besseres Verständnis, aber auch für eine bessere Prävention und Therapie psychischer Störungen.

NZZ am Sonntag: Nehmen psychische Erkrankungen zu?

Jürgen Margraf: Die Bedeutung psychischer Störungen nimmt zu - was nicht automatisch heisst, dass auch die Häufigkeit steigt. Wenn etwa Infektionskrankheiten seltener werden, steigt die relative Bedeutung anderer Krankheiten. Ein anderer Aspekt: Die ökonomischen Bedingungen sind härter geworden, das heisst, Firmen können es sich weniger leisten, «schwierige» Angestellte an Bord zu behalten. Deshalb haben wir einen sehr starken Anstieg der IV-Renten aufgrund psychischer Störungen. Ob Depressionen häufiger geworden sind, ist unter Experten umstritten, mit Sicherheit zugenommen haben aber die Angststörungen. Ursachen sind unter anderem die angestiegenen Scheidungsraten, das Auseinanderbrechen der traditionellen Familienstrukturen. Das betrifft vor allem Kinder: Das durchschnittliche Kind heute - nicht das kranke! - hat einen höheren Angstwert als das durchschnittliche kinderpsychiatrisch hospitalisierte Kind in den 50er Jahren.

NZZ am Sonntag: Gegen «Sesam» hat sich heftiger Widerstand formiert. Der Basler Appell gegen Gentechnologie will das Projekt sistieren mit dem Argument, es werde «fremdnützige Forschung an Kindern» betrieben, und das sei unzulässig.

Jürgen Margraf: Das ist ein ganz problematischer Begriff, den ich so nicht stehen lassen kann. Es ist in der Forschung die Regel, dass es keinen direkten Nutzen gibt für denjenigen, der heute an einer Studie teilnimmt. Auch das geplante Humanforschungsgesetz hält diesen Grundsatz fest. Man macht Forschung für einen Erkenntnisgewinn, der dann anderen Menschen zugute kommt. Wenn man das verbieten möchte, muss man sich im Klaren sein, dass man den allergrössten Teil von Forschung verbietet. Die Behauptung, «fremdnützige» Forschung bei Kindern sei verboten, ist deshalb klar falsch. Denken Sie an Pisa oder an die Leukämie-Forschung: Von Pisa profitieren künftige Schülergenerationen. Und heute können drei Viertel aller an Leukämie erkrankten Kinder geheilt werden, weil damals Eltern ihre Einwilligung gaben, dass das Blut ihrer Kinder untersucht wurde. Mit welchem Recht sollen bei der Erforschung psychischer Krankheiten Einschränkungen gemacht werden, die man bei körperlichen Krankheiten nicht macht?

NZZ am Sonntag: Dem Projekt werden sogar eugenische Tendenzen vorgeworfen. Sowohl Ihr Kollege, der Psychoanalytiker Theodor Cahn, wie auch der Ethiker Klaus Peter Rippe äusserten sich entsprechend.

Jürgen Margraf: Das ist ein ungeheurer Vorwurf. Herrn Rippe habe ich zum persönlichen Gespräch eingeladen, um ihn aus erster Hand zu informieren. Wie auch übrigens den Basler Appell, der aber verlauten liess, man komme nur zusammen mit der Presse. Der Vorwurf wird den Opfern der Nazi-Verbrechen in keiner Weise gerecht, er kann sogar als Verharmlosung der Untaten wirken. Er wird mit keinerlei Belegen untermauert, es handelt sich offenbar um die simple Analogie: genetische Untersuchungen gleich Eugenik - bloss weil bei einem der Teilprojekte ein DNA-Test verwendet wird. Das ist mehr als fragwürdig. Uns geht es ja ums Zusammenspiel von Erbe und Umwelt, nicht um «die Gene».

NZZ am Sonntag: Man wirft Ihnen auch ein reduktionistisches Menschenbild vor.

Jürgen Margraf: Das ist auch so ein Kampfbegriff: Man versucht den anderen zu diskreditieren, indem man ihm ein reduktionistisches Menschenbild vorwirft. Wo soll das aber herkommen? Wo sind die Belege, dass wir technokratisch, biologistisch oder was auch immer sind? Wir haben bei «Sesam» Biologie dabei - ist man deswegen biologistisch? Wir haben Soziologie dabei - sind wir deswegen sozialistisch? Oder Psychologie - sind wir also psychologisierend? Es ist ein Witz. Wir haben zum Beispiel den führenden Medizinsoziologen Johannes Siegrist an Bord, wir mussten ihn im Ausland rekrutieren - und müssen uns nun anhören, wir seien zu wenig sozial! Wäre der Begriff nicht so abgedroschen, würde ich sagen: «Sesam» ist ganzheitlich.

NZZ am Sonntag: Zur Studie: Bei «Sesam» ist die Rede von einer «Kernstudie» und zwölf Teilstudien. Was wird da genau erforscht?

Jürgen Margraf: Die Kernstudie ist die Basis für alle Teilstudien: Wir möchten 3000 Familien in Hinblick auf Entwicklung und psychische Gesundheit begleiten, nicht nur die Kinder, sondern auch Eltern und Grosseltern. Unser Ansatz ist interdisziplinär und methodisch divers. Die Informationen, die dort erhoben werden, sind die Basis für Teilstudien, in denen Teilaspekte untersucht werden, zum Beispiel das elterliche Gedächtnis: Wie detailgetreu behalten Eltern Lebensereignisse und Verhaltensweisen ihres Kindes in Erinnerung? Eine Teilstudie untersucht die Blinzelreaktionen von Säuglingen: Gibt es eine Verbindung zu späterem Suchtverhalten? Eine weitere Teilstudie hier in Basel geht der Frage nach, ob und wie sich Stress während der Schwangerschaft auf die Entwicklung des Kindes auswirkt.

NZZ am Sonntag: Wie soll diese Untersuchung vonstatten gehen?

Jürgen Margraf: Es wird vor allem das Verhalten des Kindes beobachtet, und zwar schon im Mutterleib, bei der routinemässigen Ultraschall-Untersuchung in der 20. Schwangerschaftswoche. Wie aktiv ist das Kind? Welchen Schlaf-Wach- Rhythmus hat es? Die Gruppe um Wolfgang Holzgreve, der die Studie leitet, möchte im Grunde das Qualitätsmanagement des Ultraschalls verbessern. Die Forschungsfrage von «Sesam» ist dabei ein Zusatznutzen.
In einem anderen Projekt wird mit Hilfe des Computers ein Elektrokardiogramm des ungeborenen Kindes erstellt. Auf dieser Basis können wir die vegetative Labilität untersuchen - einen der klassischen Risikofaktoren für den ganzen Bereich von affektiven und Angststörungen, auch Sucht. Diese Werte bringen wir dann zusammen mit dem Stress-Erleben der Mutter während der Schwangerschaft und können so sehen, wie sich das später beim Kind auswirkt. Entwickelt es Verhaltensauffälligkeiten, welche Faktoren helfen, welche schaden möglicherweise? Das ist sehr spannend.

NZZ am Sonntag: Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern können doch verschiedenste Ursachen haben. Und je mehr Faktoren an einem Phänomen beteiligt sind, desto schwieriger wird es, sie auseinander zu halten, das heisst, eine statistische Signifikanz für einen einzelnen Faktor zu finden.

Jürgen Margraf: Man kann die Faktoren für den Einzelfall nicht auseinander halten. Wir können höchstens über Gruppen Aussagen machen, denn bei grossen Gruppen ergibt sich im Durchschnitt ein aussagekräftiges Resultat. Wir können jedoch keine individuellen Risikoprofile herausgeben. Das wäre auch ethisch hoch problematisch. Wir arbeiten nur mit anonymisierten Daten und nur auf der Ebene von Gruppen.

NZZ am Sonntag: Auf der Homepage von «Sesam» werden bereits interessierte Familien angesprochen, die im Frühling 2007 ein Kind erwarten. Glauben Sie wirklich, dass Sie zu jenem Zeitpunkt starten können? Es heisst, die kantonalen Ethikkommissionen seien nicht involviert worden.

Jürgen Margraf: Das ist auch so ein Vorwurf, der jeglicher Grundlage entbehrt, die Ethikkommission beider Basel etwa war von Anfang an über «Sesam» informiert. Ich rechne nicht mit Schwierigkeiten, sondern bin zuversichtlich, dass wir plangemäss starten können.

NZZ am Sonntag: Wie wollen Sie die 3000 Familien 20 Jahre lang bei der Stange halten? Was bekommen die für ihren Aufwand?

Jürgen Margraf: Sie sprechen die wichtigste Frage von Langzeitstudien an: Wie viele Studienteilnehmer bleiben langfristig dabei? Wenn viele dabeibleiben, sind die Aussagen gut verallgemeinerbar; wenn viele wegbleiben, bleibt unklar, welche Selektionsprozesse mit im Spiel sind, und man kann die Erkenntnisse nicht mehr verallgemeinern. Die Schweiz hat bei Langzeitstudien ganz hohe Erfolgswerte, wie sie in anderen Ländern nie realisiert wurden. Die Langzeitstudie von Herrn Schöpf zur Schizophrenie hatte nach 22 Jahren eine Wiederteilnahmerate von 92 Prozent, die Zürcher Longitudinalstudien von Remo Largo weisen einen ähnlich hohen Wert auf. Die Schweiz hat eine stabile Bevölkerung, die gegenüber Forschung im Allgemeinen positiv eingestellt ist, und wenn die Untersuchungen interessant sind, dann kommt man gerne wieder. Eine weitere Rolle spielt, ob die Untersuchungen aufwendig und invasiv sind. Das ist bei «Sesam» nicht der Fall. Über Blut- und Speichelproben hinaus haben wir keine invasiven Untersuchungen. Unser Ziel ist es, dass am Ende der Studie 70 Prozent noch dabei sind. Das ist realistisch.
Forschungsschwerpunkt «Sesam»

Der Nationale Forschungsschwerpunkt «Sesam» (Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health) hat sich der Erforschung psychischer Gesundheit verschrieben. Dabei sollen 3000 Kinder ab der 12. Schwangerschaftswoche bis zum 20. Altersjahr regelmässig untersucht und befragt werden. «Sesam» besteht aus 1 Kern- und 12 Teilstudien, an denen Forschende der Universitäten Basel, Bern, Freiburg, Zürich und Trier (D) beteiligt sind. Vorgeburtlich sind (nichtinvasive) Ultraschalluntersuchungen geplant, bei der Geburt werden Speichelproben für einen DNA-Test entnommen; ein einziges der 12 Teilprojekte befasst sich mit der Genetik («Der Einfluss genetischer Faktoren auf Entwicklung und Verlauf psychischer Erkrankungen»). Andere Teilstudien widmen sich etwa der Bedeutung der Grosseltern oder den gesellschaftlichen Einflüssen auf die Familie. Dafür sind Interviews mit den Grosseltern, Eltern und Kindern vorgesehen. Von «Sesam» erhoffen sich die Forschenden Einsicht darüber, was zur psychischen Gesundheit beiträgt, welche Faktoren Depressionen und Angststörungen begünstigen. Leiter des Projektes ist Jürgen Margraf, 50, Professor für klinische Psychologie und Psychotherapie in Basel. Das Budget der ersten Phase bis 2008 beträgt 23 Millionen Franken.
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Sesam Watch

Beobachtungen und Notizen zum Schweizer NCCR "Sesam", der 3'000 Kinder und ihr Umfeld vom ersten Ultraschallbild an 20 Jahre lang beobachten wollte (vorzeitiger Abbruch: 13.3.08). Autonom, skeptisch, ehrenamtlich. Kontakt: sesamwatch@gmail.com

Grundsätze



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