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Dienstag, 23. Januar 2007

NZZ heute über sesam: "Verzögerungen und Unsicherheiten..."

In der Neue Zürcher Zeitung heute auf Seite 13:

Warten auf «Sesam»

Verzögerungen und Unsicherheiten bei Forschungsprojekt zur psychischen Entwicklung von Kindern

Der Forschungsschwerpunkt «Sesam» an der Universität Basel, der die psychische Entwicklung untersucht, erfährt Verzögerungen. Zu juristischen Problemen kommen solche der Kommunikation hinzu.

hof. Versprochen hatte der Schweizerische Nationalfonds bei der Ankündigung des Nationalen Forschungsschwerpunkts «Sesam» vor gut einem Jahr «Forschung von höchster Qualität auf internationalem Spitzenniveau». Der Nationalfonds lässt sich das gelobte Projekt einiges kosten: 10, 2 Millionen Franken trägt er an die Gesamtkosten der ersten Projektphase bis 2009 von 22,8 Millionen Franken bei. Die Forscher von «Sesam» (Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health) wollen 3000 Kinder ab der zwölften Schwangerschaftswoche und ihre Familien während eines Zeitraums von 20 Jahren begleiten. Derart wollen sie ergründen, was die Verschiedenartigkeit individueller psychischer Entwicklung ausmacht. Man erhofft sich davon etwa Resultate für die Depressionsforschung. Angesiedelt ist «Sesam» an der Universität Basel. Angesichts der Eigenwerbung und der Höhe des mit Steuergeldern alimentierten Budgets müsste man annehmen, dass die Verantwortlichen möglichst umfassend über den Stand der Dinge informieren.

Verwirrliche Kommunikation

Doch es macht den Anschein, dass man die Konflikte, die rund um «Sesam» entstanden sind, auf den Raum Basel beschränkt wissen möchte. So informierten zwar am vergangenen Donnerstag die Projektleitung und der Präsident des Nationalen Forschungsrates, Dieter Imboden, über ein von «Sesam» eingeholtes Rechtsgutachten, das insbesondere zur Frage der juristischen Zulässigkeit von Forschung an Kindern Stellung nimmt. Man lud zu einem ersten Teil der mehrstündigen Veranstaltung einige Basler Politiker ein, die in der Vergangenheit Kritik an «Sesam» geäussert hatten, darunter etwa die Ständerätin Anita Fetz, und zu einem zweiten Teil Vertreter der lokalen Presse und einen Wissenschaftsredaktor von Radio DRS. Dem Vernehmen nach bestand die ursprüngliche Idee darin, breit zu informieren, also auch die nationale Presse beizuziehen und eine Pressemitteilung zu verschicken; dies auch als Reaktion auf den von verschiedener Seite - unter anderem von der SP Basel-Stadt - vorgebrachten Vorwurf, die Projektverantwortlichen verhielten sich in der Sache «Sesam» zu wenig transparent. Doch schliesslich entschied man sich, das Rechtsgutachten einem kleinen Kreise vorzustellen.

Unklare Zuständigkeiten

Dieter Imboden zeigt Verständnis für dieses Vorgehen. «Sesam» befinde sich in einer schwierigen Situation, sagt er auf Anfrage. Das Projekt werde angegriffen und müsse sich inhaltlich verteidigen. Gleichzeitig werfe man den Verantwortlichen Intransparenz vor. Diese «enorme Dynamik» hätten alle Beteiligte von Beginn an unterschätzt. In der Tat hatte sich der Widerstand bereits vor dem offiziellen Start von «Sesam» (Februar 2006) formiert. Die fundamentale Kritik des Projekts erfolgt seit 2005 in regelmässigen Abständen vor allem von Seiten des «Basler Appells gegen Gentechnologie», der die Zulässigkeit der Forschung an Kindern grundsätzlich in Frage stellt. Der Basler Appell hatte im vergangenen März der Ethikkommission beider Basel (EKBB) gar eine von rund 12 000 Personen unterschriebene Petition übergeben. Darin wird die EKBB, die zurzeit das Forschungsprojekt begutachtet, aufgefordert, «Sesam» nicht zu bewilligen. Und die SP Basel- Stadt, die sich zwar in einem Positionspapier nicht grundsätzlich gegen «Sesam» stellt, verlangt, dass «keine öffentlichen Gelder ausgegeben werden, bevor das Projekt von der zuständigen Ethikkommission bewilligt worden ist».

Damit treffen die baselstädtischen Sozialdemokraten einen wunden Punkt, dem sich auch das Rechtsgutachten widmet, das vom renommierten St. Galler Rechtsprofessor Rainer J. Schweizer verfasst wurde. Gemäss der Rechtsschrift, in die die NZZ inzwischen auch Einsicht nehmen durfte (veröffentlicht wurde sie bisher nicht), ist die Zuständigkeit der EKBB aus juristischer Sicht nicht genügend, da nur medizinische, nicht aber psychologische Forschungsprojekte in deren Aufgabenbereich fallen. Bei der Entscheidung der EKBB über das «Sesam»-Projekt könne es sich also rechtlich nicht um eine verbindliche Verfügung handeln, sondern nur um eine beratende Empfehlung.

Weitere Zeit verstreicht

Die «Sesam»-Verantwortlichen haben jedoch mehrmals die Absicht bekundet, sich dem Entscheid der EKBB zu fügen. «Sesam» habe sich verpflichtet, den Auflagen und Bedingungen der Ethikkommission nachzukommen, sagt Daniel Habegger, Sprecher von «Sesam». Auch Forschungsratspräsident Imboden bekräftigt dies. Bis die EKBB ihr Gutachten verfasst hat, werden noch einige Wochen vergehen. «Sesam» wollte bereits Ende vergangenen Jahres mit der eigentlichen Forschungsarbeit beginnen. Habegger rechnet nun damit, dass mit der Rekrutierung von Probandinnen (schwangeren Frauen) im Frühsommer gestartet werden könne. Laut Hans Kummer, EKBB-Präsident, sei innerhalb der Ethikkommission eine Task-Force gebildet worden, die sich mit dem sehr komplexen Forschungsprojekt befasse. Eine erste Stellungnahme habe «Sesam» Ende November erhalten. Man habe zu einzelnen Punkten weitere Angaben verlangt. Nun sei man im Gespräch.

Wie lange hat der Nationalfonds Geduld?

Die Verzögerungen von «Sesam» sind für den Nationalfonds nicht unproblematisch. Für die Mitarbeiter von «Sesam», darunter Wissenschafter, die unter Publikationsdruck stehen, sei es nicht erfreulich, wenn sie lange auf den Beginn der Arbeit mit den Probandinnen warten müssten, sagt Forschungsratspräsident Imboden. Zurzeit sei er zwar zuversichtlich, doch wenn sich «Sesam» noch weiter hinauszögern würde, sähe sich der Nationalfonds veranlasst, über die Bücher zu gehen. Man müsse aber berücksichtigen, dass «Sesam» in Bezug auf Umfang und Inhalt für Schweizer Verhältnisse bisher einzigartig sei. Erfahrungen mit solchen Projekten fehlten; die juristische Sachlage sei nicht restlos klar. Deshalb sei mit Schwierigkeiten zu rechnen. Imboden erinnert an den Freisetzungsversuch der ETH Zürich mit gentechnisch veränderten Pflanzen; dieser musste bis zur Durchführung ein jahrelanges Bewilligungsverfahren durchlaufen.
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Sesam Watch

Beobachtungen und Notizen zum Schweizer NCCR "Sesam", der 3'000 Kinder und ihr Umfeld vom ersten Ultraschallbild an 20 Jahre lang beobachten wollte (vorzeitiger Abbruch: 13.3.08). Autonom, skeptisch, ehrenamtlich. Kontakt: sesamwatch@gmail.com

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