Der längere Artikel in der Ausgabe vom 29.12.05 zitiert Margraf:
Fehlalarm im Mandelkern
Panikattacken und Phobien machen Millionen Menschen das Leben schwer. Ihr Angstempfinden ist gestört, die Biochemie in ihrem Hirn außer Kontrolle. Mit der richtigen Therapie bekommen die Patienten das Problem gut in den Griff.
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Der Psychologieprofessor Jürgen Margraf von der Universität Basel ermittelte, dass gerade einmal ein Prozent aller Patienten mit Angststörungen hierzulande die richtige Behandlung in Form von Psychotherapie oder Medikamenten erhält. Bis die Betroffenen kompetente Hilfe finden, haben sie meist eine jahrelange Odyssee durch das Gesundheitssystem hinter sich. Der durchschnittliche Angstpatient in Deutschland hat eine Vorgeschichte mit zehn Ärzten und sieben Jahren vergeblicher Therapie.
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Schon was die Menschen als Stressor bewerten, ist höchst variabel. »Ich kann da manchmal nur den Kopf schütteln, wenn ich sehe, was zum Stress erklärt wird«, sagt Holsboer. Jeder Druck werde als unnatürliche Störung angesehen: »Als wenn wir als höchstes Lebensziel ein stressfreies Leben brauchten.« Die Epidemiologen neigten dazu, zu viele Menschen als angstkrank zu betrachten. Holsboer kann nicht bestätigen, dass in letzter Zeit mehr Angstpatienten in seine Klinik strömen. »Die Pharmaindustrie ist natürlich überglücklich über Erhebungen, bei denen rauskommt, dass praktisch jeder Bürger ein Psychopharmakon haben sollte.«
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Ein Schelm, wer Böses dabei denkt à la: Wer finanziert Sesam massgeblich mit - oder soll zumindest? Die Pharmaindustrie.
Der Königsweg der Psychotherapie im Kampf gegen Ängste ist nach heutigem Wissen die kognitive Verhaltenstherapie. Genauso wie letztlich alle krankhaften Ängste »erlernt« sind, lassen sie sich auch wieder verlernen. Bei einem Patienten mit einer Panikstörung oder einer Phobie besteht ein Teil der Behandlung deshalb darin, dass man ihn – nach entsprechender psychologischer Vorbereitung – scheinbar brutal mit den Auslösern seiner Angst konfrontiert. Wer Angst vor hohen Gebäuden hat, geht mit dem Therapeuten auf Kirchen oder Fernsehtürme, Hundephobiker besuchen ein Tierheim, und wer Angst vor großen Plätzen hat, bekommt einen Termin für einen Spaziergang über den Marktplatz. Statt einen Rückzieher zu machen, setzt sich der Betroffene so lange seiner Angst aus, bis die Reaktion nach kurzer Zeit von selbst abklingt. Entscheidend ist dabei, dass der Patient am eigenen Leib erlebt, dass die von ihm als unausweichlich angesehene Katastrophe (»Ich sterbe« oder »Das Flugzeug wird abstürzen«) ausbleibt. Die Chancen auf Heilung stehen gut: Mehr als 80 Prozent der an einer Panikstörung oder einer Phobie Leidenden können von ihren Qualen befreit werden. Und das ganz ohne jahrelange Seelenbeschau auf der Couch. In vielen Fällen, sagt der Basler Psychologe Margraf, reichen 10 bis 20 Therapiestunden aus, um den Betroffenen wieder ein normales Leben zu ermöglichen.
Das klingt sehr nach Margrafscher Konfrontationstherapie,
über die DIE ZEIT bereits in der Ausgabe 24/1999 schrieb:
»Immobil zu sein ist eine genetisch angelegte Urangst«, sagt Jürgen Margraf, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Basel. Patienten, die an Tunnelphobie leiden, führt er in den Berg hinein. Konfrontationstherapie. Im Tunnel sollen die Leute erfahren, wie die Angst nachlässt. Sie sollen lernen, dass Dunkelheit und Enge nicht automatisch Gefahr, Herzrasen und Tod bedeuten. »Die Verbindungen im semantischen Netzwerk der Ängste kappen« nennt das Jürgen Margraf. Er hat diese Therapie an der TU Dresden, wo er zuvor arbeitete, erfolgreich angewendet.
patpatpat - 30. Dez, 21:49