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Leserbriefe

Dienstag, 3. April 2007

NZZ-Leserbrief: "Ohrfeige für Sesam"

NZZ 3.4.07, S. 17:

Kürzlich hat die Ethikkommission beider Basel, die das Forschungsprojekt «Sesam» zu beurteilen hatte, beschlossen, das Projekt nur unter Auflagen zuzulassen; so wird man u. a. auf die DNA-Untersuchung bei Kindern verzichten müssen (NZZ 20. 3. 07). Nach Meinung der Kommission könnte die Offenbarung genetischer Informationen für Jugendliche zu einer lebenslangen Belastung werden, was wohl auch zu psychischen Erkrankungen führen könnte - die Studie hätte somit selber produziert, was sie erforschen wollte. Und wie reagieren die «Sesam»- Verantwortlichen auf diese Ohrfeige? Der Vizedirektor habe sich «ausserordentlich glücklich» über den «grosso modo positiven Entscheid» gezeigt, heisst es im Bericht. Einzige Sorge ist, dass die Auflagen der Kommission zu höheren Kosten führen werden. Dass den Forschern die kritischen Gedanken nicht selber gekommen sind, ist offenbar nicht der Rede wert. Scham gehört nicht ins Repertoire der positivistischen Universitäts-Psychologen. Wenn das psychische Gesundheit ist, brauchen wir keine psychischen Krankheiten mehr.

Dr. med. Christoph Zimmermann, Psychoanalytiker, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (Bern)

Donnerstag, 22. März 2007

baz-Leserbrief: "Selbstbestimmung wird in Frage gestellt"

22.3.07, S. 26:

Das «sesam»-Projekt halte ich persönlich für unvereinbar mit den Menschenrechten und der Bundesverfassung: Art. 10.1: «Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit.» (Auch Art. 13: Schutz der Privatsphäre) Selbstverständlich haben Erwachsene das Recht, über ihre Kinder zu verfügen. Hier geht es aber um Forschung mit ungewissen Ergebnissen und nicht um eine Entscheidung, die sein Wohlsein und Wohlergehen unmittelbar betreffen. Die Verfügungsgewalt über ein Kind ist nicht grenzenlos. Das Projekt erstreckt sich aber bis ins Erwachsenenalter und es dürfte fraglich sein, ob man schon heute vom Probanden verlangen kann, seine Entscheidung vorwegnehmend, dass er als Mündiger zum Beispiel seine psychische Befindlichkeit offenbaren oder sich einem Gen-Test unterziehen muss. Das beschädigt sein Selbstbestimmungsrecht. Würde er sich weigern, würde die Studie an Boden verlieren. Würde sich eine Familie für die Teilnahme entscheiden, würde die Beteiligung für die Grosseltern sehr zwanghaft sein und nicht ihrer freien Willensbildung entspringen.

Dr. Rudolf Hopmann, Riehen

Freitag, 15. Dezember 2006

Leserinnenbrief in der baz zu Sesam

Was für eine Welt

Engmaschige Begleitung für «sesam», Basler Untersuchung zeigt: «Seebach ist kein Einzelfall»; baz 7. 12. 06

Die Idee der SP, mit einem Positionspapier zu «sesam» das Nationalfondsprojekt wieder ins Gespräch zu bringen und an einem Abend im Merian-Saal des Café Spitz zwei Projektleiter mit kritischen Fragen zu konfrontieren, scheint mir äusserst verdienstvoll. In derselben baz finden sich aber auf der Frontseite und im Regionalteil Berichte über den Fall «Seebach» und entsprechende Vorfälle in Basel. In was für einer Welt leben wir, und was dient unserer Gesellschaft? Sind es Untersuchungen, die über zwanzig Jahre heute noch ungeborene Kinder samt ihren Eltern und teilweise Grosseltern in einen ethisch äusserst problematischen Forschungsraster zwingen? Wozu setzen wir öffentliche Gelder ein? Für Forschungen über zwanzig Jahre, die kaum viel mehr erbringen können, als wir eigentlich schon wissen, oder für Hilfe an die heutige Erziehergeneration, Eltern, Lehrerinnen, Ausbildner? Wir können durch Weiterbildung, Coaching und Ähnliches die heutige Erwachsenengeneration vor Burn-outs bewahren und den Jugendlichen helfen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Nur, das braucht Geld, so gut wie die Forschung, und solches wird heute gerne weggespart.

Judith Gessler, Riehen

Donnerstag, 22. Juni 2006

baz: Leserbrief

Bezug nehmend auf: "Forschung für Menschen: Für uns alle" in der Ausgabe vom 16. 6. 06:

Vorhandenes Wissen nutzen

Das Projekt «Sesam» will 3000 Kinder vorgeburtlich und bis zum 20. Lebensjahr untersuchen, um die Entstehung von psychischer Gesundheit besser zu verstehen. Müssen wir wirklich noch 20 Jahre forschen, um herauszufinden, warum die IV-Renten aufgrund psychischer Erkrankungen so stark ansteigen? Wir wissen sehr genau, dass die erhöhten Anforderungen am Arbeitsplatz und monate- und jahrelange Arbeitslosigkeit zu psychosomatischen und psychischen Erkrankungen führen. Der Verlust der biografischen Zukunftsmöglichkeiten der Erkrankten ist die Erklärung für die Zunahme der IV-Berentungen in den letzten Jahren. Brauchen wir ausserdem Forschung, um herauszufinden, wie wichtig die Familie für die psychische Entwicklung und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen ist? Sie brauchen Bezugspersonen, die über viele Jahre für sie da sind. Um dies zu ermöglichen, brauchen wir eine Politik, die Familien mit Kindern finanziell entlastet und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer ermöglicht. Dringender, als weiter zu forschen, ist es, vorhandenes Wissen für die Planung griffiger Massnahmen zu nutzen. Damit kann die psychische Gesundheit des Menschen rasch und nachhaltig verbessert werden.

Martin Haug, Oberwil

Sonntag, 18. Juni 2006

NZZ am Sonntag: Leserbriefe

Die Briefe reagieren auf den Artikel «Uns geht es um das Zusammenspiel von Erbe und Umwelt» vom letzten Sonntag, dem 11. Juni

Seit mehr als einem Jahr werden uns die hochtrabenden Ziele von «Sesam» mit immer der gleichen Powerpoint-Präsentation vor Augen geführt. Getan hat sich bis heute wenig. Viel öffentliches Geld wurde und wird ausgegeben, bewilligt ist noch immer kein einziges Teilprojekt der Studie. Das grösste Handicap von «Sesam», nämlich die klinische Forschung an Kindern, die selber keinen Nutzen von dieser Forschung haben werden, steht nach wie vor ungelöst im Raum; und die Speichelproben, die man den Säuglingen abzwacken will und die zweifellos den Grundstein für eine weitreichende Biobank legen sollen, möchte man bei «Sesam» als bedeutungslos am liebsten unter den Teppich kehren. Wir alle warten gespannt auf das Urteil der kantonalen Ethikkommission, das Nadelöhr, das auch von «Sesam» passiert werden muss.

Pascale Steck, Geschäftsführerin, Basler Appell gegen Gentechnologie

Das von Jürgen Margraf geleitete Forschungsprojekt «Sesam» ist von grosser Bedeutung für die verschiedensten Bestrebungen im Dienste der psychischen Gesundheit und damit der Gesundheitsförderung allgemein. Nicht zuletzt in der Suchtproblematik gehen die Meinungen über die wirksamsten Wege zu Prävention und Therapie auseinander. Wie können wir verhindern, dass junge Menschen in Identitätskrisen Autowettrennen veranstalten oder bei Liebeskummer mit dem Griff zur Flasche ihr Leben und dasjenige von Mitmenschen aufs Spiel setzen? Gibt es Möglichkeiten, solchen Menschen fehlende Perspektiven zu geben? Albert Schweitzer hat das Wort der Ehrfurcht vor dem Leben geprägt. Wichtig ist eine Ethik der umfassenden Ehrfurcht vor dem Leben. Sie sollte nicht behindert oder gefährdet werden durch einseitige Kämpfe für Einzelwerte.

Walter Schmid, Frauenfeld

Freitag, 16. Juni 2006

baz Forumsbeitrag: "Forschung für Menschen"

Autor: Lukas Richterich, Dr. phil., Fachpsychologe für Psychotherapie FSP, S. 32:

«Meine Mutter war zwar immer anwesend, aber sie war doch nie für mich da. Heute weiss ich, dass sie schwer depressiv war. Als Kind verstand ich das nicht. Und sie auch nicht. Sie wusste gar nicht, dass sie krank war.» Psychische Störungen verursachen immenses Leid für betroffene Menschen und ihre Familien. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten hören davon jeden Tag. Psychische Störungen kann man heute behandeln. Psychotherapeutisch und psychopharmakologisch. Dank der Forschung.
Wir verstehen aber noch viel zu wenig, wie psychische Störungen entstehen und welche Faktoren für die gesunde psychische Entwicklung verantwortlich sind. Deshalb bin ich von der Idee des Projekts «Sesam» (Swiss Etiological Study of Adjustment an Mental Health) begeistert. «Sesam» will die komplexen Ursachen aufdecken, die zu einer gesunden psychischen Entwicklung über die Lebensspanne führen. Erfreulich ist, dass die psychologische Fakultät unserer Uni federführend an diesem nationalen Forschungsschwerpunkt beteiligt ist.
Fassungslos verfolge ich, welche Gegnerschaft «Sesam» erwächst. Wie kommt es, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit schlimmsten Verdächtigungen, ideologiebeladenen Vorwürfen und grotesken Vorurteilen angegriffen werden, wenn sie ein drängendes gesellschaftliches Problem erforschen wollen?
Menschen orientieren sich in der Welt mittels ihrer Überzeugungen. So sind wir konstruiert, sagt die psychologische Forschung. Religiöse und ideologische Glaubenssysteme geben Orientierung und Halt, haben aber auch ein schädliches Potenzial. Dafür genügt ein Blick in die (europäische) Geschichte. Irrationalität ist gefährlich. Es ist verheerend, um ein Beispiel zu nennen, wenn in Südafrika Politiker öffentlich bezweifeln, dass Aids durch ein Virus verursacht wird. Verheerend auch, wenn Menschen in verantwortungsvollen Positionen Ängste vor wissenschaftlicher Forschung schüren. Missbrauch von Forschung wird heute durch gesellschaftliche Kontrollsysteme verhindert.
Die wissenschaftlichen Leistungen der vergangenen Jahrhunderte haben uns in vielen Bereichen Entwicklung, Wohlstand und Fortschritt gebracht. Aber die modernen Lebensbedingungen sind für die psychische Gesundheit problematisch. Wir müssen dringend mehr über die Faktoren wissen, die uns psychisch gesund erhalten.
Rauchen während der Schwangerschaft ist für das werdende Kind schädlich. Punkt. Das ist keine Glaubensfrage. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Wer würde es heute auch ernsthaft bezweifeln?
Wir brauchen mehr, nicht weniger Forschung am Menschen. Gerade im Bereich der psychischen Gesundheit. Das ist für unsere Zukunft lebensnotwendig. Wie sagte doch Kant vor 250 Jahren: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Aufklärung tut immer noch Not! Auch und gerade über Zusammenhänge und Bedingungen für die psychische Gesundheit. Dafür braucht es Projekte wie «Sesam».

Dienstag, 30. Mai 2006

baz-Leserbrief: "Missbrauchsgefahr solcher Forschung"

zu Theodor Cahn: «Es wäre viel mehr Bescheidenheit angesagt»; baz 19. 5. 06; Leserbrief: Eskalation der Argumentation; baz 27. 5. 06

Die Zuständigen des Nationalfonds täten gut daran, die Literatur um 1930 zur wissenschaftlichen Erfassung der Risikofaktoren für gesunde oder kranke Entwicklung zur Kenntnis zu nehmen. Immerhin hat der Leiter des sesam-Projekts 2005 im Originalton versprochen, mit sesam würde endlich wissenschaftlich fassbar, was angeboren, was erworben sei (WOZ 10. 3. 05), und dies ermögliche bessere Prävention. Wenn die baz-Journalisten die Frage stellen, wie die Verbindungen zur Eugenik in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts sei, so beweisen sie damit einfach, dass sie das damalige Forschungsverständnis und den Glauben an den wissenschaftlichen Machbarkeitswahn kennen und die unsäglichen Konsequenzen, die in der NS-Diktatur daraus gezogen wurden. Wenn Philippe Trinchan, Presse- und Informationsdienst des Schweizerischen Nationalfonds (SNF), diese Zusammenhänge nicht kennt und deren Erwähnung «ungeheuerlich» nennt, ist es so, wie wenn es «ungeheuerlich» wäre, im Zusammenhang mit Atomenergie zu erwähnen, dass diese die Voraussetzung ist für Atombomben. Der SNF-Informationsbeauftragte hätte beruhigender gewirkt, wenn er, statt auf der baz und Herrn Theodor Cahn herumzuhacken, die Missbrauchsgefahr solcher Forschung anerkannt und deutlich gemacht hätte, wie beim SNF und durch die sesam-Verantwortlichen die entsprechend angesagte Sorgfaltspflicht wahrgenommen wird. Information ist Macht. Beim Erheben und Verwenden von so sensiblen Entwicklungs- und Gesundheitsdaten wird Misstrauen zur Pflicht, um gewollten oder ungewollten Missbrauch zu verhindern.

Ursula Walter, Basel

Samstag, 27. Mai 2006

"Eskalation der Argumentation": Pressechef Nationalfonds in Leserbrief an baz

zu «Es wäre viel mehr Bescheidenheit angesagt»; baz 19. 5. 06

Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) begrüsst den sachlichen öffentlichen Diskurs wissenschaftlicher Themen. Mit Bedauern muss er nun jedoch zur Kenntnis nehmen, dass in der Berichterstattung der baz zum NFS Sesam der Uni Basel eine Eskalation der Argumentation zu beobachten ist, welche einer konstruktiven Diskussion nicht dienlich ist. Im Interview mit Chefarzt Theodor Cahn wird ein ungeheuerlicher Zusammenhang von Sesam mit der Eugenik und Vernichtungsaktionen im Dritten Reich hergestellt und gar als Zitat in den Vordergrund gerückt. Es ist das Recht von Herrn Cahn, sich als Psychoanalytiker zu Sesam zu äussern, doch sollte unabhängig von Meinungsverschiedenheiten wissenschaftlicher Schulen äusserst vorsichtig umgegangen werden mit solch schwerwiegenden, in diesem Fall in keiner Weise fundierten historischen Vergleichen. Sesam ist vom SNF, basierend auf einer internationalen Expertenevaluation, vorgeschlagen und vom Bundesrat aufgrund seiner dringlichen Fragestellungen zur psychischen Gesundheit der Bevölkerung zum Nationalen Forschungsschwerpunkt bestimmt worden. Herr Cahn hat selbst erwähnt, dass es im heutigen Wissenschaftsbetrieb glücklicherweise effiziente Sicherungen gegen missbräuchliche Forschung gibt, und dies im Interesse der Forschenden und natürlich der Gesellschaft.


Philippe Trinchan, Presse- und Informationsdienst des SNF, Bern

Mittwoch, 24. Mai 2006

Leserbrief in der baz

Zu «Es wäre viel mehr Bescheidenheit angesagt»; baz 19. 5. 06

Für bedenklich halte ich zwei Argumentationslinien in den Äusserungen von Theodor Cahn: 1. Herr Cahn bringt sesam in Zusammenhang mit Eugenik und der deutschen nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Er erhärtet diesen Zusammenhang inhaltlich in keiner Weise. Im Zusammenhang mit der Empfehlung von wissenschaftlicher Bescheidenheit an die Adresse der mehrheitlich aus Deutschland stammenden Projektleiter empfinde ich diese Argumentationslinie als ehrabschneidend, weil es das Gegenüber seiner wissenschaftlichen und menschlichen Seriosität beraubt. 2. Herr Cahn erweckt in dem Interview den Anschein, für die Psychoanalyse zu sprechen. Wie ist es dann zu erklären, dass mehrere Psychoanalytiker Mitantragsteller für sesam sind (siehe Homepage: www.sesamswiss.ch)? Zur Klarstellung: Ich selber bin an dem Projekt sesam nicht beteiligt.

Alexander Kiss, Professor für Psychosomatik, Universität Basel

Leserbrief vom 23.5.

Bei der Lektüre des Interviews zum Projekt sesam der Uni Basel, kam ich nicht mehr aus dem Staunen heraus. Da werden Fragen gestellt und beantwortet wie «Könnte man sagen, das Projekt beruhe auf sehr faktengläubigem Gedankengut?» Ich scheine verpasst zu haben, dass Fakten heutzutage scheinbar etwas Unanständiges sind. Aber, was ist denn die Alternative zu Fakten und, dass man sich bei der Beurteilung eines Sachverhalts auf Fakten abstützt? Ein Gedankengut, das jedem Scharlatan und Quacksalber Glauben schenkt? Ich bleibe auf jeden Fall Anhänger eines «faktengläubigen Gedankenguts» - und ich hoffe, die baz bleibt es auch.

Benedikt Schmidt, Pratteln
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Sesam Watch

Beobachtungen und Notizen zum Schweizer NCCR "Sesam", der 3'000 Kinder und ihr Umfeld vom ersten Ultraschallbild an 20 Jahre lang beobachten wollte (vorzeitiger Abbruch: 13.3.08). Autonom, skeptisch, ehrenamtlich. Kontakt: sesamwatch@gmail.com

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