baz: "sesam kommt nicht vom Fleck"
Stefan Stöcklin heute in der baz über juristische Abklärungen, die das Projekt bremsen:
Seit einigen Monaten wartet die Ethikkommission beider Basel auf die Eingabe des Forschungsprojektes «sesam». Wann und wie es weitergehen soll, ist nach wie vor offen.
Eigentlich planten die Studienleiter um den Basler Psychologen Jürgen Margraf, ihre Gesuche für den grossangelegten Nationalen Forschungsschwerpunkt «sesam» noch im Frühling 2006 der Ethikkommission beider Basel (EKBB) zur Begutachtung vorzulegen. Deren Zustimmung ist nötig, damit die Versuche starten können.
Bis Ende Jahr sollten die ersten Studien mit schwangeren Frauen anlaufen. So zumindest lautete der provisorische Plan, den die Projektleitung an einer Medienkonferenz der Öffentlichkeit Anfang Jahr vorlegte. Doch davon ist keine Rede mehr. «Wir legen uns im Moment nicht mehr auf einen Termin fest», sagt Mediensprecherin Barbara Glättli.
Zwar haben die «sesam»-Forscher am 12. Juni erste sogenannte «Vorstudien» bei der Ethikkommission eingereicht, aber diese reichen zur Beurteilung nicht. «Wir können die Vorstudien nicht isoliert beurteilen», sagt Hans Kummer, emeritierter Professor für Medizin und Präsident der EKBB. «Wir müssen wissen, was auf die Leute zukommt und brauchen dazu auch die Details der Kernstudie.»
In den Vorstudien sollen Methoden und Verfahren des Projektes, zum Beispiel Fragebögen oder Untersuchungen, an nicht schwangeren Versuchspersonen getestet werden. Bei der Kernstudie handelt es sich um die 3000 Kinder, die ab der 12. Schwangerschaftswoche untersucht und bis zum 20. Altersjahr begleitet werden sollen.
Damit ist im Moment völlig offen, wann der EKBB-Entscheid vorliegen wird und wann es mit den Studien losgeht. Unklar ist zudem auch, ob die Ethikkommission die Studien in der geplanten Form gutheissen oder ob sie Auflagen machen wird. Gut möglich ist, dass noch ausstehende Expertengutachten eingeholt werden müssen. Dabei geht der Geldgeber, der Schweizerische Nationalfonds, immer noch davon aus, dass das Projekt im vorgesehenen Rahmen durchgeführt werden könne, wie Sprecher Alan Knaus sagt.
Zu den Verzögerungen sei es gekommen, weil die Detailabklärungen viel mehr Zeit kosteten als geplant. Alexander Grob, Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Basel und stellvertretender Direktor von «sesam», sagt: «Es handelt sich um ein komplexes Projekt, das in dieser Form noch nie durchgeführt wurde und ausserordentliche Abklärungen nötig macht.» Andere von der baz befragte und unabhängige Personen sind der Meinung, dass die Projektverantwortlichen die ethische Brisanz und juristische Komplexität massiv unterschätzt hätten.
Güterabwägung. Sicher ist, dass sich «sesam» in einem ethisch und juristisch heiklen Feld bewegt. Problematisch ist die Forschung an urteilsunfähigen Kindern, die den Betroffenen keinen Nutzen bringt (fremdnützige Forschung). Experten kommen in grundsätzlichen Überlegungen zu ganz unterschiedlichen Schlüssen, inwieweit diese Forschung zulässig ist, wie zwei Beiträge in der NZZ (12.8.2006 [siehe sesam watch hier und hier]) kürzlich deutlich machten.
Im Zentrum steht die Frage, ob die Menschenwürde der Kinder durch die Untersuchungen tangiert ist oder nicht. Dies wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn ihre Freiheit zur Entwicklung in irgend einer Form eingeschränkt würde. Demgegenüber steht der Erkenntnisgewinn der Studie, der anderen Kindern zugute kommen könnte. Hier ist eine Abwägung vonnöten, die je nach Standpunkt unterschiedlich ausfallen kann.
Es wird an der EKBB liegen, das Gebot der Menschenwürde zu prüfen, was aufgrund der langfristig angelegten Studie, die über 20 Jahre dauert, ein schwieriges Unterfangen sein wird. Juristische Hürden ergeben sich im Weiteren im Bereich des Datenschutzes und weil das Vorhaben an der Schnittstelle Medizin/Psychologie operiert. «Auch hier betreten wir Neuland», sagt Alexander Grob. «Wir müssen Pionierarbeit leisten.»
Für «sesam» erschwerend kommt hinzu, dass im Moment ein Bundesgesetz über die Forschung am Menschen am Entstehen ist. Bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes wird es noch Jahre dauern und «sesam» dient nun als Modell- oder Spielfall, was alles bedacht werden kann. Bis zum Bundesgesetz ist kantonales Recht gültig und das erleichtert die Dinge nicht.
Kantonal unterschiedlich. Denn weil es sich bei «sesam» um eine Multizenterstudie handelt, an der verschiedene Kantone mit zum Teil unterschiedlichen Gesetzen beteiligt sind, ist die Rechtslage unübersichtlich. Die Projektleitung von «sesam» hat dazu eine «Einschätzung» beim St. Galler Juristen Rainer J. Schweizer in Auftrag gegeben. Diese Würdigung ist noch nicht abgeschlossen und unter Verschluss.
Spielraum. Alexander Grob macht aber deutlich, dass darin die kantonalen Gesetze verglichen und in ihrer Wirksamkeit auf «sesam» untersucht werden. «Wir wollen uns absichern, dass wir korrekt vorgehen», so Grob zur baz. Beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), das in die juristischen Diskussionen einbezogen wurde und Kenntnis von dieser Arbeit hat, heisst es: «Das Gutachten kommt zum Schluss, dass einige der Fragestellungen gesetzlich nicht eindeutig geklärt sind», erläutert Michael Gerber vom BAG. Es gibt also offensichtlich Spielraum › auch bezüglich der Zuständigkeit der EKBB.
Bei «sesam» will man sich nicht detailliert zu Schweizers Einschätzungen äussern. Das Gutachten Schweizers diene aber nicht dazu, die Kompetenz der EKBB in Frage zu stellen. Oder negative Entscheide anzufechten. «Wir wollen, dass die EKBB über ‹sesam› entscheidet. Und wir werden den Entscheid akzeptieren», sagt Alexander Grob. Die EKBB wird ihren Entscheid öffentlich bekannt geben.
Seit einigen Monaten wartet die Ethikkommission beider Basel auf die Eingabe des Forschungsprojektes «sesam». Wann und wie es weitergehen soll, ist nach wie vor offen.
Eigentlich planten die Studienleiter um den Basler Psychologen Jürgen Margraf, ihre Gesuche für den grossangelegten Nationalen Forschungsschwerpunkt «sesam» noch im Frühling 2006 der Ethikkommission beider Basel (EKBB) zur Begutachtung vorzulegen. Deren Zustimmung ist nötig, damit die Versuche starten können.
Bis Ende Jahr sollten die ersten Studien mit schwangeren Frauen anlaufen. So zumindest lautete der provisorische Plan, den die Projektleitung an einer Medienkonferenz der Öffentlichkeit Anfang Jahr vorlegte. Doch davon ist keine Rede mehr. «Wir legen uns im Moment nicht mehr auf einen Termin fest», sagt Mediensprecherin Barbara Glättli.
Zwar haben die «sesam»-Forscher am 12. Juni erste sogenannte «Vorstudien» bei der Ethikkommission eingereicht, aber diese reichen zur Beurteilung nicht. «Wir können die Vorstudien nicht isoliert beurteilen», sagt Hans Kummer, emeritierter Professor für Medizin und Präsident der EKBB. «Wir müssen wissen, was auf die Leute zukommt und brauchen dazu auch die Details der Kernstudie.»
In den Vorstudien sollen Methoden und Verfahren des Projektes, zum Beispiel Fragebögen oder Untersuchungen, an nicht schwangeren Versuchspersonen getestet werden. Bei der Kernstudie handelt es sich um die 3000 Kinder, die ab der 12. Schwangerschaftswoche untersucht und bis zum 20. Altersjahr begleitet werden sollen.
Damit ist im Moment völlig offen, wann der EKBB-Entscheid vorliegen wird und wann es mit den Studien losgeht. Unklar ist zudem auch, ob die Ethikkommission die Studien in der geplanten Form gutheissen oder ob sie Auflagen machen wird. Gut möglich ist, dass noch ausstehende Expertengutachten eingeholt werden müssen. Dabei geht der Geldgeber, der Schweizerische Nationalfonds, immer noch davon aus, dass das Projekt im vorgesehenen Rahmen durchgeführt werden könne, wie Sprecher Alan Knaus sagt.
Zu den Verzögerungen sei es gekommen, weil die Detailabklärungen viel mehr Zeit kosteten als geplant. Alexander Grob, Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Basel und stellvertretender Direktor von «sesam», sagt: «Es handelt sich um ein komplexes Projekt, das in dieser Form noch nie durchgeführt wurde und ausserordentliche Abklärungen nötig macht.» Andere von der baz befragte und unabhängige Personen sind der Meinung, dass die Projektverantwortlichen die ethische Brisanz und juristische Komplexität massiv unterschätzt hätten.
Güterabwägung. Sicher ist, dass sich «sesam» in einem ethisch und juristisch heiklen Feld bewegt. Problematisch ist die Forschung an urteilsunfähigen Kindern, die den Betroffenen keinen Nutzen bringt (fremdnützige Forschung). Experten kommen in grundsätzlichen Überlegungen zu ganz unterschiedlichen Schlüssen, inwieweit diese Forschung zulässig ist, wie zwei Beiträge in der NZZ (12.8.2006 [siehe sesam watch hier und hier]) kürzlich deutlich machten.
Im Zentrum steht die Frage, ob die Menschenwürde der Kinder durch die Untersuchungen tangiert ist oder nicht. Dies wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn ihre Freiheit zur Entwicklung in irgend einer Form eingeschränkt würde. Demgegenüber steht der Erkenntnisgewinn der Studie, der anderen Kindern zugute kommen könnte. Hier ist eine Abwägung vonnöten, die je nach Standpunkt unterschiedlich ausfallen kann.
Es wird an der EKBB liegen, das Gebot der Menschenwürde zu prüfen, was aufgrund der langfristig angelegten Studie, die über 20 Jahre dauert, ein schwieriges Unterfangen sein wird. Juristische Hürden ergeben sich im Weiteren im Bereich des Datenschutzes und weil das Vorhaben an der Schnittstelle Medizin/Psychologie operiert. «Auch hier betreten wir Neuland», sagt Alexander Grob. «Wir müssen Pionierarbeit leisten.»
Für «sesam» erschwerend kommt hinzu, dass im Moment ein Bundesgesetz über die Forschung am Menschen am Entstehen ist. Bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes wird es noch Jahre dauern und «sesam» dient nun als Modell- oder Spielfall, was alles bedacht werden kann. Bis zum Bundesgesetz ist kantonales Recht gültig und das erleichtert die Dinge nicht.
Kantonal unterschiedlich. Denn weil es sich bei «sesam» um eine Multizenterstudie handelt, an der verschiedene Kantone mit zum Teil unterschiedlichen Gesetzen beteiligt sind, ist die Rechtslage unübersichtlich. Die Projektleitung von «sesam» hat dazu eine «Einschätzung» beim St. Galler Juristen Rainer J. Schweizer in Auftrag gegeben. Diese Würdigung ist noch nicht abgeschlossen und unter Verschluss.
Spielraum. Alexander Grob macht aber deutlich, dass darin die kantonalen Gesetze verglichen und in ihrer Wirksamkeit auf «sesam» untersucht werden. «Wir wollen uns absichern, dass wir korrekt vorgehen», so Grob zur baz. Beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), das in die juristischen Diskussionen einbezogen wurde und Kenntnis von dieser Arbeit hat, heisst es: «Das Gutachten kommt zum Schluss, dass einige der Fragestellungen gesetzlich nicht eindeutig geklärt sind», erläutert Michael Gerber vom BAG. Es gibt also offensichtlich Spielraum › auch bezüglich der Zuständigkeit der EKBB.
Bei «sesam» will man sich nicht detailliert zu Schweizers Einschätzungen äussern. Das Gutachten Schweizers diene aber nicht dazu, die Kompetenz der EKBB in Frage zu stellen. Oder negative Entscheide anzufechten. «Wir wollen, dass die EKBB über ‹sesam› entscheidet. Und wir werden den Entscheid akzeptieren», sagt Alexander Grob. Die EKBB wird ihren Entscheid öffentlich bekannt geben.
patpatpat - 26. Aug, 15:42