Weltwoche: "Sesam, Sackgasse"
Theres Lüthi kommentiert heute:
Im Verhindern von Forschungseinrichtungen ist die Schweiz top. Nun soll eine grossangelgte Studie verboten werden, die früh nach Ursachen psychischer Krankheiten sucht.
Wissenschaftler, die auf dem Gebiet der Gentechnik forschen, haben es in der Schweiz schwer. Das wissen wir seit dem Debakel um den Freilandversuch von Christof Sautter. Fünf Jahre lang sah sich der ETH-Forscher einer gezielten Kampagne von wissenschaftsfeindlichen Kreisen ausgesetzt. Der Forschungszweig, bei dem die Schweiz einst eine Spitzenposition einnahm, befindet sich mittlerweile auf dem absteigenden Ast. Nun droht einem weiteren Forschungsprojekt von höchster Qualität ein ähnliches Schicksal.
2005 bewilligte der Bundesrat den Nationalen Forschungsschwerpunkt «Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health», kurz «Sesam». Unter der Leitung von Jürgen Margraf, Professor an der Universität Basel, sollen 3000 Kinder von der 12. Schwangerschaftswoche an während zwanzig Jahren untersucht werden. Ziel der Studie ist es, mehr über die Ursachen psychischer Krankheiten zu erfahren. Doch gegen das Projekt hat sich erbitterter Widerstand formiert. Letzte Woche wurde der Ethikkommission beider Basel eine Petition überreicht, mit der Forderung, Sesam zu sistieren. An vorderster Front kämpft der «Basler Appell gegen Gentechnologie». Kritisiert wird unter anderem, das Projekt reduziere den Menschen auf seine Gene.
Ein absurder Vorwurf denn die Gene spielen bei diesem Projekt eine Nebenrolle. Vielmehr geht es im weitesten Sinne um seelische Gesundheit. Weltweit leiden immer mehr Menschen, gerade auch Kinder, unter psychischen Störungen wie Angsterkrankungen und Depressionen. Sesam versucht mit einem multidisziplinären Ansatz, den Ursachen auf die Spur zu kommen.
Zukunft wird aus Ideen gemacht
Eine Teilstudie etwa soll untersuchen, ob sich Stresssituationen während der Schwangerschaft negativ auf die Gesundheit des Kindes auswirken. Eine andere interessiert sich für die Blinzelreaktionen der Neugeborenen: Gibt es eine Verbindung mit späterem Suchtverhalten? Auch die Rolle der Grosseltern wird unter die Lupe genommen, ebenso das Gedächtnis: Wie detailgetreu behalten Eltern Lebensereignisse und Verhaltensweisen ihres Kindes in Erinnerung?
Nur eines der insgesamt zwölf geplanten Teilprojekte interessiert sich für «genetische Merkmale». Für die Speichelproben müssen die Neugeborenen kurz an einem Wattestäbchen nuckeln. Anhand von Genomanalysen wird dann versucht, Zusammenhänge zwischen DNA-Mustern und psychischer Krankheit zu erkennen.
Sesam ist somit in vielerlei Hinsicht ein vorbildliches Projekt: Es ist interdisziplinär, langfristig angelegt, und es geht um Volkskrankheiten. Warum also die Opposition? Das Bundesgesetz «Forschung am Menschen» befindet sich derzeit in der Vernehmlassung. Mit einer gezielten Kampagne gegen die Sesam-Forschung will man nun Druck ausüben, damit das Gesetz möglichst restriktiv gestaltet wird. Dabei gehen die Kritiker nach gewohntem Muster vor: Man schreit «Gen», wo es gar nicht um Gene geht. Und um die Ängste weiter zu schüren, greift man zum zweiten Schlagwort. «Nein zur fremdnützigen Forschung an Kindern!», heisst es in der Petition. Es stimmt zwar, dass die Erkenntnisse anderen Kindern zugute kommen als jenen, die erforscht werden. Aber genau das Gleiche gilt für die gesamte Bildungsforschung: Von den Pisa-Studien profitieren künftige Schülergenerationen. Und auch die Leukämietherapie verdankt ihren Erfolg «fremdnütziger Forschung an Kindern». Hätten damals nicht viele Eltern die Einwilligung gegeben, das Blut ihrer Kinder zu untersuchen, könnten wir heute nicht drei Viertel der an Leukämie erkrankten Kinder heilen.
Kritisiert wird Sesam auch von Psychoanalytikern. Warum? Das Bundesamt für Gesundheit ist dabei, den Leistungskatalog zu überprüfen, und sieht insbesondere bei der Psychotherapie Sparpotenzial. Sesam-Direktor Jürgen Margraf erhielt das Mandat, die Wirksamkeit der Psychotherapie zu untersuchen, und bestätigte, was bekannt ist: Dass bei gewissen Diagnosen in der Schweiz viel zu lange therapiert wird. Beliebt hat er sich damit nicht gemacht. Manch frustrierter Kollege nutzt nun die Gelegenheit, um Margraf Steine in den Weg zu legen.
Dabei könnte Sesam Grosses leisten. In Norwegen sammelt man derzeit Blutproben und Gesundheitsdaten von 100000 schwangeren Frauen. Man will herausfinden, ob bestimmte Infektionen während der Schwangerschaft bei genetisch prädisponierten Individuen die Entwicklung von Krankheiten wie Autismus oder Zerebrallähmung begünstigen. In Grossbritannien werden für das Projekt «Children of the 90s» 14000 Kinder untersucht, und auch in Schweden ist ein Projekt unterwegs. Allen «Biobanken» ist gemeinsam, dass das Augenmerk auf Lebensstil und Umwelt gelegt wird der Mensch eben nicht auf seine Gene reduziert wird.
Geht es darum, hinter einer neuen Forschungsrichtung Böses und Missbräuchliches zu vermuten, sind die Schweizer Weltmeister. «Es gibt unzählige Beispiele dafür, dass wir Erfolgreiches hinterfragen, kritisieren, ja gar bekämpfen, bevor sich dieses überhaupt hat richtig entfalten können», sagte Dieter Imboden, Präsident des Nationalen Forschungsrates an einer Pressekonferenz. «Prophylaktische Boykottaufrufe werden in Umlauf gesetzt, bevor es etwas zu boykottieren gibt.» Sesam ist ein weiteres Beispiel dafür, wie ein erstklassiges Forschungsprojekt zum politischen Prügelknaben mutiert.
Im Verhindern von Forschungseinrichtungen ist die Schweiz top. Nun soll eine grossangelgte Studie verboten werden, die früh nach Ursachen psychischer Krankheiten sucht.
Wissenschaftler, die auf dem Gebiet der Gentechnik forschen, haben es in der Schweiz schwer. Das wissen wir seit dem Debakel um den Freilandversuch von Christof Sautter. Fünf Jahre lang sah sich der ETH-Forscher einer gezielten Kampagne von wissenschaftsfeindlichen Kreisen ausgesetzt. Der Forschungszweig, bei dem die Schweiz einst eine Spitzenposition einnahm, befindet sich mittlerweile auf dem absteigenden Ast. Nun droht einem weiteren Forschungsprojekt von höchster Qualität ein ähnliches Schicksal.
2005 bewilligte der Bundesrat den Nationalen Forschungsschwerpunkt «Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health», kurz «Sesam». Unter der Leitung von Jürgen Margraf, Professor an der Universität Basel, sollen 3000 Kinder von der 12. Schwangerschaftswoche an während zwanzig Jahren untersucht werden. Ziel der Studie ist es, mehr über die Ursachen psychischer Krankheiten zu erfahren. Doch gegen das Projekt hat sich erbitterter Widerstand formiert. Letzte Woche wurde der Ethikkommission beider Basel eine Petition überreicht, mit der Forderung, Sesam zu sistieren. An vorderster Front kämpft der «Basler Appell gegen Gentechnologie». Kritisiert wird unter anderem, das Projekt reduziere den Menschen auf seine Gene.
Ein absurder Vorwurf denn die Gene spielen bei diesem Projekt eine Nebenrolle. Vielmehr geht es im weitesten Sinne um seelische Gesundheit. Weltweit leiden immer mehr Menschen, gerade auch Kinder, unter psychischen Störungen wie Angsterkrankungen und Depressionen. Sesam versucht mit einem multidisziplinären Ansatz, den Ursachen auf die Spur zu kommen.
Zukunft wird aus Ideen gemacht
Eine Teilstudie etwa soll untersuchen, ob sich Stresssituationen während der Schwangerschaft negativ auf die Gesundheit des Kindes auswirken. Eine andere interessiert sich für die Blinzelreaktionen der Neugeborenen: Gibt es eine Verbindung mit späterem Suchtverhalten? Auch die Rolle der Grosseltern wird unter die Lupe genommen, ebenso das Gedächtnis: Wie detailgetreu behalten Eltern Lebensereignisse und Verhaltensweisen ihres Kindes in Erinnerung?
Nur eines der insgesamt zwölf geplanten Teilprojekte interessiert sich für «genetische Merkmale». Für die Speichelproben müssen die Neugeborenen kurz an einem Wattestäbchen nuckeln. Anhand von Genomanalysen wird dann versucht, Zusammenhänge zwischen DNA-Mustern und psychischer Krankheit zu erkennen.
Sesam ist somit in vielerlei Hinsicht ein vorbildliches Projekt: Es ist interdisziplinär, langfristig angelegt, und es geht um Volkskrankheiten. Warum also die Opposition? Das Bundesgesetz «Forschung am Menschen» befindet sich derzeit in der Vernehmlassung. Mit einer gezielten Kampagne gegen die Sesam-Forschung will man nun Druck ausüben, damit das Gesetz möglichst restriktiv gestaltet wird. Dabei gehen die Kritiker nach gewohntem Muster vor: Man schreit «Gen», wo es gar nicht um Gene geht. Und um die Ängste weiter zu schüren, greift man zum zweiten Schlagwort. «Nein zur fremdnützigen Forschung an Kindern!», heisst es in der Petition. Es stimmt zwar, dass die Erkenntnisse anderen Kindern zugute kommen als jenen, die erforscht werden. Aber genau das Gleiche gilt für die gesamte Bildungsforschung: Von den Pisa-Studien profitieren künftige Schülergenerationen. Und auch die Leukämietherapie verdankt ihren Erfolg «fremdnütziger Forschung an Kindern». Hätten damals nicht viele Eltern die Einwilligung gegeben, das Blut ihrer Kinder zu untersuchen, könnten wir heute nicht drei Viertel der an Leukämie erkrankten Kinder heilen.
Kritisiert wird Sesam auch von Psychoanalytikern. Warum? Das Bundesamt für Gesundheit ist dabei, den Leistungskatalog zu überprüfen, und sieht insbesondere bei der Psychotherapie Sparpotenzial. Sesam-Direktor Jürgen Margraf erhielt das Mandat, die Wirksamkeit der Psychotherapie zu untersuchen, und bestätigte, was bekannt ist: Dass bei gewissen Diagnosen in der Schweiz viel zu lange therapiert wird. Beliebt hat er sich damit nicht gemacht. Manch frustrierter Kollege nutzt nun die Gelegenheit, um Margraf Steine in den Weg zu legen.
Dabei könnte Sesam Grosses leisten. In Norwegen sammelt man derzeit Blutproben und Gesundheitsdaten von 100000 schwangeren Frauen. Man will herausfinden, ob bestimmte Infektionen während der Schwangerschaft bei genetisch prädisponierten Individuen die Entwicklung von Krankheiten wie Autismus oder Zerebrallähmung begünstigen. In Grossbritannien werden für das Projekt «Children of the 90s» 14000 Kinder untersucht, und auch in Schweden ist ein Projekt unterwegs. Allen «Biobanken» ist gemeinsam, dass das Augenmerk auf Lebensstil und Umwelt gelegt wird der Mensch eben nicht auf seine Gene reduziert wird.
Geht es darum, hinter einer neuen Forschungsrichtung Böses und Missbräuchliches zu vermuten, sind die Schweizer Weltmeister. «Es gibt unzählige Beispiele dafür, dass wir Erfolgreiches hinterfragen, kritisieren, ja gar bekämpfen, bevor sich dieses überhaupt hat richtig entfalten können», sagte Dieter Imboden, Präsident des Nationalen Forschungsrates an einer Pressekonferenz. «Prophylaktische Boykottaufrufe werden in Umlauf gesetzt, bevor es etwas zu boykottieren gibt.» Sesam ist ein weiteres Beispiel dafür, wie ein erstklassiges Forschungsprojekt zum politischen Prügelknaben mutiert.
patpatpat - 23. Mär, 09:16