Berner Zeitung: "Blauäugige Begeisterung"
Interview in der BZ vom 11.3.:
Das gescheiterte Genom-Datenprojekt über Islands Bevölkerung vergleicht die Philosophin Sigridur Thorgeirsdottir mit dem Dürrenmatt-Stück «Der Besuch der alten Dame».
Haben Sie Ihre Daten für Islands geplante Gesundheitsdatenbank zur Verfügung gestellt?
Sigridur Thorgeirsdottir: Nein, ich gehöre zu den 7 Prozent der Bevölkerung, die ausgestiegen sind. Weil ich das dazu gehörige Gesetz von 1998 nicht gut fand.
Warum nicht?
Das Gesetz ist fehlerhaft. Die Gesundheitsdaten sollten ohne schriftliche Einwilligung zur Verfügung gestellt werden. Der Staat ging von einer pauschalen mutmasslichen Einwilligung aus. Patienten, die damit nicht einverstanden waren, konnten ihre Daten ausschliessen lassen, so wie ich es getan habe. Es wurde offenbar befürchtet, zu viele Leute könnten ihre Unterschrift verweigern, falls sie explizit dazu angefragt würden.
Hat Islands Parlament zu diesem Gesetz keine Debatte geführt?
Das Gesetz war im Parlament sehr umstritten, ebenso bei den Ärzten und Forschern. Das Konzept der mutmasslichen Einwilligung ist moralischer Müll. Gerade weil auch eine kommerzielle Verwendung vorgesehen war, hätte man die Bürger auffordern sollen, der Freigabe ihrer Daten schriftlich zuzustimmen. Diese Einwilligung wäre wohl eher zu erhalten, wenn die Leute regelmässig über die Verwendung der Daten informiert würden und jederzeit ihre Daten zurückziehen könnten.
Zwei Drittel der 290 000 Isländer sagten nein. Sie trauen der Anonymisierung ihrer Daten offenbar nicht.
In einem so kleinen Land ist es tatsächlich schwierig, die Anonymität zu gewährleisten. Zwar gab es die Zusicherung, dass man keine Individuen in der Datenbank erkennen kann. Auf Grund von Informationen über Gruppen mit seltenen Krankheiten hätte man aber möglicherweise Schlüsse über bestimmte Leute ziehen können.
Was ist aus dem Scheitern von Islands Datenbank zu lernen?
Ein Gesetz für eine Gesundheitsdatenbank darf man nicht unter Zeitdruck verabschieden, wie dies geschehen ist. Dies hat zu einer hitzigen Debatte mit viel Kritik und Missverständnissen geführt. Es müssten alle Interessenvertreter für das Aushandeln einer Lösung gewonnen werden.
Dann würden die Leute eine Datenbank vielleicht akzeptieren?
Aber nur, wenn ein breites Wissen über Genetik und Pharmagenetik vorhanden ist. Dazu ist guter Wissenschaftsjournalismus unentbehrlich. In Islands Hauptstadt Reykjavik gab es während der Gesetzesdebatte viele Kulturjournalisten und Theaterkritiker, aber kaum kritische Wissenschaftsjournalisten. Was aber hat auf unser Leben mehr Einfluss, ein Theaterstück oder neue Forschungen und Tendenzen in den Biowisssenschaften? Es ist wichtig, dass wir uns fragen, was für Folgen die neue Technologie und Wissenschaft – hier eine mögliche Genetisierung der Gesundheitsvorsorge – haben könnte.
Sollte es weiterhin ein Recht auf Nichtwissen geben?
Darauf gibt es keine einfache Antwort. Dazu ein Beispiel. Es werden Diagnoseinstrumente entwickelt, die genetische Veranlagung für einen Herzinfarkt festzustellen. Stellt man diese Veranlagung bei einem zehnjährigen Mädchen fest, wird sie vielleicht künftig zum Medikamenten-Abonnenten. Und wächst im Wissen auf, potenziell herzkrank zu sein. Genetische Diagnosen können unser Selbstbild verändern. Es sollte nicht soweit kommen, dass dadurch andere Faktoren wie Ernährung oder Lebensstil unterbewertet werden.
Aber eine genetische Diagnose könnte doch zu individuell ab-gestimmten Medikamenten führen?
Man muss sich aber fragen, wie teuer solche Medikamente zu stehen kämen. Wird die staatliche Gesundheitsversorgung eine solche Entwicklung finanziell verkraften können? Und wird die genetische Ausrichtung der Medizin zudem die Gefahr der eingeschränkten Sicht auf Gesundheit und Krankheit mit sich bringen? Hoffentlich nicht.
Was ist Ihre Bilanz aus der Gesundheitsdatenbank-Affäre Ihres Landes?
Dass die Wirklichkeit manchmal dazu neigt, dem Stoff eines Dürrenmatt-Theaterstücks zu gleichen. Ich denke da an den «Besuch der alten Dame». Viele Leute, die sich als kritisch einschätzen, werden blauäugig, wenn Markt und wirtschaftlicher Gewinn im Spiel sind. Viele der Juristen und Ethiker, die sich mit Pro und Kontra von Biodatenbanken befassen, haben sich im Prinzip nicht den wirklich wichtigen Fragen gestellt. Es sind folgende Fragen: Welche Bedeutung haben solche Datenbanken für die Gesundheitsfürsorge, wie wird dabei unser Menschenbild und unsere Gesellschaft verändert?
Interview: Christian Bernhart
Sigridur Thorgeirsdottir ist Philosophin und Ethikerin in Islands Hauptstadt Reykjavik.
Das gescheiterte Genom-Datenprojekt über Islands Bevölkerung vergleicht die Philosophin Sigridur Thorgeirsdottir mit dem Dürrenmatt-Stück «Der Besuch der alten Dame».
Haben Sie Ihre Daten für Islands geplante Gesundheitsdatenbank zur Verfügung gestellt?
Sigridur Thorgeirsdottir: Nein, ich gehöre zu den 7 Prozent der Bevölkerung, die ausgestiegen sind. Weil ich das dazu gehörige Gesetz von 1998 nicht gut fand.
Warum nicht?
Das Gesetz ist fehlerhaft. Die Gesundheitsdaten sollten ohne schriftliche Einwilligung zur Verfügung gestellt werden. Der Staat ging von einer pauschalen mutmasslichen Einwilligung aus. Patienten, die damit nicht einverstanden waren, konnten ihre Daten ausschliessen lassen, so wie ich es getan habe. Es wurde offenbar befürchtet, zu viele Leute könnten ihre Unterschrift verweigern, falls sie explizit dazu angefragt würden.
Hat Islands Parlament zu diesem Gesetz keine Debatte geführt?
Das Gesetz war im Parlament sehr umstritten, ebenso bei den Ärzten und Forschern. Das Konzept der mutmasslichen Einwilligung ist moralischer Müll. Gerade weil auch eine kommerzielle Verwendung vorgesehen war, hätte man die Bürger auffordern sollen, der Freigabe ihrer Daten schriftlich zuzustimmen. Diese Einwilligung wäre wohl eher zu erhalten, wenn die Leute regelmässig über die Verwendung der Daten informiert würden und jederzeit ihre Daten zurückziehen könnten.
Zwei Drittel der 290 000 Isländer sagten nein. Sie trauen der Anonymisierung ihrer Daten offenbar nicht.
In einem so kleinen Land ist es tatsächlich schwierig, die Anonymität zu gewährleisten. Zwar gab es die Zusicherung, dass man keine Individuen in der Datenbank erkennen kann. Auf Grund von Informationen über Gruppen mit seltenen Krankheiten hätte man aber möglicherweise Schlüsse über bestimmte Leute ziehen können.
Was ist aus dem Scheitern von Islands Datenbank zu lernen?
Ein Gesetz für eine Gesundheitsdatenbank darf man nicht unter Zeitdruck verabschieden, wie dies geschehen ist. Dies hat zu einer hitzigen Debatte mit viel Kritik und Missverständnissen geführt. Es müssten alle Interessenvertreter für das Aushandeln einer Lösung gewonnen werden.
Dann würden die Leute eine Datenbank vielleicht akzeptieren?
Aber nur, wenn ein breites Wissen über Genetik und Pharmagenetik vorhanden ist. Dazu ist guter Wissenschaftsjournalismus unentbehrlich. In Islands Hauptstadt Reykjavik gab es während der Gesetzesdebatte viele Kulturjournalisten und Theaterkritiker, aber kaum kritische Wissenschaftsjournalisten. Was aber hat auf unser Leben mehr Einfluss, ein Theaterstück oder neue Forschungen und Tendenzen in den Biowisssenschaften? Es ist wichtig, dass wir uns fragen, was für Folgen die neue Technologie und Wissenschaft – hier eine mögliche Genetisierung der Gesundheitsvorsorge – haben könnte.
Sollte es weiterhin ein Recht auf Nichtwissen geben?
Darauf gibt es keine einfache Antwort. Dazu ein Beispiel. Es werden Diagnoseinstrumente entwickelt, die genetische Veranlagung für einen Herzinfarkt festzustellen. Stellt man diese Veranlagung bei einem zehnjährigen Mädchen fest, wird sie vielleicht künftig zum Medikamenten-Abonnenten. Und wächst im Wissen auf, potenziell herzkrank zu sein. Genetische Diagnosen können unser Selbstbild verändern. Es sollte nicht soweit kommen, dass dadurch andere Faktoren wie Ernährung oder Lebensstil unterbewertet werden.
Aber eine genetische Diagnose könnte doch zu individuell ab-gestimmten Medikamenten führen?
Man muss sich aber fragen, wie teuer solche Medikamente zu stehen kämen. Wird die staatliche Gesundheitsversorgung eine solche Entwicklung finanziell verkraften können? Und wird die genetische Ausrichtung der Medizin zudem die Gefahr der eingeschränkten Sicht auf Gesundheit und Krankheit mit sich bringen? Hoffentlich nicht.
Was ist Ihre Bilanz aus der Gesundheitsdatenbank-Affäre Ihres Landes?
Dass die Wirklichkeit manchmal dazu neigt, dem Stoff eines Dürrenmatt-Theaterstücks zu gleichen. Ich denke da an den «Besuch der alten Dame». Viele Leute, die sich als kritisch einschätzen, werden blauäugig, wenn Markt und wirtschaftlicher Gewinn im Spiel sind. Viele der Juristen und Ethiker, die sich mit Pro und Kontra von Biodatenbanken befassen, haben sich im Prinzip nicht den wirklich wichtigen Fragen gestellt. Es sind folgende Fragen: Welche Bedeutung haben solche Datenbanken für die Gesundheitsfürsorge, wie wird dabei unser Menschenbild und unsere Gesellschaft verändert?
Interview: Christian Bernhart
Sigridur Thorgeirsdottir ist Philosophin und Ethikerin in Islands Hauptstadt Reykjavik.
patpatpat - 12. Mär, 10:45