Tages-Anzeiger heute über Sesam
Protest gegen Psycho-Studie an Kindern
Darf man Forschung betreiben an Embryonen und Kindern? Nein, finden Kritiker und haben gegen ein ehrgeiziges Projekt des Nationalfonds über 10 000 Unterschriften gesammelt.
Von Antonio Cortesi
Das sei «gut investiertes Geld», sagte Pascal Couchepin im vergangenen März, als er 50 Millionen Franken für sechs nationale Forschungsschwerpunkte der Geistes- und Sozialwissenschaften freigab. Mit 10,2 Millionen wurde auch ein Grossprojekt der Universität Basel bedacht. Projektleiter Jürgen Margraf, Professor für klinische Psychologie, hatte damals allen Grund zur Freude.
Inzwischen dürfte die Freude getrübt sein. Gegen das Projekt «Sesam» (Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health) hat sich erbitterter Widerstand formiert. Federführend ist dabei der Basler Appell gegen Gentechnologie. Der Verein hat eine Petition lanciert und in kurzer Zeit über 10'000 Unterschriften gesammelt, wie Geschäftsführerin Pascale Steck auf Anfrage bekannt gab. Das sei ein «beachtlicher Erfolg», zumal in Basel für eine Volksinitiative bloss 4000 Signaturen nötig sind.
Der Basler Appell wird die Petition am kommenden Dienstag dem Präsidenten der Ethikkommission beider Basel überreichen. Diese wird demnächst darüber beraten, ob die Studie moralischen Richtlinien standhält. Für die Realisierung von Sesam ist dies entscheidend.
Sesam ist ein weltweit einzigartiges Langzeitprojekt, das über die Ursachen psychischer Krankheiten Aufschluss geben soll. Die Forscher wollen die Entwicklung von 3000 Kindern und ihren Familien über einen Zeitraum von zwanzig Jahren wissenschaftlich begleiten - und zwar bereits ab der zwölften Schwangerschaftswoche. Dabei soll auch das Erbgut analysiert werden. Im Vordergrund steht die Frage, wie relevant genetische Faktoren beziehungsweise Umwelteinflüsse für die psychische Gesundheit sind.
Für den Basler Appell stossen die Forscher in einen Tabubereich vor. Zudem, so Pascale Steck, werfe die Studie heikle rechtliche Fragen auf:
Kinder würden instrumentalisiert, lautet der Hauptvorwurf. Da sie nicht urteilsfähig seien, könnten sie nicht selber entscheiden, ob sie sich am Projekt beteiligen wollen. Zudem würden sie nicht direkt von der Forschung profitieren.
Mit Speichelproben soll das Erbgut der Kinder und Eltern analysiert werden. Damit bewegten sich die Forscher im juristischen Graubereich.
Das genetische Material werde in Biobanken gespeichert. Das sei datenschützerisch höchst problematisch, zumal auch die Pharmaindustrie das Projekt unterstütze und Interesse an den Daten habe.
Bekämpft wird die Studie auch im eidgenössischen Parlament. Die grüne Basler Nationalrätin Maya Graf hat eine von Vertretern aus GP, SP, CVP und EVP mitunterzeichnete Interpellation eingereicht. Darin fragt sie den Bundesrat, ob er die «fremdnützige klinische Forschung an Kindern» gutheisse - zumal das Bundesgesetz über die Forschung am Menschen noch ausstehend sei und mit der Bewilligung der Studie ein Präjudiz geschaffen werde.
Der Bundesrat sieht darin jedoch kein Problem, wie er in seiner Antwort schreibt. Inzwischen hat er zudem das Gesetz über die Forschung am Menschen in die Vernehmlassung geschickt. Gemäss dem Entwurf sollen Forschungen an unmündigen und nicht urteilsfähigen Personen erlaubt sein, wenn die gesetzlichen Vertreter einwilligen und die Risiken und Belastungen minimal sind.
Diese Kriterien seien bei Sesam ohne Zweifel erfüllt, sagte Projektleiter Margraf auf Anfrage: «Es steht jedem Beteiligten jederzeit frei, sich aus der Studie zurückzuziehen.» Erfahrungen mit ähnlichen Studien aus dem Ausland zeigten jedoch, dass die Familien in den meisten Fällen begeistert mitmachten, weil sie vom Wissen der Forscher profitierten. Margraf rechnet bei Sesam mit einer Ausstiegsquote von maximal 30 Prozent.
Maya Graf kritisiert aber auch «die ökonomielastige Grundhaltung» der Studie. Sauer aufgestossen ist ihr die Formulierung im Projektbeschrieb, Sesam trage dazu bei, «die Position des Landes in einem Feld von grösster strategischer Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft nachhaltig zu stärken». Dass der Pharmakonzern Roche das Projekt mit sechs Millionen Franken unterstützt, schürt die Befürchtungen der Nationalrätin, Sesam habe einseitig das «ökonomische Funktionieren des Menschen» zum Ziel.
Auch diese Bedenken teilt der Bundesrat nicht: Die Erforschung psychischer Krankheiten gehe «weit über ökonomische Interessen hinaus». Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) würden im Jahr 2020 Depressionen «die zweithäufigste Ursache für vorzeitige Sterblichkeit und gesundheitliche Beeinträchtigungen» sein, so die Regierung. Und Margraf ergänzt: In der Schweiz gebe es jährlich dreimal mehr Suizide (1546) als Verkehrstote. Die Studie könne zur Prävention beitragen, was volkswirtschaftlich sehr wohl bedeutsam sei.
Geplanter Starttermin für Sesam ist der kommende Oktober. Am Anfang der Studie steht die Rekrutierung von 3000 schwangeren Frauen in diversen Frauenkliniken der Schweiz - was laut Margraf «kein Problem» sein werde. Bereits im Mutterleib sollen die Ungeborenen mit Ultraschall untersucht werden, beispielsweise auf ihr Stressverhalten hin. Nach der Geburt ist etwa das Schreiverhalten des Kindes und die Reaktion der Eltern ein Thema. Der Hauptteil der Daten soll aus Gesprächen, Fragebogen und Beobachtungen stammen.
Sesam ist ein Megaprojekt. Mit zwölf Teilstudien sind auch die Universitäten Zürich, Bern, Lausanne und Genf beteiligt. Ein hoch dotiertes Gremium mit Professoren aus den USA, aus Grossbritannien, Kanada und Australien soll den hiesigen Forschern beratend zur Seite stehen.
Darf man Forschung betreiben an Embryonen und Kindern? Nein, finden Kritiker und haben gegen ein ehrgeiziges Projekt des Nationalfonds über 10 000 Unterschriften gesammelt.
Von Antonio Cortesi
Das sei «gut investiertes Geld», sagte Pascal Couchepin im vergangenen März, als er 50 Millionen Franken für sechs nationale Forschungsschwerpunkte der Geistes- und Sozialwissenschaften freigab. Mit 10,2 Millionen wurde auch ein Grossprojekt der Universität Basel bedacht. Projektleiter Jürgen Margraf, Professor für klinische Psychologie, hatte damals allen Grund zur Freude.
Inzwischen dürfte die Freude getrübt sein. Gegen das Projekt «Sesam» (Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health) hat sich erbitterter Widerstand formiert. Federführend ist dabei der Basler Appell gegen Gentechnologie. Der Verein hat eine Petition lanciert und in kurzer Zeit über 10'000 Unterschriften gesammelt, wie Geschäftsführerin Pascale Steck auf Anfrage bekannt gab. Das sei ein «beachtlicher Erfolg», zumal in Basel für eine Volksinitiative bloss 4000 Signaturen nötig sind.
Der Basler Appell wird die Petition am kommenden Dienstag dem Präsidenten der Ethikkommission beider Basel überreichen. Diese wird demnächst darüber beraten, ob die Studie moralischen Richtlinien standhält. Für die Realisierung von Sesam ist dies entscheidend.
Sesam ist ein weltweit einzigartiges Langzeitprojekt, das über die Ursachen psychischer Krankheiten Aufschluss geben soll. Die Forscher wollen die Entwicklung von 3000 Kindern und ihren Familien über einen Zeitraum von zwanzig Jahren wissenschaftlich begleiten - und zwar bereits ab der zwölften Schwangerschaftswoche. Dabei soll auch das Erbgut analysiert werden. Im Vordergrund steht die Frage, wie relevant genetische Faktoren beziehungsweise Umwelteinflüsse für die psychische Gesundheit sind.
Für den Basler Appell stossen die Forscher in einen Tabubereich vor. Zudem, so Pascale Steck, werfe die Studie heikle rechtliche Fragen auf:
Kinder würden instrumentalisiert, lautet der Hauptvorwurf. Da sie nicht urteilsfähig seien, könnten sie nicht selber entscheiden, ob sie sich am Projekt beteiligen wollen. Zudem würden sie nicht direkt von der Forschung profitieren.
Mit Speichelproben soll das Erbgut der Kinder und Eltern analysiert werden. Damit bewegten sich die Forscher im juristischen Graubereich.
Das genetische Material werde in Biobanken gespeichert. Das sei datenschützerisch höchst problematisch, zumal auch die Pharmaindustrie das Projekt unterstütze und Interesse an den Daten habe.
Bekämpft wird die Studie auch im eidgenössischen Parlament. Die grüne Basler Nationalrätin Maya Graf hat eine von Vertretern aus GP, SP, CVP und EVP mitunterzeichnete Interpellation eingereicht. Darin fragt sie den Bundesrat, ob er die «fremdnützige klinische Forschung an Kindern» gutheisse - zumal das Bundesgesetz über die Forschung am Menschen noch ausstehend sei und mit der Bewilligung der Studie ein Präjudiz geschaffen werde.
Der Bundesrat sieht darin jedoch kein Problem, wie er in seiner Antwort schreibt. Inzwischen hat er zudem das Gesetz über die Forschung am Menschen in die Vernehmlassung geschickt. Gemäss dem Entwurf sollen Forschungen an unmündigen und nicht urteilsfähigen Personen erlaubt sein, wenn die gesetzlichen Vertreter einwilligen und die Risiken und Belastungen minimal sind.
Diese Kriterien seien bei Sesam ohne Zweifel erfüllt, sagte Projektleiter Margraf auf Anfrage: «Es steht jedem Beteiligten jederzeit frei, sich aus der Studie zurückzuziehen.» Erfahrungen mit ähnlichen Studien aus dem Ausland zeigten jedoch, dass die Familien in den meisten Fällen begeistert mitmachten, weil sie vom Wissen der Forscher profitierten. Margraf rechnet bei Sesam mit einer Ausstiegsquote von maximal 30 Prozent.
Maya Graf kritisiert aber auch «die ökonomielastige Grundhaltung» der Studie. Sauer aufgestossen ist ihr die Formulierung im Projektbeschrieb, Sesam trage dazu bei, «die Position des Landes in einem Feld von grösster strategischer Bedeutung für Gesellschaft und Wirtschaft nachhaltig zu stärken». Dass der Pharmakonzern Roche das Projekt mit sechs Millionen Franken unterstützt, schürt die Befürchtungen der Nationalrätin, Sesam habe einseitig das «ökonomische Funktionieren des Menschen» zum Ziel.
Auch diese Bedenken teilt der Bundesrat nicht: Die Erforschung psychischer Krankheiten gehe «weit über ökonomische Interessen hinaus». Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) würden im Jahr 2020 Depressionen «die zweithäufigste Ursache für vorzeitige Sterblichkeit und gesundheitliche Beeinträchtigungen» sein, so die Regierung. Und Margraf ergänzt: In der Schweiz gebe es jährlich dreimal mehr Suizide (1546) als Verkehrstote. Die Studie könne zur Prävention beitragen, was volkswirtschaftlich sehr wohl bedeutsam sei.
Geplanter Starttermin für Sesam ist der kommende Oktober. Am Anfang der Studie steht die Rekrutierung von 3000 schwangeren Frauen in diversen Frauenkliniken der Schweiz - was laut Margraf «kein Problem» sein werde. Bereits im Mutterleib sollen die Ungeborenen mit Ultraschall untersucht werden, beispielsweise auf ihr Stressverhalten hin. Nach der Geburt ist etwa das Schreiverhalten des Kindes und die Reaktion der Eltern ein Thema. Der Hauptteil der Daten soll aus Gesprächen, Fragebogen und Beobachtungen stammen.
Sesam ist ein Megaprojekt. Mit zwölf Teilstudien sind auch die Universitäten Zürich, Bern, Lausanne und Genf beteiligt. Ein hoch dotiertes Gremium mit Professoren aus den USA, aus Grossbritannien, Kanada und Australien soll den hiesigen Forschern beratend zur Seite stehen.
patpatpat - 11. Mär, 09:51