Die Zeit vom 3.4.08: Kein Test mit Föten
Warum eine Langzeitstudie zu den frühen Ursachen psychischer Erkrankungen abgeblasen wurde - ein Interview
Interview: Ralf Krauter
Die Zeit: Laut WHO werden psychische Erkrankungen ab 2020 die zweithäufigste Ursache gesundheitlicher Probleme sein. Das Schweizer Forschungsprojekt Sesam wollte deshalb die Ursachen von Depression, Sucht und Jugendgewalt in einer Langzeitstudie verfolgen. Die Untersuchung wurde jetzt aber eingestellt. Warum?
Alexander Grob: Weil zu wenig schwangere Frauen bereit waren, mitzumachen. Statt der angestrebten 110 Schwangeren aus der Region Basel haben wir bislang nur 20 Zusagen. Mit dieser Teilnahmequote hätten wir unsere Ziele nicht erreichen können. Wir wollten bei 3'000 Heranwachsenden medizinische, psychologische und soziale Faktoren erfassen, welche die psychische Gesundheit positiv oder negativ beeinflussen. Die Kinder sollten von der 12. Schwangerschaftswoche bis zu ihrem 20. Lebensjahr regelmässig untersucht und befragt werden. Parallel dazu waren Interviews mit ihren Eltern und Grosseltern geplant.
Zeit: Es ging also um die langfristige Erfassung persönlicher Informationen über diese Kinder und Jugendlichen. Waren die Vorbehalte der Frauen nicht abzusehen?
Grob: Wegen Verzögerungen im Begutachtungsprozess konnten wir eine geplante Pilotstudie nicht durchführen und mussten die Teilnahmebereitschaft deshalb abschätzen. Ähnliche Untersuchungen in der Vergangenheit erziehlten Teilnahmequoten von 70 bis 80 Prozent. Es sah also so aus, als ob wir mit einer deutlich höheren Quote hätten rechnen können.
Zeit: Wie begründeten die Frauen in diesem Fall ihre Absagen?
Grob: Am häufigsten hiess es: Zu viel Aufwand. Oder: Ich möchte mich nicht so lange verpflichten. Wobei die Frauen jederzeit aus der Studie hätten aussteigen können. Aber offensichtlich haben sie das nicht so gesehen, sondern gedacht: Wenn ich jetzt Ja sage, muss ich über einen sehr langen Zeitraum mitmachen.
Zeit: Ist diese sinkende Bereitschaft, an Langzeitstudien teilzunehmen, womöglich ein genereller Trend?
Grob: Ich denke allerdings, dass die gesellschaftliche Entwicklung stark durch Individualismus geprägt ist. In der Forschung stellt sich eine Person für andere zur Verfügung - in der Hoffnung, dass das gewonnene Wissen später gesamtgesellschaftlich gewinnbringend umgesetzt werden kann. Diese Hoffnung setzt eine positive Haltung gegenüber dem Allgemeinwohl und der Forschung voraus. In der gegenwärtigen Situation scheint diese Haltung nicht sehr ausgeprägt zu sein.
Zeit: Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen. Was hätten Sie den rückblickend anders gemacht?
Grob: Wir hätten auf einem einfacheren und direkteren Weg mit den Studienteilnehmerinnen in Kontakt treten können. Wegen ungenügender gesetzlicher Vorgaben haben die Aufsichtsbehörden die praktische Durchführung der Studie erschwert. Die Einverständniserklärung zum Beispiel ist ein ausserordentlich umfangreiches Dokument, in dem die Frau für sich und gesondert für das Kind viele Unterschriften leisten musste, um zu bekunden, dass sie über die Details der Studie aufgeklärt ist und freiwillig mitmacht. Wenn sie diese Erklärung sehen und sich noch die Situation vergegenwärtigen, dass man sechs, sieben Unterschriften geben soll, dann ist das bedrohlich für die Frauen. Wir waren einem ungeheuren Formalismus ausgesetzt. Vermutlich hat das die Frauen beängstigt.
Alexander Grob ist Psychologe an der universität Basel und stellvertretender Direktor des Schweizer Sesam-Projektes
Interview: Ralf Krauter
Die Zeit: Laut WHO werden psychische Erkrankungen ab 2020 die zweithäufigste Ursache gesundheitlicher Probleme sein. Das Schweizer Forschungsprojekt Sesam wollte deshalb die Ursachen von Depression, Sucht und Jugendgewalt in einer Langzeitstudie verfolgen. Die Untersuchung wurde jetzt aber eingestellt. Warum?
Alexander Grob: Weil zu wenig schwangere Frauen bereit waren, mitzumachen. Statt der angestrebten 110 Schwangeren aus der Region Basel haben wir bislang nur 20 Zusagen. Mit dieser Teilnahmequote hätten wir unsere Ziele nicht erreichen können. Wir wollten bei 3'000 Heranwachsenden medizinische, psychologische und soziale Faktoren erfassen, welche die psychische Gesundheit positiv oder negativ beeinflussen. Die Kinder sollten von der 12. Schwangerschaftswoche bis zu ihrem 20. Lebensjahr regelmässig untersucht und befragt werden. Parallel dazu waren Interviews mit ihren Eltern und Grosseltern geplant.
Zeit: Es ging also um die langfristige Erfassung persönlicher Informationen über diese Kinder und Jugendlichen. Waren die Vorbehalte der Frauen nicht abzusehen?
Grob: Wegen Verzögerungen im Begutachtungsprozess konnten wir eine geplante Pilotstudie nicht durchführen und mussten die Teilnahmebereitschaft deshalb abschätzen. Ähnliche Untersuchungen in der Vergangenheit erziehlten Teilnahmequoten von 70 bis 80 Prozent. Es sah also so aus, als ob wir mit einer deutlich höheren Quote hätten rechnen können.
Zeit: Wie begründeten die Frauen in diesem Fall ihre Absagen?
Grob: Am häufigsten hiess es: Zu viel Aufwand. Oder: Ich möchte mich nicht so lange verpflichten. Wobei die Frauen jederzeit aus der Studie hätten aussteigen können. Aber offensichtlich haben sie das nicht so gesehen, sondern gedacht: Wenn ich jetzt Ja sage, muss ich über einen sehr langen Zeitraum mitmachen.
Zeit: Ist diese sinkende Bereitschaft, an Langzeitstudien teilzunehmen, womöglich ein genereller Trend?
Grob: Ich denke allerdings, dass die gesellschaftliche Entwicklung stark durch Individualismus geprägt ist. In der Forschung stellt sich eine Person für andere zur Verfügung - in der Hoffnung, dass das gewonnene Wissen später gesamtgesellschaftlich gewinnbringend umgesetzt werden kann. Diese Hoffnung setzt eine positive Haltung gegenüber dem Allgemeinwohl und der Forschung voraus. In der gegenwärtigen Situation scheint diese Haltung nicht sehr ausgeprägt zu sein.
Zeit: Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen. Was hätten Sie den rückblickend anders gemacht?
Grob: Wir hätten auf einem einfacheren und direkteren Weg mit den Studienteilnehmerinnen in Kontakt treten können. Wegen ungenügender gesetzlicher Vorgaben haben die Aufsichtsbehörden die praktische Durchführung der Studie erschwert. Die Einverständniserklärung zum Beispiel ist ein ausserordentlich umfangreiches Dokument, in dem die Frau für sich und gesondert für das Kind viele Unterschriften leisten musste, um zu bekunden, dass sie über die Details der Studie aufgeklärt ist und freiwillig mitmacht. Wenn sie diese Erklärung sehen und sich noch die Situation vergegenwärtigen, dass man sechs, sieben Unterschriften geben soll, dann ist das bedrohlich für die Frauen. Wir waren einem ungeheuren Formalismus ausgesetzt. Vermutlich hat das die Frauen beängstigt.
Alexander Grob ist Psychologe an der universität Basel und stellvertretender Direktor des Schweizer Sesam-Projektes
sesaminput - 3. Apr, 12:16